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Montag, 10. November 2014

Von der Unmenschlichkeit allegorischer Dichtung

But he the knight, whose semblaunt he did beare,
  The true Saint George was wandred far away,  
  Still flying from his thoughts and gealous feare;
  Will was his guide, and griefe led him astray.
  At last him chaunst to meete vpon the way
  A faithlesse Sarazin all arm'd to point,
  In whose great shield was writ with letters gay
  Sans foy: full large of limbe and euery ioint
He was, and cared not for God or man a point.


Einige der ganz großen Werke der europäischen Literaturtradition sind allegorische Dichtungen. Ich denke da u.a. an den Roman de la Rose von Guillaume de Lorris und Jean de Meun, an John Bunyans Pilgrim's Progress oder an Edmund Spensers Faerie Queene, aus der obige Verse stammen. Und auch wenn viele heutige Leserinnen & Leser vermutlich große Probleme mit dieser uns fremd gewordenen Art von Literatur haben, finde ich sie doch ziemlich faszinierend. Nicht zuletzt, weil sie uns einen Einblick in das Denken und Empfinden einer vergangenen Epoche verschafft. Einer Epoche, in der die menschliche Individualität weniger wichtig erschien als die Einordnung in ein gesellschaftlich sanktioniertes Wertesystem. In der man nicht so sehr man selbst als vielmehr die möglichst perfekte Verkörperung eines als universal verstandenen Idealtyps sein sollte. In der allegorischen Dichtung, die Menschen als bloße Symbole für unterschiedliche Tugenden und Sünden auftreten lässt, scheint sich mir etwas davon widerzuspiegeln.

Und da zu jenen Zeiten das ganz Europa unangefochten beherrschende Wertesystem ein christliches war, versteht es sich ganz von selbst, dass dabei der Nichtchrist, der "Ungläubige" zum Symbol für all das werden musste, was als  böse und bekämpfenswert galt. Wie ihre Namen ja schon ganz deutlich zum Ausdruck bringen, haben die Brüder "Sans foy" (= "Ohne Glauben"), "Sans loy" (= "Ohne Gesetz") und "Sans joy" (= "Ohne Freude") aus The Faerie Queene nicht wirklich etwas mit dem Islam zu tun. Dennoch werden sie als "Sarazenen", also als Muslime, bezeichnet.

Zum besseren Verständnis dessen ist es vielleicht hilfreich, darauf hinzuweisen, dass es in der volkssprachlichen Literatur des europäischen Mittelalters üblich war, alle Nichtchristen und Nichtjuden als Anhänger eines universalen, übergeschichtlichen Heidentums zu begreifen, in dessen Darstellung antike und islamische Züge miteinander verschmolzen wurden. So erscheinen selbst im großartigen Willehalm des Wolfram von Eschenbach -- diesem wohl berühmtesten Beispiel der "Höfischen Toleranz" -- die Muslime als Polytheisten und Götzendiener. Auf der anderen Seite werden die eigentlich eher an Wikinger gemahnenden Heiden ("paynim") im mittelenglischen King Horn dennoch als "Sarazenen" bezeichnet. Der Begriff konnte somit als Synonym für "Heide" schlechthin verwendet werden. So etwa, wenn es im Vorauer Alexander vom Pferd des Makedonenkönigs heißt: "So Sarrazin noch christenman / nichain bezzer ros gewan".

Ich denke, Spensers Verwendung des Begriffs muss in dieser Tradition gesehen werden. Das ändert natürlich nichts daran, dass der "Nichtchrist" {und vor allem der Muslim} hier zum gesichtslosen "Anderen" gemacht wird. Und da wir es mit einer allegorischen Dichtung zu tun haben, verliert er sogar jeden Rest seiner Menschlichkeit und wird zum bloßen Symbol für all das, was dem elisabethanisch-aristokratischen Publikum, für das der Dichter schrieb, hassenswert erschien.

Der amerikanisch-arabische Fantasyautor Saladin Ahmed hat vor kurzem eine Short Story veröffentlicht, in der er sich mit dieser Problematik auf sehr berührende Weise auseinandersetzt: Without Faith, Without Law, Without Joy. Unbedingt lesenswert!    

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