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Samstag, 9. November 2013

Halloween mit der Addams Family

In meiner Kindheit war mir Halloween nur deshalb ein Begriff, weil die G.I.s das Fest alljährlich auf der Burg Frankenstein in der Nähe von Darmstadt feierten, und man munkelte, dass es dabei ziemlich wild hergehen solle. Ob die Geschichten über durch die Gegend rollende blutige Schweinsköpfe der Wahrheit entsprochen haben oder bloß Urban Legends waren, habe ich nie herausgefunden. 

Inzwischen hat sich das Fest erfreulicherweise auch außerhalb amerikanischer Enklaven in deutschen Landen auszubreiten begonnen, was wieder einmal beweist, wie klasse "cultural appropriation" sein kann. Im Herzen des Odenwaldes freilich hat sich die Herrschaft von Jack O'Lantern bisher offenbar noch nicht so recht durchsetzen können. Außer dem vereinzelten Kürbis im Vorgarten fanden sich Ende Oktober kaum Anzeichen dafür, dass die Hohe Nacht der Hexen und Gespenster herannahte. So bestand für mich auch nicht die Möglichkeit, Halloween auf etwas sozialere Art zu feiern. Was also sollte ich tun? Die klassische Variante wäre natürlich gewesen, mir einfach ein paar geliebte alte Horrorflicks anzuschauen. Aber irgendwie stand mir danach nicht der Sinn. Mich verlangte es nach etwas Aufmuterndem. Also machte ich es mir an All Hallows' Eve schließlich mit einer Flasche Rotwein und einer Packung Haribo-Vampire gemütlich und startete einen kleinen Addams Family - Marathon.


Ende der 30er Jahre der Feder von Cartoonist Charles Addams entsprungen, fristeten die Mitglieder des Clans jahrzehntelang eine namenlose Existenz, bis sie 1964 den Sprung von den Seiten des New Yorker auf die Mattscheibe vollzogen. Für Morticia (Carolyn Jones), Gomez (John Astin), Wednesday (Lisa Loring), Pugsley (Ken Weatherwax), Onkel Fester (Jackie Coogan), Grandmama (Blossom Rock), Butler Lurch (Ted Cassidy) und "Thing" war dies darum beinah so etwas wie eine zweite Geburt. Was zuvor eine mehr oder minder disparate Gruppe von Figuren gewesen war, wurde zu einem festen Ensemble.
Neben Charles Addams, der die einzelnen Charaktere in ihren Grundzügen entwickelte, war es vor allem Produzent Nat Perrin, der für den ganz eigenen Charme der Addams Family sorgte. Der eng mit Groucho Marx befreundete Perrin hatte als Drehbuchschreiber u.a. an Duck Soup (Die Marx Brothers im Krieg; 1933), The Big Store (Die Marx Brothers im Kaufhaus; 1941) und Song of the Thin Man (dem sechsten und letzten Nick & Nora - Film; 1947) mitgewirkt. Und obwohl er im Vorspann nicht als Autor genannt wird, waren die meisten Dialoge in der Serie Produkte seines Gehirns.

Was die Addams Family neben ihren Exzentrizitäten und ihrem sympathischen Hang zum Makabren so liebenswert macht, lässt sich am besten zeigen, indem man sie mit ihren "direkten Rivalen", den zur selben Zeit auf einem Konkurrenzsender ausgestrahlten Munsters vergleicht.


Beide Serien mischten das Format der Familien-Sitcom mit Elementen aus der Welt des Horrors. Doch trotz einiger oberflächlicher Ähnlichkeiten, unterscheiden sie sich im Kern sehr deutlich voneinander.

Die Munsters sind nicht ganz ohne ihren eigenen Charme, aber neben der neckischen Grundidee – aus dem Ensemble der alten Universal-Ungeheuer* eine amerikanische Kleinfamilie zu machen – wird man nur wenig echten Witz oder Originalität in der Serie finden können. Völlig falsch läge man überdies, wollte man in ihr eine Satire auf die normale Familien-Sitcom der Zeit sehen. Sie hält sich vielmehr sehr eng an deren Konventionen, und ihr Grundkonzept macht sie dabei noch ganz besonders konformistisch. Die Munsters nämlich sind eine Einwandererfamilie, die in den Vereinigten Staaten heimisch werden will. Ihr Äußereres und einige ihrer Gepflogenheiten (so etwa schmückt Lily die Wohnung regelmäßig mit Spinnenweben), führen zwar immer wieder zu allerlei humorvollen Verwicklungen, sie selbst aber verfolgen das erklärte Ziel, eine ganz normale amerikanische Familie zu sein. Was nichts anderes bedeutet, als dass die damals üblichen kleinbürgerlichen Wertvorstellungen das leuchtende Ideal abgeben, dem sie nacheifern. So z.B. ist Herman ein geradezu "vorbildlicher" Arbeiter, fleißig und voller Dankbarkeit gegenüber seinem Chef. Und natürlich herrscht in der Familie selbst ganz die klassische Rollenverteilung. Lily mag sich mitunter als klüger erweisen als ihr etwas "langsamer" Eheman, aber es kommt kein Zweifel darüber auf, dass er Oberhaupt und Ernährer der Familie ist, während sie die Rolle des liebevollen und ergebenen Eheweibs spielt. Das Intro zur ersten Staffel illustriert sehr schön den gänzlich konventionellen Charakter der Serie.

Völlig anders die Addams Family! Sich in die Gesellschaft einzufügen, würde ihren Mitgliedern nicht einmal im Traum einfallen. Zwar halten sie ihr eigenes Verhalten für völlig normal und können sich nicht vorstellen, dass irgendjemand das anders sehen könnte, doch bedeutet das nicht, dass sie glauben würden, alle Welt sei wie sie. Ihr Abscheu vor allem, was das konventionelle Amerika der Zeit verkörpert, ist vielmehr äußerst pointiert. Als Pugsley Interesse an Baseball entwickelt und sogar den Pfadfindern beitreten will, kommt dies für Morticia und Gomez einer Katastrophe gleich. Es gilt die Familienehre zu verteidigen! Und sie ruhen nicht eher, als bis ihr Sohn zu seiner Vorliebe für Dynamit und zu Edgar Allan Poe als Gutenachtlektüre zurückgekehrt ist.
Nun ließe sich einwenden, dass die Addams Family aufgrund ihres Reichtums anders als die Munsters nicht gezwungen ist, sich in die Gesellschaft zu intigrieren. Gomez ist zwar ausgebildeter Strafverteidiger, geht seinem Beruf jedoch so gut wie nach. {Was kein Wunder ist, hat er doch noch keinen einzigen Fall gewonnen.} Geld ist dennoch in unerschöpflichen Mengen vorhanden. Wenn die Munsters zur Arbeiterklasse gehören, so sind die Addamses exzentrische "Aristokraten". Doch im Grunde wäre es reichlich absurd, an Serien wie diese "sozialrealistische" Maßstäbe anlegen zu wollen. Die Addams Family steht ganz einfach außerhalb der Gesellschaft. Niemand geht irgendeiner Arbeit nach. Pugsley und Wednesday besuchen nicht einmal eine Schule. {Wie auch sollten Morticia und Gomez ihre Kinder einer Institution anvertrauen, die sie dazu zwingen würde, solch schreckliche Bücher zu lesen wie Grimms Märchen, in denen arme alte Hexen in Backöfen verbrannt werden?!**} Die Addamses sind die ultimativen Außenseiter. Doch interessanterweise erscheinen die Vertreter der "Normalität", die ab und an ihr bizarres "Paralleluniversum" betreten {nur um es bald mit arg zerrütteten Nerven fluchtartig wieder zu verlassen}, meist sehr viel weniger sympathisch als unser liebenswerter Clan der makabren Exzentriker.
Und das verleiht der Serie im Gegensatz zu den Munsters eine echt subversive Note. Die Satire auf das kleinbürgerliche Amerika der 60er Jahre geht zugegebenermaßen nicht besonders weit. Der besondere Charme der Addams Family liegt woanders: In ihrer Sympathie für ein selbstbewusstes Außenseitertum, das sich nicht den herrschenden Konventionen unterwirft, und dabei nicht nur menschlicher, sondern auch sehr viel glücklicher wirkt als die "normale" Gesellschaft. Wie könnte man eine Serie nicht lieben, die folgenden Wortwechsel enthält?
Grandmama: I rememeber the first time I voted - 1906.
Uncle Fester: Nay Mama, you know there was no woman suffrage in 1906.
Grandmama: That didn't stop me.
Uncle Fester: A real Addam! ***
Auch die Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Familie legen Zeugnis vom nonkonformistischen Charakter der Addamses ab. Im Großen und Ganzen sind natürlich auch sie eine bürgerliche Kleinfamilie mit der entsprechenden Rollenverteilung, aber vom spießigen Mief, der die Munsters umgibt, ist hier nur wenig zu spüren. Dafür sind allerlei kleine Details verantwortlich. Wenn Gomez z.B. ein "ernstes Gespräch" mit Pugsley führen will {weil dieser plötzlich mit Pfadfinderuniform vor dem Spiegel posiert}, so spielt sich das keineswegs als klassisches "Vater-Sohn-Gespräch" ab. Er behandelt ihn vielmehr beinah wie einen Gleichgestellten. Als "väterliche Autoritätsfigur" wäre Gomez in der Tat auch reichlich ungeeignet, legt er selbst doch immer wieder eine geradezu kindliche Begeisterungsfähigkeit an den Tag. {Sein Lieblingshobby ist es, Modelleisenbahnen in die Luft zu sprengen.} Für einen "Patriarchen" ein ziemlich unangmessenes Verhalten.
Am sympathischsten aber ist meiner Ansicht nach die Beziehung zwischen ihm und seiner Frau. Herman und Lily Munster sind das "ideale Ehepaar". Gomez und Morticia hingegen sind ein Liebespaar, das nebenbei auch noch verheiratet ist. Leidenschaft und Sinnlichkeit dominieren ihre Beziehung. Obwohl sie die {liebevollen} Eltern zweier Kinder sind, herrscht zwischen ihnen nach wie vor die erotische Spannung, die man eigentlich eher zwischen zwei Frischverliebten erwarten würde. Das verstößt nicht nur gegen die puritanischen Regeln der Zeit, es verleiht ihrer Beziehung auch eine beneidenswerte Lebendigkeit und Verspieltheit. Eine der schönsten Verkörperungen dessen ist es, wenn die beiden zum Spaß ein kleines Fechtduell veranstalten. Und Morticia weiß die Klinge ebenso geschickt zu führen wie ihr Gatte.

Gut möglich, dass ich mehr in die Addams Family hineininterpretiere, als sich in der Serie tatsächlich findet. Doch wenn dem so sein sollte, will ich das gar nicht wissen. Dazu mag ich den verschrobenen Clan viel zu sehr. Ich denke, ich werde mir in näherer Zukunft einmal wieder alle Episoden der Serie zu Gemüte führen. Und wer weiß, vielleicht bekomme ich ja sogar Lust, mich anschließend Barry Sonnenfelds Kinofilmen aus den frühen 90ern zuzuwenden. Meine Erinnerung an die ist mehr als nur ein bisschen verschwommen ...

* Da die Munsters von Universal Television produziert wurden, war es möglich, für Herman das ikonische Design des Boris Karloff - Monsters zu verwenden, während z.B. Hammer Film Productions bei ihren Frankenstein-Filmen gezwungen waren, dem Ungeheuer ein deutlich anderes Aussehen zu verleihen. 
** Zumal Morticias Vorfahren aus Salem stammten ...
*** S01E04: Gomez the Politician.  

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