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Donnerstag, 2. Januar 2014

"You must be devoid of pity!"

Rosemary's Baby is a film;
The Exorcist is a phenomenon;
The Omen is a package.

                               Kim Newman


Richard Donners Film The Omen gilt allgemein als einer der Klassiker des Horrors. Doch nachdem ich mir den Streifen, der erstmals 1976 in die Kinos gelangte, vor Kurzem wieder einmal angeschaut habe, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob er diesen Status auch wirklich verdient hat. 
Zweifelsohne enthält er einige genuin gruselige Szenen, wie den Selbstmord des Kindermädchens während Damiens Geburtstagsparty oder den von einem unnatürlichen Unwetter begleiteten Tod Father Brennans. Und dann ist da natürlich auch noch Keith Jennings spektakuläre Enthauptung. Wie Kim Newman einmal sarkastisch kommentiert hat: "If there were a special Madam Defarge Humanitarian Award for All-Time Best Decapitation, this lingering slow-motion sequence would get my vote." (1) Ganz sicher am furchteinflößendsten aber wirkt Billie Whitelaw als satanisches Kindermädchen Mrs. Baylock.
Im Ganzen hat der Film bei mir dennoch einen eher enttäuschenden und außerdem ziemlich fragwürdigen Eindruck hinterlassen. Dabei waren die zahlreichen Löcher im Plot und die voraussehbaren Wendungen der Handlung keineswegs der Hauptgrund.

Drei Faktoren trugen maßgeblich zur Entstehung und zum beträchtlichen kommerziellen Erfolg von The Omen bei:
  1. Roman Polanskis Rosemary's Baby (1968) hatte die Themen Satanismus und Antichrist in den amerikanischen Horrorfilm eingeführt.
  2. Der überwältigende Kassenerfolg von The Exorcist (1973) hatte nicht nur dem dekadent-stilvollen "gotischen" Horror der 60er Jahre, den wir mit Namen wie Vincent Price und Roger Corman verbinden, den Todestoß veretzt. Durch ihn war das Genre auch schlagartig interessant für die großen Studios geworden. Zugleich hatte ihm William Friedkins Schocker ein religiöses Element hinzugefügt, welches in dieser Form zuvor nicht vorhanden gewesen war.
  3. Mit Steven Spielbergs Jaws (1975) hatte sich allmählich das kommende Blockbuster-Schema herauszubilden begonnen.
Im Vorfeld der Premiere von Jaws hatte Universal die für damalige Verhältnisse außergewöhnliche Summe von $1,8 Millionen für eine breitangelegte Werbekampagne ausgegeben, wobei $700.000 in die Finanzierung von TV-Spots geflossen waren. Daneben war auch die Art, in der man die Premiere selbst organisiert hatte, ein Trendsetter für künftige Entwicklungen in der Hollywood-Industrie gewesen. Wie Joseph McBride in seiner Spielberg-Biographie schreibt:
The most lasting impact of Jaws on Hollywood was in helping bring about what has been called "the blockbuster mentality". Before Jaws it was rare for an important film to open in several hundred theaters simultaneously. But that was what Universal originally planned to do with it. "Universal had planned a mass-saturation blitzkrieg campaign in more than 1,000 theaters," Spielberg told The Hollywood Reporter in the week after the opening. (2)
Letztlich hatte man sich zwar auf 409 Kinos beschränkt, doch der Trend war gesetzt, und der phänomenale Erfolg von Jaws schien den Entscheidungsträgern bei Universal recht zu geben. Es ist darum nicht weiter verwunderlich, dass dieselben Techniken ein Jahr später auch bei The Omen zum Einsatz kamen. Wie man in Justin Wyatts Essay From Roadshowing to Saturation Release nachlesen kann:
A year after Jaws, Twentieh Century Fox copied the strategy for its promotion of the horror film, The Omen. Launching the picture with a tie-in novelization and two weekends of nationwide sneak previews, the destributor also sank the equivalent of the film's negative cost ($2.8 million) into advertising. [...] The film's distinctive logo – three 6's inside the O of the title – was emblazoned across the paperback and all print advertising to establish the movie's identity. While its R rating, almost by definition, limited grosses to a modest degree, The Omen opened at 526 theaters and garnered rentals of $28 million, making it the third-highest grosser for the year. (3)  
Mit dem 666 - Emblem versuchte man wohl nicht nur, etwas zu kreieren, was dem quasi über Nacht ikonisch gewordenen Hai von Jaws entsprechen sollte, sondern verlieh dem Film außerdem bereits im Vorfeld ein "satanisches" Flair. (4) Dass man damit an den Hype um den drei Jahre zuvor herausgekommenen Exorcist mitsamt der durch ihn ausgelösten Kontroversen anzuknüpfen versuchte, ist wohl mehr als wahrscheinlich.

Friedkins von Warner Bros produzierter Streifen hatte erstaunlicherweise kaum nennenswerte Nachahmer gefunden. Grund hierfür mag u.a. gewesen sein, dass die Themen Besessenheit und Teufelsaustreibung über das bereits gezeigte hinaus, kam etwas interessantes zu bieten schienen. Und so verwundert es nicht, dass Drehbuchschreiber David Seltzer sich für The Omen stattdessen ausgiebigst bei Rosemary's Baby bediente. Ironischerweise "säuberte" er die Story dabei von all den Elementen, die Polanskis Werk zu einem wirklich intelligenten und packenden Film gemacht hatten.
In meinen Augen hat Rosemary's Baby nur sehr wenig mit Religion und Okkultismus zu tun. Roman Polanski selbst hat einmal erklärt: "You don’t have to be superstitious to enjoy a fantasy.… Myself, I am down to earth in my philosophy of life, very rationally and materialistically oriented, with no interest in the occult." (5) Aus ganz demselben Blickwinkel heraus betrachte ich auch seinen Film. Er zeichnet vor allem das Bild einer monströsen Welt von Opportunismus, Gier und Unmenschlichkeit, die sich hinter einer harmlos wirkenden kleinbürgerlichen Fassade verbirgt. Hier gibt es keinen aufrechten Diener Gottes, der gegen die satanischen Mächte antreten würde. Rosemary's Baby kennt bloß rücksichtslose Täter und ein verlassenes, verratenes und letztlich hilfloses Opfer (Mia Farrow).
Nichts vergleichbares findet sich in The Omen. Wenn der Film äußerlich Elemente von Polanskis Werk übernimmt, so folgt er innerlich ganz dem von The Exorcist vorgezeichneten Weg.

Zwar wird in vielen klassischen Horrorfilmen der zentrale Konflikt zwischen Gut und Böse in religiöse bzw. mythische Bilder und Begriffe gekleidet. Der springende Punkt ist jedoch, dass er meiner Ansicht nach nicht wirklich über diese definiert wird. Van Helsing & Co verwenden zwar Kruzifix und Weihwasser im Kampf gegen die Mächte der Finsternis, aber sie sind weniger Streiter des Glaubens als vielmehr Verteidiger der Menschheit. (6) Mit The Exorcist ändert sich das auf sehr deutliche Weise. William Peter Blattys Romanvorlage stützte sich in zahlreichen Details auf den sog. "Exorzismus des Roland Doe" aus dem Jahre 1949. (7) Wichtig ist jedoch weniger, dass Autor und Regisseur vermeintlich "echte" Ereignisse zu Unterhaltungszwecken aufbereiteten, als vielmehr, dass der zentrale Konflikt ihrer Geschichte tatsächlich ein religiöser ist. Lankester Merrin und Damien Karras sind keine Van Helsings im Talar, sondern waschechte Diener Gottes und Seiner Kirche. Dabei zeigt insbesondere das Motiv von Karras' Glaubenskrise, dass ihr Ringen mit dem Dämon Pazuzu zugleich ein Kampf zur Überwindung von Zweifel und Unglauben ist.

Ein ähnlicher Geist beseelt auch The Omen. Und es ist dieser religiöse Unterton, der den Film für mich zu einem fragwürdigen Vergnügen macht.
Wenn Father Brennan in das Büro von Botschafter Thorn gestürzt kommt, um ihm die Wahrheit über seinen "Sohn" zu enthüllen, zeigt er alle Merkmale eines durchgedrehten Fanatikers. Das Vokabular, das er dabei verwendet, würde interessanterweise eher zu einem amerikanischen Evangelikalen als zu einem römisch-katholischen Priester passen: "You must accept Christ as your saviour ... Accept the Lord Jesus ... Accept Christ each day ..." Bizarrerweise beschwört er Thorn außerdem, tagtäglich das "Blut Christi" zu trinken, dabei sollte er doch eigentlich wissen, dass dieses Privileg einem katholischen Laien nur äußerst selten zuteil wird. Doch konfessionelle Eigentümlichkeiten einmal beiseitegelassen, präsentiert uns The Omen den Fanatismus Brennans als die genau richtige Reaktion auf den Anbruch der Endzeit. 
Kim Newman schreibt in Nightmare Movies: "The Omen is a stodgy, humourless film that suffers from the kind of religiosity that used to choke biblical epics of the 1950s." (8) Was die Humorlosigkeit angeht, ist das sicher richtig. Donners Film besitzt auch nicht das kleinste Bisschen Selbstironie. Dass ausgerechnet Gregory Peck die Hauptrolle spielt, verleiht ihm vielmehr fast so etwas wie Gravitas. In anderer Hinsicht halte ich den Vergleich mit den klassischen Bibelschinken jedoch für eher unangebracht. In selbigen war der Glaube an Gott mit Werten wie Nächstenliebe, Mitgefühl und oft einer (zugegeben amorphen) Solidarität mit den Armen und Unterdrückten verbunden. Nichts dergleichen findet sich in The Omen. Der Film gipfelt vielmehr im versuchten Ritualmord an einem fünfjährigen Kind. Natürlich ist Damien nicht wirklich ein Mensch, sondern der Sprössling Satans und eines Schakals, aber das macht die Szene nicht weniger unangenehm. 
Gregory Peck war im Laufe seiner Karriere zu so etwas wie der lebendigen Verkörperung moralischer Integrität im Hollywood-Kino geworden. (9) The Omen nutzt dieses Image auf geradezu perfide Weise aus. Wenn Robert Thorn nach langem Zögern schließlich bereit ist, seinen "Sohn" auf dem Altar des Herrn mit den Dolchen von Megiddo zu durchbohren, scheint dies die einzig moralische Handlung zu sein, gerade weil dabei Peck das Schlachtermesser schwingt. In Wirklichkeit jedoch besitzt der zentrale Konflikt von The Omen keinen realen ethischen Inhalt. Wofür stehen Damien und die Satansjünger? Abgesehen davon, dass sie bereit sind, über Leichen zu gehen, gibt uns der Film darauf keine Antwort. Und Thorn? Er ist Botschafter der USA und offenbar sehr reich. Wenn er und seine Frau Katherine überhaupt irgendetwas verkörpern, so konservative Vorstellungen von Ehe und Familienglück. Am Ende bleibt nichts Positives außer dem religiösen Fanatismus von Father Brennan und Bugenhagen {wohl nicht zufällig ein ehemaliger Exorzist!}, den letzterer in den Worten zusammenfasst: "You must be devoid of pity!"

Ich will nicht behaupten, The Exorcist oder The Omen seien ernstzunehmende Auseinandersetzungen mit religiösen Themen. Solche Filme gibt es, wie etwa Ingmar Bergmans Das siebente Siegel oder Pier Paolo Pasolinis Das Evangelium nach Matthäus. Und sie vermögen auch mir als Atheisten sehr viel zu geben. Vielmehr frage ich mich, ob Friedkins und Donners Horrorflicks nicht vielleicht einer angesichts der heftigen gesellschaftlichen Konflikte der 60er und 70er Jahre weitverbreiteten Sehnsucht nach unerschütterlichen Werten und Wahrheiten Ausdruck verleihen. Wenn dem so ist, so beweisen sie vor allem, dass dieses Verlangen am Ende zu äußerst unmenschlichen Resultaten führen muss. 



(1)  Kim Newman: Nightmare Movies. A Critical History of the Horror Film, 1968-88. S. 44.
(2) Joseph McBride: Steven Spielberg. A Biography. S. 258.
(3) Justin Wyatt: From Roadshowing to Saturation Release: Majors, Independents and Marketing/Distribution Innovations. In: John Lewis (Hg.): The New American Cinema. S. 79f.
(4) Lustigerweise sind gerade die Muttermale in Form der "Zahl des Tieres", die Damien und die Satansjünger tragen, eines der am lächerlichsten wirkenden Motive des Films. Eine unglückliche wortgetreue Interpretation einiger Verse aus der Offenbarung des Johannes: "Die Kleinen und die Großen, die Reichen und die Armen, die Freien und die Sklaven, alle zwang es [das Tier], auf ihrer rechten Hand oder ihrer Stirn ein Kennzeichen anzubringen [...]: den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens. Hier braucht man Kenntnis. Wer Verstand hat, berechne den Zahlenwert des Tieres. Denn es ist die Zahl eines Menschennamens; seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig." (Off 13, 16-18)  
(5) Zit. nach: David Walsh: An evaluation of Roman Polanski as an artist.
(6) Bei Bram Stoker war der Glaube an Gott noch eine ernstzunehmende und wichtige Motivation für den guten Doktor gewesen. Wenn auch nicht die einzige oder wichtigste. Die filmischen Versionen von Dracula verwenden christliche Symbole nur noch als konventionelle, ihrer ursprünglichen spirituellen Bedeutung entkleidete Versatzstücke. Das geht so weit, dass Peter Cushings Doktor in The Legend of the 7 Golden Vampires (1974) rundheraus erklärt, wenn in Europa das Kreuz die probate Waffe gegen die Untoten sei, so habe man in China buddhistische Symbole zu verwenden.
(7) Vgl.: Joe Nickell: Exorcism! Driving Out the Nonsense (In: Skeptical Inquirer Vol. 25.1 [Jan/Feb 2001]) // Mark Opsasnick: The Haunted Boy of Cottage City. The Cold Hard Facts Behind the Story That Inspired "The Exorcist".
(8) Kim Newman: Nightmare Movies. A Critical History of the Horror Film, 1968-88. S. 44.
(9) Vgl.: David Walsh: Katharine Hepburn, Gregory Peck and American Filmmaking. In Franklin J. Schaffners bei aller Absurdität gar nicht uninteressanten The Boys from Brazil sollte Peck 1978 allerdings zeigen, dass er mit Josef Mengele auch einen durch und durch bösen Charakter auf faszinierende Weise darzustellen vermochte. 

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