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Donnerstag, 3. Juli 2014

"It was not that the sounds were hideous, for they were not; but that they held vibrations suggesting nothing on this globe of earth ..."

Eingefleischten Horrorfans mag der Name John Strysik nicht ganz unbekannt sein. Ich selbst bin erst vor ein paar Tagen auf ihn aufmerksam geworden.
In den 80er Jahren trug Strysik als Drehbuchautor und Regisseur zu George A. Romeros TV-Serie Tales from the Darkside (1984-88) bei. Gegen Ende der 90er Jahre verfasste er zusammen mit Andrew Migliore The Lurker in the Lobby, ein Buch über Filmadaptionen der Geschichten von H.P. Lovecraft. Während der Arbeit daran interviewten die beiden natürlich auch Stuart Gordon, der mit Re-Animator (1985), From Beyond (1986), Castle Freak (1995) und Dagon (2001) einige der bekanntesten und vermutlich auch kommerziell erfolgreichsten Lovecraft-Filme gedreht hat. Auch wenn man hinzufügen sollte, dass diese Streifen mit Ausnahme des auf Shadow over Innsmouth basierenden Dagon {der zur Zeit des Interviews ja noch gar nicht existierte} nur sehr wenig mit den Stories des alten Gentlemans zu tun haben. Wie dem auch sei, jedenfalls kam es in der Folge mehrmals zu einer Kooperation zwischen Gordon und Strysik. Zuerst sorgte Gordon als Produzent für die Verfilmung von Strysiks Script Deathbead (2002), dann taten sich die beiden als Regisseur und Drehbuchschreiber zusammen, um mit Stuck (2007) Amicus Entertainments ersten Flick zu drehen.

Angesichts dieser Zusammenarbeit mag es erstaunlich wirken, zu erfahren, dass Strysik keine sonderlich hohe Meinung von Re-Animator zu haben scheint, dem Film, der bis heute Gordons bekanntestes Werk sein dürfte und den eigentlichen Startpunkt seiner Karriere in der Filmindustrie bildete. Zumindest als Lovecraft-Adaption hält er ihn für wenig gelungen. Und was er dazu zu sagen hat, entspricht ziemlich genau meiner eigenen Meinung:
[Stuart Gordon] made Re-Animator real cheap. He shot it like in 15 days or something like that. But the point I'm trying to get to is that they went for the gross parts. That's part of it but you really have to go for the mood. [...] I think with Lovecraft the main thing is creating a mood.
Strysik lässt keinen Zweifel daran, dass er Gordon für einen ausgesprochen talentierten Künstler hält. Immer wieder betont er, wie sehr ihn dessen Theaterarbeiten in den 70er Jahren begeistert hätten.* Doch die Verwandlung von Lovecrafts Stories in ein groteskes {und zugegeben sehr unterhaltsames} Gore-Fest à la Re-Animator behagt ihm offenbar nicht besonders.
Auf die Frage, was für ihn einen guten Horrorfilm ausmache, antwortet Strysik:
Realism. No matter how outrageous the subject matter, you have to believe it's really happening. It's the essence of drama – conflict – and human reactions trying to solve or deal with that conflict. To me the oldies are still the creepiest. My all time favorite is Karloff's The Mummy – he's very frightening yet you really feel for him, just like he did in Frankenstein.
Und wieder fühle ich mich dem Autor-Regisseur sehr nahe. Erst recht, da Karl Freunds The Mummy (1932) auch zu meinen ewigen Favoriten zählt.
Aber es wird noch interessanter. Nicht nur bezeichnet Strysik Roman Polanksis Repulsion und Rosemary's Baby als "twin foundation stones for all horror cinema", er nennt außerdem Luis Buñuel seinen persönlichen Filmgott. Offenbar war es das Werk des spanisch-mexikanischen Surrealisten, welches ihn dazu animierte, selbst ein Filmemacher zu werden: 
I actually got started in film almost by accident. I went to see a show called Freaks (back in my sophomore year in high school so that was in '69 or '70) which had been re-released and was playing in a little theatre in Chicago. On the bill (we knew nothing about it) was Luis Buñuel's Un Chien Andalou. This short surreal subject just completely blew me away and I started to make films after that.
Strysik besuchte eine Filmschule in Chicago, und als ihm das Art Council von Illinois finanzielle Unterstützung zur Produktion eines Kurzfilmes bereitstellte, entschloss er sich dazu, eine – na was schon? richtig! – eine Lovecraft-Adaption zu drehen. Seine Wahl fiel dabei auf The Music of Erich Zann.

Lovecraft soll die 1921 entstandene Kurzgeschichte angeblich für eine seiner besten Stories gehalten haben. Was mich an ihr besonders fasziniert, ist, dass sie in meinen Augen in besonders reiner Form jenes "kosmische Grauen" zum Ausdruck bringt, das wir mit dem Namen des alten Gentleman verbinden. In den meisten Fällen verknüpft Lovecraft das Motiv der "kosmischen" Verlorenheit des Menschen mit dem von Fäulnis und Verfall. In The Music of Erich Zann findet sich von letzterem jedoch fast nichts, wenn man von dem Fluss mit seinen "evil stenches which I have never smelled elsewhere" einmal absieht. Dafür eröffnet uns das Finale, wenn der namenlose Erzähler hinter den Vorhang in Erich Zanns Zimmer schaut, ein wahrhaft "kosmisches" Panorama:
Then I remembered my old wish to gaze from this window, the only window in the Rue d’Auseil from which one might see the slope beyond the wall, and the city outspread beneath. It was very dark, but the city’s lights always burned, and I expected to see them there amidst the rain and wind. Yet when I looked from that highest of all gable windows, looked while the candles sputtered and the insane viol howled with the night-wind, I saw no city spread below, and no friendly lights gleaming from remembered streets, but only the blackness of space illimitable; unimagined space alive with motion and music, and having no semblance to anything on earth.
Gerade weil sich Lovecraft anders als in den meisten seiner Geschichten hier auf eine skizzenhafte Andeutung des Gesehenen beschränkt, scheint mir diese Szene besonders effektiv zu sein: Keine tentakelbewehrten Monstrositäten, sondern die lichtlose Unendlichkeit des Alls, die Fremdartigkeit und Unmenschlichkeit des Universums selbst ...
Und es ist sicher kein Zufall, dass die Kunstform, die er mit diesem Eindruck in Verbindung bringt, ausgerechnet die Musik ist. Scheint diese doch am geeignetsten, etwas wiederzugeben, was nichts mit der uns bekannten, sinnlich wahrnehmbaren Realität zu tun hat. "It was not that the sounds were hideous, for they were not; but that they held vibrations suggesting nothing on this globe of earth ..."
In dieser Hinsicht bildet The Music of Erich Zann den diametralen Gegensatz zu der gut fünf Jahre später verfassten Kurzgeschichte Pickman's Model. Nicht nur steht in dieser die Malerei im Zentrum, Lovecraft entwirft dort auch eine Art Ästhetik des Phantastischen, die eine nüchterne, detailgetreue, geradezu "realistische" Darstellung des "Nichtdarstellbaren" fordert:
[T]he queer part was, that Pickman got none of his power from the use of selectiveness or bizarrerie. Nothing was blurred, distorted, or conventionalised; outlines were sharp and life-like, and details were almost painfully defined. [...] Pickman was in every sense – in conception and in execution – a thorough, painstaking, and almost scientific realist.
Wie ich vor Zeiten hier schon einmal kurz angemerkt habe, glaube ich, dass Lovecraft damit auch das künstlerische Programm für seine "reife Schaffensphase", die 1926/27 mit Werken wie The Call of Cthulhu und The Colour Out Of Space einsetzt, umreißen wollte. Im Vergleich dazu wirkt das musikalische Motiv in Erich Zann wie ein leiser Nachklang der Ästhetik von Décadence und Symbolismus, auch wenn Lovecraft nicht versucht, seiner Prosa eine "musikalische" Qualität zu verleihen, wie dies z.B. sein "dekadenter" Freund Clark Ashton Smith ganz sicher getan hätte.**

Bedauerlicherweise ist gerade das Finale der schwächste Teil von Strysiks Adaption, was der Regisseur im Rückblick übrigens ganz genauso sieht. Zum Teil ist das natürlich auf das sehr kleine Budget zurückzuführen, das dem jungen Filmemacher zur Verfügung stand. Aber auch wenn das vielleicht die nicht eben berauschenden "psychedelischen" Lichtmuster erklärt, die unser Charles Dexter Ward genannte Protagonist {eine unnötige Anspielung, finde ich} in der Finsternis erblickt, so entschuldigt dies nicht die unglückliche Entscheidung, zuvor die Silhouette einer nackten, tanzenden Frau auf dem Vorhang erscheinen zu lassen.  Erotik ist nichts, was zu Lovecrafts unmenschlichen kosmischen Abgründen passen würde.
Doch davon einmal abgesehen, ist John Strysiks The Music of Erich Zann ein recht beeindruckendes, kleines Filmchen. Nicht nur handelt es sich bei ihm um eine der wenigen, mir bekannten Lovecraft-Adaptionen, die sich sehr eng an ihrer literarischen Vorlage orientieren. Strysik gelingt es auch ziemlich gut, seinem eigenen Anspruch gerecht zu werden und eine intensive, der Geschichte angemessene Atmosphäre heraufzubeschwören. Ein Kunstgriff, dessen er sich dabei bedient, ist die Verwendung von "natürlichem" Licht. Wie der Regisseur selbst es beschrieben hat:
[A]t the time that it (der Film) was made there was a movie called the Days of Heaven which was done with lots of natural light and we wanted to experiment with that. So our movie was really pushing it. Like we did effects were we just used the lamps (in movies they're called practical lights were they don't do anything, they're just in the scene) but that was were all the lighting was. It was almost an experiment. You usually, if you are using an oil lamp, have a follow spot on the guy and you have weird shadows projected all over the place. One of the reasons we used the lamps was to at least get that mood, the mood that Lovecraft paints. And in order to do that you have to get the lighting right. So we were just using bug lights basically. There was a wire up the actors shirt and to get the smoking effect someone taped some incense to the bulb. It just worked beautifully. Some of those scenes are seven stops under. It was incredible and really came out nice.
Nicht unerwähnt bleiben soll außerdem, dass Robert Alexander einen ganz wunderbaren Erich Zann abgibt.

Man mag es bedauern, dass John Strysik nie wieder die Chance erhielt, sich an einer Lovecraft-Adaption zu versuchen. Andererseits, wer weiß, wie er heute – mehr als dreißig Jahre nach seinem Studenentenfilm – an die Stories des Gentlemans von Providence herangehen würde. Statt etwas nachzutrauern, was nie Wirklichkeit werden durfte, sollten wir uns lieber darüber freuen, das The Music of Erich Zann existiert. Es gibt nicht gar so viele, wirklich interessante lovecraftianische Filme.


 


* 1969 gründeten Stuart Gordon und seine Ehefrau Carolyn Purdy Gordon die Organic Theater Company, zu deren Produktionen u.a. Animal Farm nach George Orwell, The Odyssey nach Homer, Candide nach Voltaire, Ray Bradburys The Wonderful Ice Cream Suit und David Mamets Sexual Perversity in Chicago, vor allem aber die Warp! - Trilogie gehörten. Mitte der 70er Jahre arbeitete die Truppe außerdem mit Kurt Vonnegut (The Sirens of Titan) und Roald Dahl (Switch Bitch) zusammen und präsentierte daneben eine zweiteilige Adaption von Mark Twains Adventures of Huckleberry Finn.
** Vgl. meinen Artikel über George Sterlings Gedicht A Wine of Wizardry sowie Lovecraft und die Décadence.

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