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Montag, 23. Mai 2016

"But the ancient gods of Olympus are angry ..."

Captain Future war die erste SciFi-Zeichentrickserie für Kinder, die {ab 1980} im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Und Junge, was war ich im Alter von sieben bis neun für ein fanatischer Fanboy! So muss ich z.B. im Besitz einer ziemlich vollständigen {wenn auch teilweise recht ramponierten} Sammlung der Bastei-Comics gewesen sein, und wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, konnte ich auch ein Modell der Comet mein eigen nennen.
Ich habe nie ernsthaft versucht, diese Kindheitserinnerungen wieder aufzufrischen, und ein kurzer Blick in die auf Youtube zu findende erste "Staffel" Der Herrscher von Megara hat mich sehr rasch davon überzeugt, dass ich das auch in Zukunft wohl besser bleiben lassen sollte. {Auch wenn ich die von Christian Bruhn für die deutsche Fassung kreierte Titelmusik immer noch ziemlich cool finde.} 

Dafür habe ich kürzlich in Gestalt von Ulysses 31 eine Animeserie kennenlernen dürfen, die sehr eindrücklich belegt, dass es Anfang der 80er äußerst interessante Alternativen zu Captain Future hätte geben können, wenn der Widerstand in der deutschen Öffentlichkeit gegen diese Art von Kinderunterhaltung nicht so groß gewesen wäre. {Captain Future rief offenbar lautstarke Proteste von Seiten vieler Eltern, Pädagogen und "Jugendschutz"organisationen hervor [obwohl die Serie in vorauseilendem Gehorsam bereits ausgiebigst mit der Zensorschere bearbeitet worden war], was mit dazu beitrug, dass für beinah ein Jahrzehnt keine vergleichbaren Produktionen mehr auf deutschen Fernsehschirmen auftauchten}. 
Die bloße Existenz der französisch-japanischen Koproduktion aus dem Jahre 1981 war mir unbekannt, bis Andy Poulastides in der ersten Episode des sehr amüsanten Podcasts Space Dock Jury die Odyssey ins Rennen schickte.* Was er über das Raumschiff und die Serie selbst zu erzählen hatte, klang recht interessant, und so begab ich mich alsbald in den unergründlichen Schatzgewölben von Youtube auf die Suche. Es sollte ein glorreicher Fund werden.


Das von Jean Chalopin entwickelte Grundkonzept der Serie ist denkbar einfach: Man übertrage Homers Odyssee ins Weltall und reichere die Handlung mit einigen der üblichen Versatzstücke einer Kinder-SciFi-Show der Zeit an. Das Ergebnis erweist sich als alles in allem recht charmant.

Auf seinem Heimflug von dem Planeten Troja zur Erde erregt der löwenmähnige Ulysses den Zorn der Götter, als er den von Poseidon erschaffenen Riesenroboter Cyclops zerstört. Zeus versetzt die Mannschaft der Odyssey daraufhin in eine Art Totenschlaf. Verschont bleiben lediglich Ulysses selbst, sein Sohn Telemachus und das außerirdische Mädchen Yumi, die von den Göttern dazu verdammt werden, durch die Weiten des "Olymp" zu irren, bis sie das Königreich des Hades gefunden haben. Erst dann werden ihre Gefährten wieder erwachen und der Weg zurück zur Erde wird sich ihnen eröffnen.

Viele der Abenteuer, die die drei zusammen mit dem kleinen {und äußerst nervigen!} Roboter Nono, in den insgesamt 26 Episoden der Serie zu bestehen haben, sind – wie zu erwarten – der Odyssee entlehnt. So bekommen wir Versionen von Äolus, den Laistrygonen, Skylla & Charybdis, den Sirenen, Kirke, Kalypso und den Lotophagen zu sehen. Und auch abseits des homerischen Epos bedient sich die Serie sehr gerne im Fundus der antiken Mythologie und Heldensage. So begegnen unsere Helden u.a. Sisyphos, der Sphinx, dem Titanen Atlas, dem gestaltswandlerischen Nereus, Theseus, Ariadne & dem Minotauren, Chronos sowie Orpheus & Eurydike. Außerdem stoßen sie auf den Planeten Lemnos, dessen riesige Fabriken wohl an die Werkstätten des Hephaistos erinnern sollen und dessen unterdrückte weibliche Bevölkerung gerade dabei ist, unter Führung von Hypsipyle (aus der Argonautika) eine Revolution zu starten. Yep, die Autoren haben ihren Gustav Schwab {bzw. wohl eher dessen französisches Äquivalent} gelesen, und schon allein das macht mir die Serie sympathisch.
Natürlich sind die einzelnen Figuren und Episoden einer mehr oder weniger heftigen SciFi-Überarbeitung unterzogen worden, in deren Verlauf sie sich mitunter sehr weit von ihren antiken Vorbildern entfernt haben. Das extremste {und zugleich bizarrste} Beispiel ist vielleicht Nereus, der in den König eines Weltraum-Venedigs verwandelt wurde, dessen Volk von bösen Haifischmenschen unterdrückt wird.
Daneben gibt es auch einige wenige Folgen, die keinerlei Anklänge an die antike Sagenwelt aufweisen. Eine von ihnen hat ihre Inspiration sogar offensichtlich eher aus den Schreibereien Erich von Dänikens bezogen, inklusive Nazca-Scharrbildern und Sintflutszenarien. Und in der vorletzten Episode wird's dann richtig meta, wenn unsere Helden fünftausend Jahre in die Vergangenheit versetzt werden und dem homerischen Odysseus bei seiner Rückkehr nach Ithaka beistehen müssen ...

In einem sehr wichtigen Punkt unterscheidet sich die Grundstory der Serie allerdings sehr deutlich von ihrem literarischen Vorbild. Homers "listenreicher" Held hatte vor allem unter dem Zorn Poseidons zu leiden, den er schon durch die Eroberung Trojas – welches unter seiner Schutzherrschaft stand – verärgert, mit der Tötung seines Sohnes Polyphem aber erst recht wütend gemacht hatte. Doch mit Pallas Athene besaß der homerische Odysseus auch seine eigene göttliche Patronin, welche ihm auf seiner Irrfahrt nach Ithaka beistand. Völlig anders in Ulysses 31! Zwar wird durch das Symbol des Dreizacks auch hier immer wieder auf Poseidon verwiesen, doch stehen unserem Helden sämtliche Götter des Olymps feindlich gegenüber. Sie alle erscheinen als grausame Willkürsherrscher, gegenüber denen Ulysses die Würde und den Freiheitswillen der Menschheit verkörpert.
Wie vieles an Ulysses 31 wirkt auch dies ein wenig unausgegoren. Wenn es die Grundidee der Serie war, Homers Epos als Vorlage zu verwenden, wollte man zugleich doch nicht darauf verzichten, die sich Ende der 70er Jahre explosionsartig entfaltende Popularität von Star Wars auszunutzen. Kein Wunder, dass unser Held in beinah jeder Episode mit einem Lichtschwert herumfuchtelt. Aber man beschränkte sich nicht auf solche äußerlichen Anleihen. Vielmehr versuchte man immer mal wieder Onkel George auch motivisch nachzuahmen, weshalb die Herrschaft der Götter mitunter Züge des Galaktischen Imperiums annimmt. Die dreizackförmigen Raumschiffe der Olympier machen im Kampf nicht nur exakt die gleichen Geräusche wie imperiale Tie-Fighter, sie sollen auch dasselbe symbolisieren wie diese – eine militaristisch-imperialistische Despotie. Das beißt sich ein wenig mit dem dem antiken Heldenepos entnommenen Material.
Dennoch kann das Ergebnis dieser Vermischung mitunter recht spannend sein. So fand ich z.B. die Episode Rebellion on Lemnos ungemein faszinierend, wenn auch keineswegs hundertprozentig gelungen: Die Bewohner des Planetzen müssen monströse Dreizack-Waffen für Poseidons Haifischmenschen herstellen. In ihren riesigen Fabriken malochen jedoch ausschließlich die Frauen, derweil sich die Männer dem eitlen Müßiggang hingeben. Als es zu einem Aufstand der weiblichen Bevölkerung kommt, handelt es sich dabei also zugleich um eine Geschlechter- und um eine Arbeiterrevolte. So weit, so schön! Doch führt das Drehbuch dann auch noch verwirrenderweise eine dritte Kaste – die Zwerge – ein, nur um das Ganze schließlich in eine Art antikolonialistische Revolution gegen die Haifischmenschen überzuleiten, bei der Frauen und Männer plötzlich Seite an Seite kämpfen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Autoren hier irgendein Statement abgeben wollten, doch die eine oder andere Überabeitung hätte ihrem Drehbuch sicher gut getan.

Wer die Serie noch nicht kennt und jetzt vielleicht Lust darauf bekommen hat, ihr einmal einen Besuch abzustatten, muss sich allerdings im Klaren darüber sein, es bei allen Exzentrizitäten eben doch mit einer typischen Kinder-SciFi-Show ihrer Zeit zu tun zu haben. Das bedeutet vor allem zweierlei:

1) Die TV-Schaffenden jener Ära waren fest davon überzeugt, dass eine Serie, die ein kindliches Publikum ansprechen sollte, kindliche Charaktere als Identifikationsfiguren braucht.
Oft genug führte das dazu, dass man dem eigentlich erwachsenenen Heldenensemble mehr oder weniger unmotiviert ein Kind hinzufügte. Bei Captain Future wäre das z.B. Ken. {Als Kuriosität am Rande: Wenn Gene Roddenberry nicht lautstark Einspruch erhoben hätte, wäre bei Star Trek - The Animated Series jedem Mitglied der Brückencrew der Enterprise ein Kind an die Seite gestellt worden. Fröhliche Alpträume allerseits ...}
Im Falle von Ulysses 31 beschritt man einen etwas anderen Weg. Telemachus und Yumi bilden immerhin die Hälfte des Ensembles, sind also keine bloßen Sidekicks. Dabei ist es nett, dass wir es mit einem Mädchen und einem Jungen zu tun haben. Und die beiden werden völlig gleichberechtigt behandelt. Yumi hat eigentlich nie die undankbare Rolle der "Damsel in Distress" zu spielen, und zeigt sich – obwohl jünger als Telemachus – ihrem männlichen Widerpart in Mut und Intelligenz ebenbürtig. Ihre PSI-Fähigkeiten und ihre große Sensibilität lassen sie mitunter sogar als die stärkere Hälfte des Duos erscheinen. Und wenn sie sich mitunter zu etwas unüberlegten Handlungen hinreißen lässt, so nicht, weil sie ein Mädchen ist, sondern weil die tiefe Liebe zu ihrem Bruder Numinor, der zu den in Totenschlaf Gefallenen gehört, ihre Urteilskraft beeinträchtigt.
2) Der Charakter des "lustigen" Roboter-Sidekicks gehörte leider zu den festen Bestandteilen der Kinder-SciFi jener Ära. Ich will da nichts beschönigen: Nono ist eine unglaublich irritierende und dabei gänzlich unlustige Figur. Doch fände ich es äußerst ungerecht, wollte man seinetwegen den Stab über Ulysses 31 brechen. Ich halte es da mit den Statuten des ehrenwerten Gerichtshofs von The Witless for the Defence: "The Jar Jar Binks defence : No movie will be judged guilty just for having an annoying sidekick or character. (Unless it’s Chris Tucker)". Allerdings rate ich trotzdem dazu, Episode 22: The City of Cortex lieber zu überspringen, da andernfalls schwere mentale Schäden nicht ausgeschlossen werden können. Man vertraue mir: Niemand will live miterleben, wie sich der "putzige" Nono in die ebenso "putzige" Nanette verliebt!

Wer glaubt, mit diesen Problemen zurecht kommen zu können, sollte Ulysses 31 auf jedenfall mal eine Chance geben. Die größte Stärke der Serie besteht meiner Ansicht nach in ihrer visuellen Ästhetik, die wir vor allem den japanischen Künstlern Shingo Araki und Michi Himeno zu verdanken haben und in der sich typische Anime-Elemente mit Einflüssen der klassischen Antike zu einer ganz eigenartigen Melange vereinigen. Schon allein das Design der Odyssey, das seine Inspiration u,a. den am Bug antiker Kriegsschiffe oft aufgemalten Augen verdankte, ist wunderbar eigenwillig und ansprechend. Und in den besten Episoden von Ulysses 31 stößt die Serie in visueller {manchmal auch erzählerischer} Hinsicht in wahrhaft bizarre und phantasmagorische Gefilde vor. Ich jedenfalls hatte großen Spaß mit ihr.      


Geekige Fußnote: Nebenbei bemerkt hat mich die Serie auch immer mal wieder an Im Mahlstrom denken lassen, das erste in Deutsch erschienene Abenteuer für das D&D - Master - Set, in dem wir es gleichfalls mit einer in interstellare Gefilde übertragenenen Odyssee zu tun bekommen.


* Tele 5 strahlte im Rahmen ihres Bim Bam Bino - Programms (1988-92) eine deutsche Fassung unter dem Titel Odysseus 31 aus, aber das war natürlich lange "nach meiner Zeit".

4 Kommentare:

  1. Oh, wie cool! Die Serie habe ich damals auch gesehen und hatte auch echt Freude dran. Vielleicht muss ich da mal einen Rewatch starten. Den Robotoer fand ich damals übrigens ganz witzig, aber mit einem erwachsenen Auge betrachtet mag sich das schnell ändern. Mal sehen!
    Danke jedenfalls, für das Aufspüren dieses beinahe vergessenen Serienschmankerls. :D

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  2. Toller Artikel. Bin mir unsicher, ob ich die Serie damals (auf Tele 5) gesehen habe, war genau meine Zeit.

    Was Captain Future angeht, da habe ich mir die Serie vor ein paar Jahren im Zuge meiner Übersetzungen der Romane noch einmal angesehen, fand es aber größtenteils furchtbar, was aber vor allem an den Kürzungen liegt, durch die die Handlung teilweise völlig verstümmelt wird. Ich meine aber, dass die Serie im Original gar nicht als Kinderserie geplant war. Das war eher die Unfähigkeit des ZDFs, sich vorzustellen, dass es Zeichentrickserien für Erwachsene geben könnte.

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  3. Hatte ich Ende der 80er auf "Super Channel" gesehen. Meine Lieblingsepisode war "Chronus, Father of Time". Herrlich surreal.

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  4. @Placet: Yep, die "Chronus" - Episode ist cool. Ich mochte besonders gern "At the Heart of the Universe". Mercurius ist eine großartig groteske Figur.

    @Markus: Ich denke, ich werde auch in Zukunft die Finger von "Captain Future" lassen, trotz gelegentlicher Anfälle von morbider Neugier. ;)

    @Moya Falls du tatsächlich einen Rewatch wagen solltest, wünsche ich dir jetzt schon mal viel Spaß. :)

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