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Montag, 24. März 2014

Vampire in Amerika (II): "Nightmare in Blood"

So manches erscheint merkwürdig an John Stanleys Nightmare in Blood. Es fällt mir z.B. ziemlich schwer, zu entscheiden, ob dem Film das Label "Horrorkomödie", welches ihm sowohl bei Wikipedia als auch bei IMDB verpasst wird, wirklich gerecht wird. Ohne Zweifel enthält er eine Reihe parodistischer Elemente, doch eigentlich nicht genug, um ihn zu einer echten Komödie zu erklären. Noch sehr viel eigentümlicher finde ich allerdings, dass der Streifen seine Premiere 1978 erlebte, vier Jahre nach Tobe Hoopers The Texas Chainsaw Massacre und ein knappes Jahr vor dem US-Start von George Romeros Dawn of the Dead. Ein Jahrfünft früher hätte er sich vielleicht gar nicht so übel gemacht, doch beim Zeitpunkt seines Erscheinens muss er eigentlich extrem unzeitgemäß gewirkt haben. Ist der Horror, auf den er sich halb ironisch, halb liebevoll bezieht, doch eindeutig nicht der Horror der 70er, sondern der "gotische" Grusel der 60er Jahre.
Das Publikum scheint das freilich nicht gestört zu haben. Schenkt man Wikipedia Glauben, so gehörte der Flick für ein Jahrzehnt zum festen Programm der Autokinos und machte selbst auf dem Videomarkt der 80er noch einen ordentlichen Gewinn. Ganz unverständlich ist das nicht, denn auch wenn Nightmare in Blood ganz sicher kein "guter" Film ist, so besitzt er doch unleugbar einen gewissen Charme.
     


Schon die Eröffnungssquenz wirkt recht eigenwillig. Wir bekommen die Schlussszene aus dem neuesten Film des {fiktiven} Horrordarstellers Malakai (Jerry Walter) zu sehen. Und die ist nicht nur unterirdisch schlecht, sondern stellt auch einen eigentümlichen Mix aus Vampirflick und Mantel- und Degen - Film dar, untermalt von einem völlig unpassenden Soundtrack. Irritierenderweise musste ich dabei spontan an Christan-Jaques Fanfan la Tulipe (1952) denken. Ein wunderbarer Film, aber keiner, den ich normalerweise mit Horror in Verbindung bringen würde ... Dass wir im direkten Anschluss daran miterleben dürfen, wie einer jungen Frau die Kehle aufgeschlitzt wird, macht das Ganze nur noch verwirrender ...
Der eigentliche Plot ist schnell zusammengefasst: Professor Seabrook (Dan Caldwell), sein Kumpel Scotty (John Cochran) und ihre gemeinsame Freundin Cindy (Barrie Youngfellow) sind dabei, die erste San Franciscoer HorrorCon zu organisieren. Hauptattraktion der Veranstaltung soll der Auftritt des exzentrischen Malakai sein, der seine Vampirrolle so ernst zu nehmen scheint, dass er sich auch im Privatleben im Sarg durch die Gegend schippern lässt und äußerst ungehalten reagiert, wenn man in seiner Anwesenheit Kruzifix-Anhänger trägt. Etwas verkompliziert wird die Angelegenheit durch den fanatischen Moralapostel Dr. Unworth (Justin Bishop), der "zum Schutz der Jugend" Proteste gegen diese "abscheuliche Veranstaltung" organisiert. Das eigentliche Problem ist jedoch der Star der Convention, denn {wen wundert's?} bei dem guten Malakai handelt es sich in Wahrheit um einen echten untoten Blutsauger, dem freilich ein jüdischer Nazi- und Vampirjäger (Mark Anger) bereits dicht auf den Fersen ist ...
Ich habe keine Ahnung, wie das amerikanische Fandom Ende der 70er Jahre tatsächlich ausgesehen hat, aber ich finde es doch erstaunlich, dass unsere Horror-Aficionados zwar ausgiebigst die Namen von Bela Lugosi, Lon Chaney Jr, Boris Karloff, Vincent Price und Christopher Lee zitieren, Night of the Living Dead, The Exorcist und Texas Chainsaw Massacre hingegen in dieser Welt nicht zu existieren scheinen. Und warum tragen so viele der jugendlichen Fanboys Planet of the Apes - Masken? Sehr seltsam ...
Ganz neckisch wirkt die Figur des Dr. Unworth, der ganz offensichtlich als Karrikatur des Psychologen Fredric Wertham angelegt ist, dessen berüchtigtem Buch Seduction of the Innocent {im Film heißt Unworths Schmöker Rape of the Young Mind} wir den Comic Code von 1954 und u.a. den Untergang der EC-Horror-Comics verdanken. Auch hier muss man sich allerdings fragen, wie zeitgemäß eine solche Anspielung 1977/78 denn noch gewesen ist. Schließlich war der Code inzwischen deutlich aufgeweicht worden und Horror-Comics konnten wieder an den Zeitungsständen erworben werden. {Berühmtestes Beispiel: Marvels Tomb of Dracula}. Andererseits sollte einige Jahre später in Großbritannien die Video Nasties - Panik ausbrechen. Zensur war also in der Tat kein Thema der Vergangenheit ...
Einen aristokratischen Pseudo-Dracula ins Amerika der 70er Jahre zu schicken, war nichts neues. Dieselbe Idee hatte bereits Count Yorga (1970) zugrundegelegen, Aber während der Vampir sich dort recht erfolgreich in die vom Streben nach esoterischer Selbstfindung beherrschte Mittelklasse hatte einfügen können, verharrt Freund Malakai ganz in der Rolle des "Lugosi"-Draculas mit schwarzem Cape und Glaceé-Handschuhen. Jerry Walter hat offensichtlich riesigen Spaß, den Untoten mit "osteuropäischem" Akzent zu geben, doch immer dann, wenn er die Maske fallen lässt und zum blutgierigen Monster wird, wirkt er eher lächerlich als furchteinflößend. Absicht? Vielleicht. Aber welchen Sinn sollte eine Parodie auf den traditionellen Filmvampir Ende der 70er Jahre noch haben? Das Klischee war ohnehin längst überwunden. Und ganz ähnlich verhält es sich mit den übrigen offensichtlich satirisch gemeinten Elementen des Filmes. Was z.B. habe ich davon zu halten, wenn der Inhaber des örtlichen Comicladens ein mystisch veranlagter, Roben tragender Hippie ist? Witzig wirkt das nicht. Erfreulicherweise erweist sich der eigenwillige Typ am Ende sogar als einer unserer Helden, aber dennoch stellt sich die Frage, was seine Gestalt eigentlich parodieren soll. Gab es im damaligen Fandom tatsächlich Typen, die Comics für eine Art erleuchteter Weisheitsliteratur hielten? Ich kann mir das kaum vorstellen. Aber natürlich bin ich kein Geek im Amerika der 70er Jahre gewesen ...
Nein, als Satire {auf was auch immer} funktioniert Nightmare in Blood wirklich nicht. Und als echter Horrorfilm eigentlich auch nicht. Es ist kein böser Zufall gewesen, dass Regisseur Stanley im Laufe seiner {sehr kurzen} Karriere keinen einzigen weiteren Spielfilm gedreht hat, und so gut wie kein Mitglied seines Ensembles je über irgendwelche Nebenrollen hinausgekommen ist. Man braucht sich ja bloß das schludrig inszenierte "große Finale" im alten Kino anzuschauen, das nun wirklich sehr viel spannender hätte sein müssen, als es letztlich geworden ist ...
Und doch besitzt Nightmare in Blood seinen trashigen Reiz. Kim Newman hat den Film einmal als "slapdash but enthusiastic"* bezeichnet, und tatsächlich atmet er so etwas wie Leidenschaft. Inkompetente Leidenschaft vielleicht, aber dafür ehrliche. Außerdem finde ich es irgendwie nett, dass der Kern unseres Vampirjägertrupps aus einem Juden und einem Schwarzen (Scotty) besteht. Auch habe ich anderswo noch nie gesehen, wie einem Vampir mittels eines Davidssterns Saures gegeben wurde. Allein das macht Nightmare in Blood meiner Meinung nach einen kleinen Abstecher wert ...     


* Kim Newman: Nightmare Movies. A Critical History of the Horror Film, 1968-88. S. 28.

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