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Sonntag, 7. Juni 2015

"Come with me, abandon sanity!"

Meine Lieblingsfilme von Stuart Gordon sind ganz ohne Frage Re-Animator (1985) und The Black Cat (2007). Die beiden  repräsentieren für mich zugleich die zwei Pole von Gordons filmerischem Schaffen. Auf der einen Seite das großartig groteske, völlig überzogene und einmalig unterhaltsame Gore-Fest, auf der anderen die erstaunlich zurückhaltend inszenierte, feinfühlige und humane Verschmelzung von Edgar Allan Poes Kurzgeschichte mit Elementen aus dem realen Leben des großen Meisters des Makabren. {Dass der wunderbare Jeffrey Combs in beiden die Hauptrolle spielt, ist ein zusätzlicher Bonus.}

Die meisten anderen Werke Gordons, die ich kenne {und es ist mir immer noch nicht gelungenen, endlich einmal From Beyond [1986] anzuschauen}, scheinen mir irgendwo zwischen diesen beiden Extremen angesiedelt zu sein. Und das bedeutet leider auch, dass keines von ihnen die Qualität der vorgenannten Filme erreicht. Sie verfügen weder über die fröhliche Hemmungslosigkeit von Re-Animator, noch über die Sensibilität und Ernsthaftigkeit von The Black Cat. Sie sind weder Fleisch noch Fisch. Was nicht heißen soll, dass sie wirklich schlechte Filme wären. Ich habe mich von ihnen allen mehr oder minder gut unterhalten gefühlt. Aber auch wenn ich z.B. allen Horror- und Lovecraft-Fans durchaus empfehlen würde, sich bei Gelegenheit einmal Dagon (2001) anzuschauen, funktioniert der Streifen für mich doch weder als überdrehte Horrorgroteske à la Re-Animator, noch kann er als eine wirklich ernstzunehmende Adaption von Shadow over Innsmouth gelten. Er liegt vielmehr irgendwo dazwischen, und das ist ein Problem.

Vor kurzem nun hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit, Stuart Gordons Verfilmung von Lovecrafts The Dreams in the Witch House zu sehen. Der gut fünfzigminütige Streifen war sein Beitrag zur ersten Staffel von Mick Garris' TV-Anthologie Masters of Horror (2005), zu der neben ihm u.a. Don Coscarelli, Tobe Hooper, Dario Argento, Joe Dante, John Carpenter und Larry Cohen Episoden beisteuerten.



Den Auftakt zu der Serie bildet Coscarellis äußerst beeindruckender und verstörender Streifen Incident On and Off a Mountain Road. Im Anschluss daran muss Gordons als zweite Episode ausgestrahlte Lovecraft-Adaption beinah automatisch etwas harmlos und uninteressant wirken. Dennoch besitzt sie ohne Zweifel ihren bescheidenen Charme.

Es war vermutlich eine weise Entscheidung, gar nicht erst zu versuchen, die unirdischen Dimensionen visuell darzustellen, in die es den Mathematikstudenten Walter Gilman in Lovecrafts Geschichte verschlägt.   
Gilman’s dreams consisted largely in plunges through limitless abysses of inexplicably coloured twilight and bafflingly disordered sound; abysses whose material and gravitational properties, and whose relation to his own entity, he could not even begin to explain. He did not walk or climb, fly or swim, crawl or wriggle; yet always experienced a mode of motion partly voluntary and partly involuntary. [...]
The abysses were by no means vacant, being crowded with indescribably angled masses of alien-hued substance, some of which appeared to be organic while others seemed inorganic. A few of the organic objects tended to awake vague memories in the back of his mind, though he could form no conscious idea of what they mockingly resembled or suggested. [...]
All the objects
organic and inorganic alike – were totally beyond description or even comprehension. Gilman sometimes compared the inorganic masses to prisms, labyrinths, clusters of cubes and planes, and Cyclopean buildings; and the organic things struck him variously as groups of bubbles, octopi, centipedes, living Hindoo idols, and intricate Arabesques roused into a kind of ophidian animation. [...] The shrieking, roaring confusion of sound which permeated the abysses was past all analysis as to pitch, timbre, or rhythm; but seemed to be synchronous with vague visual changes in all the indefinite objects, organic and inorganic alike. 
Die Visualisierung einer solchen Welt jenseits aller menschlichen Erfahrung wäre, wenn überhaupt, dann nur in einem filmischen Stil möglich gewesen, der weniger stark dem "Naturalismus" verhaftet ist als Stuart Gordons. Lovecrafts Wortmagie hätte durch eine entsprechende Bild- und Tonmagie ersetzt werden müssen, die stärker darauf ausgerichtet gewesen wäre, eine bestimmte Atmosphäre heraufzubeschwören, und weniger, eine konkrete Wirklichkeit wiederzugeben
Es hat mich darum weder sonderlich überrascht noch enttäuscht, dass wir Gilmans nächtliche Reisen in die bizarren Gefilde jenseits der dreidimensionalen Welt nicht zu sehen bekommen. Allerdings büßt die Story dadurch einen Gutteil ihres spezifisch lovecraftianischen Flairs ein. Der alte Gentleman benutzte Elemente der neuenglischen Hexenfolklore (der Schwarze Mann, der Teufelspakt, die Walpurgisnacht etc.) als bloße Ausgangspunkte, um eine seiner Geschichten des "kosmischen" Grauens, der Konfrontation des Menschen mit einem in seiner Fremdartigkeit und Unmenschlichkeit Wahnsinn hervorrufenden Universums, zu erzählen. Davon hat sich in Gordons Adaption wenig erhalten. Zwar spielt auch bei ihm das Motiv einer inneren Verwandtschaft zwischen moderner Physik, höherer Mathematik und nichteuklidischer Geometrie einerseits und uralter Hexenkunst andererseits eine Rolle, doch Gilman wird zu keinem Zeitpunkt mit einer Wirklichkeit konfrontiert, die sich auf fundamentale Weise von der Welt menschlicher Erfahrungen unterscheidet. Zugleich wurden sämtliche Bezüge zu den Göttern des Cthulhu-Mythos (Nyarlathotep, Azathoth) gestrichen, und vielleicht nicht zufällig ist die kurze Szene, in der Gilman im Necronomicon herumblättert, eine der wenigen Momente, in denen der Films ins Farcenhafte abdriftet. In gewisser Weise kommt es damit zu einer Umkehrung des lovecraftschen Ansatzes. Gordon seinerseits benutzt die Story des alten Gentleman als bloßen Ausgangspunkt, um eine eher konventionelle Geschichte von Hexerei und Teufelskult zu erzählen.
Als solche funktioniert der Streifen freilich ganz gut. Und die sich nur zaghaft entwickelnde und dann blutig zerstörte Beziehung zwischen Gilman und seiner Zimmernachbarin Francis verleiht ihm außerdem eine angenehm menschliche Note, vor allem da Ezra Godden und Chelah Horsdal den beiden eine sympathische Unsicherheit und Ungeschicklichkeit im Umgang miteinander verleihen. Sie wirken wie zwei Menschen, denen es schwerfällt, soziale Kontakte zu knüpfen, und die sich gerade deshalb zueinander hingezogen fühlen.
Leider ist Brown Jenkin – der monströse Vertraute der alten Hexe Keziah – nicht so gruselig, wie er es sein sollte. Doch in Anbetracht des garantiert nicht eben üppigen Budgets haben Gordon und Makeup - Künstler Howard Berger vermutlich das Beste geleistet, was man in dieser Hinsicht erwarten darf.

Viel mehr will mir zu dem Filmchen eigentlich nicht einfallen. Ordentlich gemacht, aber nicht sonderlich inspiriert oder originell, bietet Stuart Gordons Dreams in the Witch House eine Dreiviertelstunde angenehmer Horrorunterhaltung, von der einem jedoch vermutlich nichts länger in der Erinnerung haften bleiben wird. 

Eine letzte kleine Anmerkung: Ich bin mir nicht ganz sicher, was ich über die Einfügung eines erotischen Elements in Gilmans Träume von Keziah denken soll. Mein Grund dafür ist weniger, dass in Lovecrafts Werken Erotik so gut wie keine Rolle spielt. Vielmehr habe ich das Gefühl, dass die Verknüpfung der Hexenfigur mit Sinnlichkeit/Sex/Verführung allmählich etwas arg überstrapaziert ist.
Freilich hat die H.P. Lovecraft Historical Society in ihrer 2013 veröffentlichten Rockoper Dreams in the Witch House offenbar ganz denselben Weg beschritten, wie sich unschwer aus folgendem Video erkennen lässt, dem ich den Titel für diesen Post entnommen habe und mit dem ich ihn nun auch beschließen will:



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