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Samstag, 19. Oktober 2013

Dumm, öde, sadistisch und misogyn

Ich habe einen schweren Fehler begangen. Ich habe mir Wolf Creek angeschaut.

Als ich den Startknopf drückte, hatte ich keine Ahnung, um was es in dem australischen Independent-Horrorflick aus dem Jahr 2005 geht. Andernfalls hätte ich mir dieses unappetitliche Erlebnis ganz sicher erspart. Es gibt Filme, die einen mit dem Gefühl entlassen, in den letzten anderthalb Stunden ein kleines Stück der eigenen Menschlichkeit verloren zu haben. Greg McLeans Machwerk gehört zu dieser Kategorie.

Über die Story gibt es nicht viel zu erzählen: Liz, Kristy und Ben sind auf einer Tour durch die australischen Outbacks. Nach einem Abstecher zu dem gewaltigen Krater von Wolf Creek müssen sie feststellen, dass ihr Auto nicht mehr anspringt. Wie zufällig kreuzt einige Stunden später Mick Taylor, eine Art in die Jahre gekommener Crocodile Dundee, mit seinem Truck auf und schleppt sie in sein Camp ab. Doch wie sich sehr bald schon herausstellt ist der hilfsbereite Hinterwälder in Wirklichkeit ein sadistischer Serienmörder. Was folgt ist eine dreiviertel Stunde voller Folter, Verstümmelungen und vergeblicher Fluchtversuche.

Eigentlich wäre es völlig ausreichend, den Anfang von Roger Eberts Besprechung des Streifens zu zitieren:
It is a film with one clear purpose: To establish the commercial credentials of its director by showing his skill at depicting the brutal tracking, torture and mutilation of screaming young women. When the killer severs the spine of one of his victims and calls her "a head on a stick," I wanted to walk out of the theater and keep on walking.
Dennoch möchte ich dem noch einige meiner eigenen Gedanken hinzufügen.
Was mich an Filmen dieser Sorte abstößt, ist nicht so sehr die extreme Gewalt. Die drastische Darstellung von Gewalt kann eine berechtigte Rolle in einem Film spielen. Es ist vielmehr  das voyeuristische Vergnügen, mit dem sie das Quälen und Erniedrigen von Menschen in Szene setzen. Und dass sich Wolf Creek dabei ganz auf das Schicksal der beiden jungen Frauen konzentriert, während Ben für den Folterpart ganz von der Bildfläche verschwindet, mischt dem Sadismus noch eine ordentliche Dosis Misogynie bei. Ein in jeder Hinsicht widerwärtiges Süppchen, das McLean da zusammengebraut hat.

Doch wie leider eigentlich immer in solchen Fällen, finden sich auch bei Wolf Creek mehr als genug professionelle Kritiker, die diese filmische Beleidigung der Intelligenz und Humanität des Publikums zu einem Meisterwerk erklärt haben. Schauen wir uns ein paar ihrer Arguemente mal etwas genauer an.

Peter Bradshaw schreibt im Guardian:
McLean's film shows its high IQ by letting nothing scary happen for around half an hour; there is something absorbingly real and even romantic in the way a shy attraction develops between Liz and Ben. The stomach-turning events that follow are leavened with moments of grisly comedy. There is a brilliant joke about Crocodile Dundee's catchphrase: "You call that a knife?" Spielberg himself might have admired the buttock-clenching suspense in which someone hears a faint bang outside his stationary vehicle and gets out to find a bullet hole in the thermos flask he had placed on the car roof just a moment before, the liquid glugging out of it. Then a distant clang and an approaching whine of a second bullet will have you ducking and yelping in alarm. This is the best Australian movie since Lantana, and deserves an audience outside the horror fanbase.
Ich hoffe, Mr. Bradshaw hat nur wenige australische Filme der letzten fünfzehn Jahre gesehen. Andernfalls müsste ich ihn zu einem hirntoten Kretin erklären. Auch kann ich mir kaum vorstellen, dass Steven Spielberg seinen Spaß an diesem sadistischen Spektakel hätte. Dafür scheint er mir eine viel zu humane Persönlichkeit zu sein.  Doch zum Inhalt:
Was die erste halbe Stunde des Films betrifft, so wirkt sie in stilistischer Hinsicht extrem uneinheitlich. Sequenzen, die beinahe so aussehen, als gehörten sie in einen "Found Footage" - Film, stehen unverbunden neben sehr professionell, beinahe stilisiert anmutenden Bildern des australischen Hinterlandes. Mal rückt die Kamera den drei jungen Leuten extrem eng auf die Pelle, mal streift sie über die gloriosen Weiten des Outback. Der Eindruck, den dieser Mix hinterlässt, ist in erster Linie irritierend. Inhaltlich enthält der Part ein paar Red Herrings über Ufos und den Meteoritenkrater von Wolf Creek, seine eigentliche Funktion ist jedoch, ein emotionales Band zwischen dem Publikum und den drei Protagonisten herzustellen. Das gelingt ihm zugegebenermaßen recht gut {ein Beleg dafür, dass McLean nicht ohne Talent ist}. Aber wie die zweite Hälfte des Filmes zeigt, geschieht dies nur, um uns die anschließenden Misshandlungen von Liz und Kristy noch quälender erscheinen zu lassen. Es geht dabei nicht um die dargestellten Personen, sondern um die geschickte Ausbeutung unserer Fähigkeit zur Empathie.
Und was den angeblichen "Humor" betrifft. Man muss schon sehr abgestumpft sein, wenn man da noch lachen kann.

NF von TimeOut London zitiere ich bloß als Beispiel für das pompös-pseudointellektuelle Geschreibsel, mit dem sogenannte "Kritiker" heutzutage gerne ihre Vorliebe für dumpfen, misanthropen Müll kaschieren:
Set in the Australian outback, and tapping into contemporary fears about feral killers who prey on vulnerable tourists, Greg McLean’s gut-wrenching, nerve-shredding debut feature boasts some nightmarish scenes of human cruelty. Yet we never for a moment doubt his integrity or motives, still less his control over the medium. Shot on digital video by a filmmaker with a background in painting and theatre, it fuses beautifully textured images with fierce, intense performances and a jarring soundtrack to create a shattering vision of primal terror.[...] The film takes to extremes the distressing empathy we feel at the sight of someone being hunted and tortured. The violence is flat, ugly and remorseless, our sense of powerlessness overwhelming. Compare this to Austrian intellectual Michael Haneke’s overly self-conscious ‘Funny Games’, which lectured us about the seductiveness of screen violence. By making us feel the pain, Greg McLean's ferocious, taboo-breaking film tells us so much more about how and why we watch horror movies.
Dazu gibt es wenig zu sagen, denn diese Rezension enthält kein einziges Argument. Es würde mich aber schon interessieren, worin NF die "Motive" des "integren" McLean sieht. Leider gibt er (oder sie) uns darüber keine genauere Auskunft. {Anbei: Filmen, denen heutige Kritiker das arg missbrauchte Attribut "taboo-breaking" verpassen, sollte man in den meisten Fällen glaube ich lieber aus dem Weg gehen.}

Dan Jolin verkündet im Empire Magazine:
McLean turns in an upsettingly effective psycho-killer thriller, giving cinema its latest great boogeyman in the form of Mick Taylor, a creation which smartly inverts the Australian myth of the chirpy, tells-it-like-is, Outback-yomping bushman. Realised with sinister relish by the burly, silver-maned John Jarratt, who clearly revels in the archetype-corruption (McLean’s script even cheekily throws in a few Crocodile Dundee references, including a horrifying – yet guiltily amusing – reference to the "This is a knife" gag), Taylor comes on like Steve Irwin’s sadistic, Satanic uncle, a former vermin exterminator who now uses his skills to torture and kill unfortunate backpackers.
Ah ja, die Figur des Mick Taylor als subversive Pervertierung eines nationalistischen Mythos. Darauf habe ich gewartet. Ich gebe zu, der Gedanke ist nicht gänzlich abwegig. Im Gegenteil, ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass dies tatsächlich McLeans Absicht gewesen ist. Bloß entlarvt man nicht wirklich ein Klischee {den aufrechten Crocodile Dundee - Typ}, indem man es durch ein anderes {den perversen, mörderischen Hinterwäldler} ersetzt.
Ich finde es höchst amüsant, dass eine ganze Reihe von Kritikern Wolf Creek für "innovativ" hält. Grund hierfür ist vermutlich, dass der Streifen von den traditionellen Regeln des Slasherfilms abweicht und nicht mit dem Triumph der letzten Überlebenden über den Killer endet. Doch in anderer Hinsicht ist McLeans Werk extrem "traditionell". Es überträgt ganz einfach die Grundideen des "Redneck-Horrors" von amerikanischem auf australischen Boden. Das mag für Down Under neu sein, nicht aber für den Horrorfilm. In Filmen wie Tobe Hoopers Texas Chain Saw Massacre (1974) besaß dieses Subgenre vielleicht wirklich noch eine leicht subversive Qualität, doch schon damals war ihm unverkennbar ein elitäres Element beigemischt. All diese Geschichten über mörderische, kannibalistische oder sexuell perverse "Hillbillies" spiegeln zu einem Gutteil einfach bloß die Verachtung einer städtischen, akademisch gebildeten Mittelklasse gegenüber der ländlichen arbeitenden Bevölkerung wider. Wolf Creek ist dafür ein gutes Beispiel, denn der Film macht sehr deutlich, dass der monströse Mick Taylor in gewisser Hinsicht Stellvertreter all der {männlichen} Bewohner des Outback ist. Bevor sich Liz, Kristy und Ben zu dem gewaltigen Krater aufmachen, legen sie einen kurzen Zwischenstopp in Emu Creek ein. Und was fragen die schmierigen Gäste des Diners den guten Ben? Ob seine Freundinnen nicht Lust auf einen ordentlichen "Gangbang" hätten! Natürlich, wer abseits der "aufgeklärten" Künstlerkreise von Sydney lebt, muss ein potentieller Vergewaltiger sein ...

Und das ist vielleicht das schlimmste Verdammungsurteil, das man über Wolf Creek fällen kann: Der Film ist öde und einfallslos!

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