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Samstag, 16. Januar 2016

"When you're hurt and scared for so long, your fear and pain turn to hate, and the hate starts to change the world"


Ich bin wirklich alles andere als ein Gamer. Abgesehen von ein paar wundervollen Indie-Sachen wie den Lands of Dream - Spielen von Jonas & Verena Kyratzes oder den Twine-Geschichten von Richard Goodness (TOMBs of Reschette, TWEEZER, Zest etc.), habe ich mich seit rund zehn Jahren mit keinem einzigen Computerspiel mehr amüsiert. Und auch davor beschränkten sich meine diesbezüglichen Aktivitäten auf ein paar ältere Games, die ich von einem Freund "geerbt" hatte. Up to date war ich glaube ich nur in den frühen 80er Jahren, der Ära des C-64.

So gesehen fehlt es mir eigentlich an der nötigen Vertrautheit mit dem Medium, um Filme zu besprechen, die auf Computerspielen basieren. Jedenfalls, wenn es darum geht, zu beurteilen, inwieweit diese dem Flair und der Thematik ihrer Vorlagen gerecht werden.

Freilich gilt diese Subkategorie des Genrefilms allgemein als wenig berauschend, und alles, was ich bisher gesehen habe, lässt mich nicht viel anders denken.
Der erste Film dieser Art, der das Licht der Kinowelt erblickte, war Super Mario Bros. (1993). Ein Streifen, der viele Fragen aufwirft, vor allem zwei: Was haben sich die Leute, die dieses abstruse Machwerk kreierten, während des Drehs reingepfiffen? Und vielleicht noch wichtiger: Wo bekomm ich den Stoff? – Dem folgten 1994 und '95 Street Fighter und Mortal Kombat. Doch auch wenn letzterer zumindest in den Augen der erlauchten Jury von The Witless for the Defence deren Urteilssprüchen ich mich meist, aber nicht immer, anschließen kann – ein recht unterhaltsamer Action-Flick sein soll, blieb es nach diesem ersten Ausbruch für ein Jahrfünft eher still in diesem Winkel der Filmwelt. Dann kam Lara Croft: Tomb Raider (2001), und von da an verging kaum ein Jahr mehr, in dem uns nicht der eine oder andere auf einem Computerspiel basierende Film um die Ohren gehauen worden wäre. Eine Qualitätssteigerung war jedoch eher nicht auszumachen. Die berüchtigsten Serientäter des Subgenres sind ohne Zweifel Paul W.S. Anderson mit seiner nicht enden wollenden Resident Evil - Serie und Uwe Boll mit Flicks wie House of the Dead (2003), BloodRayne (2005) oder In the Name of the King: A Dungeon Siege Tale (2008; vgl. hier).
Inmitten dieser alles in allem nicht eben einladenden Filmelandschaft nimmt sich Silent Hill aus dem Jahre 2006 beinah wie ein kleines Juwel aus.


Die meisten Kritiker zeigten sich zwar wenig begeistert von dem Streifen – sein aktuelles Rating auf Rotten Tomatoes liegt bei 29% –, und auch ich würde ihn ganz sicher nicht als einen Klassiker des Horrorkinos bezeichnen, doch halte ich ihn für einen zumindest sehenswerten und alles in allem nicht uninterassenten kleinen Flick. Ich habe keine sonderlich hohe Meinung von Regisseur Christophe Gans, aber Silent Hill steht meiner Ansicht nach deutlich über seinen übrigen phantastischen Werken wie Necronomicon (1993; vgl. hier) oder Le pacte des loups / Brotherhood of the Wolf / Pakt der Wölfe (2001). 

Als ich mir den Film vor einigen Jahren zum ersten Mal anschaute, wusste ich noch nichts über das Spiele-Franchise. Im Rückblick war das vielleicht ganz gut so, war es mir damit doch möglich, ihn unabhängig von seiner "Quelle" zu betrachten. Und der Eindruck, den er dabei hinterließ, war ziemlich positiv. Die visuelle Ästhetik, die Cinematographie, das Monsterdesign und die allgemeine Atmosphäre des Streifens wirkten extrem verstörend auf mich. Ich will nicht behaupten, der Film habe tatsächlich Alpträume bei mir ausgelöst, aber seine Wirkung ging doch ohne Frage in die Richtung.
Mein Interesse war geweckt und ich begann, einige Artikel über das Silent Hill - Franchise zu lesen, und schaute mir schließlich eine Reihe von "Let's Play"s zu den meisten Teilen an. Als ich dem Film daraufhin einen weiteren Besuch abstattete, fiel mir natürlich auf, in wie vielen Punkten er von seiner Vorlage abweicht. Auch gelang es ihm nicht, mich noch einmal so stark in seinen Bann zu ziehen wie beim ersten Mal. 
Doch nach einer dritten Begegnung vor einigen Tagen, bin ich nun beinah versucht, die häretische Behauptung aufzustellen, der Film sei dem ersten Teil der Silent Hill - Reihe, auf dem er was die Story betrifft hauptsächlich basiert, in gewisser Hinsicht sogar überlegen.

Aber vielleicht sollte ich erst einmal versuchen, den Plot kurz zusammenzufassen.
Sharon (Jodelle Ferland), die neunjährige Adoptivtochter von Rose (Radha Mitchell) und Christopher (Sean Bean) Da Silva, tendiert zum Schlafwandeln und erwähnt in diesem Zustand immer wieder den Namen Silent Hill. Schließlich entscheidet sich Rose dazu, der mysteriösen Ortschaft gemeinsam mit ihr einen Besuch abzustatten, da sie hofft, dem Spuk damit ein Ende bereiten zu können. Silent Hill entpuppt sich als eine übel beleumundete Geisterstadt, in deren alten Kohlestollen seit Jahren ein Großbrand wütet, was u.a. einen nie endenden Ascheregen produziert, der auf die verlassene Siedlung niedergeht.* Doch das ist bei weitem nicht das merkwürdigste, was hier auf sie wartet. Kaum erreicht sie den Rand der Stadt, da läuft ihr die nur schemenhaft auszumachende Gestalt eines kleinen Mädchens vors Auto. Rose versucht auszuweichen, ihr Wagen landet im Straßengraben, sie selbst verliert beim Aufprall das Bewusstsein. Als sie wieder zu sich kommt, ist Sharon verschwunden. Natürlich macht sie sich sofort auf die Suche nach ihrer Tochter und betritt dabei eine groteske Alptraumwelt, die von bizarren Monstern bevölkert wird und immer wieder zwischen zwei Existenzformen – einer nebelverhangenen Szenerie und der "Finsternis"– hin und her wechselt. Sie begegnet der äußerst verstörten Dahlia (Deborah Kara Unger), die durch den Verlust ihrer eigenen Tochter Alessa offenbar in den Wahnsinn getrieben wurde, sowie der Polizistin Cybil (Laurie Holden), die ihr nach Silent Hill gefolgt ist und mit der sie sich nach anfänglichen Missverständnissen schließlich zusammentut. Die beiden stoßen auf eine religiöse Gemeinschaft unter Führung der fanatischen Christabella (Alice Krige), deren Mitglieder davon überzeugt sind, dass der Anbruch des Jüngsten Tages (verkörpert in der "Finsternis") einzig durch ihren Glauben und ihre moralische Reinheit aufgehalten werde. Christabella behauptet, die einzige Möglichkeit, Sharon zu finden, bestände darin, den "Dämon" aufzusuchen, der diese ganze Apokalypse herbeigeführt habe. Gemeinsam mit zwei ihrer Anhänger geleitet sie Rose und Cybil zum Krankenhaus von Silent Hill, wo selbiger residieren soll. Doch als sie zufällig ein Foto von Sharon erblickt und in ihr das perfekte Ebenbild des "Dämons" erkennt, wendet sie sich gegen unsere Heldinnen. Rose ist gezwungen, Cybil zurückzulassen, die von den Kultisten überwältigt wird, und dringt alleine in das Hospital vor, wo sie schließlich mit der grausigen Wahrheit über Silent Hill, den Kult und ihre eigene Adoptivtochter konfrontiert wird.    

Eine Reihe von Kritikern wie der gute Roger Ebert fanden den Plot offenbar äußerst verwirrend und unverständlich. Ich denke, dass er sich bei näherem Hinsehen alles in allem als ziemlich simpel erweist. Wenn man von dem in der Tat bizarren finalen Twist absieht, auf den Christophe Gans besser hätte verzichten sollen. 
Die größten Schwächen des Films bestehen für mich in folgendem.
Zuerst einmal wirkt es etwas unbefriedigend, dass wir die Wahrheit über Silent Hill, seine Vergangenheit und die Rolle, die Sharon und Alessa in dem Ganzen spielen, in einer Art "Infodump" - Szene vorgesetzt bekommen. Die Szene selbst ist zwar ziemlich gelungen und eindringlich, aber es wäre schön gewesen, wenn wir im Verlaufe der vorherigen Handlung mehr Hinweise auf die vergangenen Ereignisse erhalten hätten, die Wahrheit uns sukzessive und durch die Geschehnisse vermittelt offenbart worden wäre. Doch dafür finden sich nur einige wenige eher zaghafte Ansätze.
Noch sehr viel irritierender allerdings ist die ganze Parallelhandlung um Rose' Ehemann, der ihr nach Silent Hill folgt, jedoch nicht das alptraumhafte Paralleluniversum betritt, in dem seine Frau umherirrt, sondern sich stattdessen mit dem Kleinstadt-Cop Thomas Gucci (Kim Coates) herumschlagen muss. All das ist nicht nur furchtbar langweilig, die entpsrechenden Szenen reißen einen auch immer wieder aus dem phantasmagorischen Universum heraus, in dem der Hauptteil des Filmes spielt, und erlauben es dem Streifen über längere Strecken deshalb nicht, seine verstörende Atmosphäre in voller Stärke zu entfalten.
Interessanterweise wurde dieser Handlungsstrang offenbar nur deshalb eingefügt, weil die Studiobosse der Meinung waren, ein Film mit ausschließlich weiblichen Hauptfiguren ließe sich schlechter verkaufen! In gewisser Hinsicht ist es irgendwie ganz nett, zu sehen, welch negative Auswirkungen dieser sexistische Bullshit hatte. Doch letztendes ist es natürlich vor allem bedauernswert, dass einem gar nicht so üblen Film aus solchen Beweggründen etwas von seinem Potential geraubt wurde.

Wie dem auch sei, kommen wir zurück zu meiner häretischen Behauptung.
In einem langen Interview mit Shane Bettenhausen, das vor der Premiere des Films geführt wurde, erzählt Christophe Gans, dass er ursprünglich einen Film drehen wollte, der in erster Linie auf Silent Hill 2 basiert hätte. In der Tat ist der Inhalt des zweiten Teils in vielerlei Hinsicht sehr viel interessanter als der seines Vorgängers, ist die Alptraumwelt von Silent Hill in ihm doch vor allem eine Verkörperung der Ängste und Schuldgefühle jener, die es in den fluchbeladenen Ort verschlagen hat. Andererseits kann ich die Beweggründe, die Gans schließlich von dieser Idee Abstand nehmen ließen, bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen:
[W]e realized that it was impossible to talk about Silent Hill and not talk about why this town is like that. So we realized that we had to adapt the first one. 
Etwas merkwürdiger fand ich da schon, was der Regisseur in dem selben Interview über seine Herangehensweise an die "Mythologie" von Silent Hill sagt:
I'm only the illustrator of this mythology that has been invented by this guy [Komponist Akira Yamaoka, der bei dem Interview anwesend war] and his friend [Keiichirō Toyama], and it was important to be true to it, and if possible, to expand it some direction.
In Wirklichkeit hat Christophe Gans die "Mythologie" in zentralen Punkten völlig verändert. Im Spiel trägt der Kult von Silent Hill deutlich okkultistisch-satanistische Züge. Dass die Gottheit, die von seinen Anhängern verehrt wird, den Namen "Samael" trägt, ist bloß ein besonders offensichtlicher Fingerzeig hierfür. Ziel der Kultisten ist es, ihrem offenbar aus unserer Welt verbannten Gott die Rückkehr zu ermöglichen, damit er die Erde in ein Irdisches Paradies verwandeln kann. Nichts hiervon findet sich in dem Film. Bei Gans ist der Kult zu einer Verköperung des christlichen Fundamentalismus mit all seiner Intoleranz, Heuchelei und Grausamkeit geworden. 

Für manche Fans des Franchises dürfte in dieser Veränderung die größte Schwäche des Filmes – sein Verrat am "echten" Silent Hill bestehen. Ich sehe es genau umgekehrt. 
Das ursprüngliche Spiel besitzt soweit ich das beurteilen kann – eine fraglos ziemlich faszinierende Atmosphäre, doch im Zentrum seiner Story steht letztenendes bloß einmal mehr das infernalische Treiben eines satanisch-cthulhuiden Geheimbundes. Nichts sonderlich originelles. 
Natürlich ist auch das Thema von christlich-religiösem Fanatismus nicht eben neu, und Christophe Gans geht ganz sicher nicht auf besonders subtile Weise mit ihm um, aber es besitzt eine sehr viel engere Verbindung zur Welt, in der wir leben, und hat deshalb auch eine sehr viel stärkere Wirkung auf mich. Immerhin müssen wir schon seit längerem mit ansehen, wie christlich-fundamentalistische Gruppen nicht nur in den USA ihren Einfluss immer weiter ausbauen. Und auch wenn diese noch nicht damit begonnen haben, erneut Scheiterhaufen zu errichten und all jene, die sie für "sündig" halten, als Hexen zu verbrennen, kann es doch nicht schaden, immer mal wieder vor Augen geführt zu bekommen, wohin die Bigotterie dieser Fanatiker in letzter Konsequenz führen muss. Und mehr noch der Film zeigt nicht nur, zu welch extremer Grausamkeit religiöser Fundamentalismus führen kann, er zeigt auch, wie diese Grausamkeit ihre Opfer ihrereseits zu unmenschlichen Monstern machen kann, wie aus Schmerz und Hilflosigkeit Hass und das Verlangen nach Rache geboren werden, wie die ganze Welt auf diese Weise pervertiert und in eine Hölle verwandelt werden kann. Wie Alessa sagt: "When you're hurt and scared for so long, your fear and pain turn to hate, and the hate starts to change the world"

  
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* Drehbuchautor Roger Avary wurde von dem seit 1962 brennenden Minenfeuer von Centralia/Pennsylvania zu diesem Szenario inspiriert.

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