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Sonntag, 8. September 2013

Tempus fugit*

Oh Mann, ist es tatsächlich schon zwanzig Jahre her, dass die erste Folge von The X-Files über den Fernsehschirm flimmerte?!? Ich komme mir langsam alt vor ...


In den nächsten Wochen werden sich sowohl Hypnobobs als auch das Shonky Lab und der Black Dog Podcast Chris Carters Kreation widmen, deren erste Episode am 10. September 1993 ausgestrahlt wurde und die zu der am längsten laufenden SciFi-Serie der amerikanische TV-Geschichte werden sollte. Wer eine fundierte Besprechung oder informierte Diskussionen sucht, sollte zu gegebener Zeit bei Mr. Jim Moon, Pete & Elton oder Lee & Darren reinlauschen Bei mir wird er oder sie nichts dergleichen finden, denn meine Beziehung zu Akte X war nie besonders innig. Obwohl ich damals ziemlich eng mit einem richtigen X-Files-Fangirl befreundet war, hat mich die Serie nie wirklich in ihren Bann zu schlagen vermocht.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich sie nie von Anfang** bis Ende gesehen habe, auch wenn ich verschwommene Erinnerungen an die allerletzte Folge zu haben glaube. Die X-Files sind für mich vor allem Teil eines Goldenen Zeitalters der TV-Phantastik, das in der Realität zwar mehr als ein Jahrfünft umfasste, im Rückblick für mich jedoch zu einer Art Einheit zusammengeschmolzen ist. Jener Zeit, in der mir u.a. Babylon 5, DS9, Buffy und Farscape den Alltag versüßten. Ich nehme an, dass zu einem nicht unbeträchtlichen Teil Ereignisse in meinem persönlichen Leben – und weniger die einzelnen TV-Serien – für dieses Bild der Vergangenheit verantwortlich sind. Tatsache bleibt jedoch, dass von allen "großen" Serien dieser Zeit Akte X bei mir den am wenigsten bleibenden Eindruck hinterlassen hat.
Wenn ich versuche, aus den schattenhaften Gefilden der Erinnerung konkrete Gründe hierfür ans Tageslicht zu befördern, so klingt es für mich am wahrscheinlichsten, dass der "große Handlungsbogen" – der "Mytharc" – dafür verantwortlich war. Ich glaube nicht, dass mich die Verschwörungsstory um Ufos, Außerirdische und böse alte Männer in Nadelstreifenanzügen je wirklich zu faszinieren vermochte. Die Episoden, an welche sich bei mir eine relativ lebendige Erinnerung erhalten hat, wie Humbug (Der Zirkus), Our Town (Unsere kleine Stadt) oder Quagmire (Der See), gehörten ausnahmslos zu den Monster-of-theWeek - Folgen.
Doch vergessen wir nicht, dass zu jener Zeit die bloße Existenz eines übergeordneten Handlungsbogens in Fernsehserien noch eine große Seltenheit war. Die X-Files gehörten zu einer Art Übergangsepoche in der TV-Geschichte, in der das alte episodische Schema allmählich von einem neuen Konstruktionsprinzip abgelöst wurde. Und mit der möglichen Ausnahme von J. Michael Straczynskis Babylon 5 existierte bei keiner der phantastischen Serien jener Zeit ein von vornherein ausgearbeitetes Story-Konzept. So berechtigt es ist, Lost (2004-10) oder Battlestar Galactica (2004-09) vorzuwerfen, dass offenbar keiner der verantwortlichen Autoren zu Beginn wusste, wohin die Geschichte sich eigentlich entwickeln sollte, so unfair wäre es, dieselbe Anklage gegen Chris Carter vorzubringen. Andererseits zeigte ungefähr zur selben Zeit Deep Space 9 wie man dieses Problem wenn schon nicht ganz ohne kleinere Stolpereien, so doch jedenfalls auf sehr viel elegantere Weise lösen konnte. Und dass der "Mytharc" der X-Files mit den Jahren allmählich immer wirrer und unbefriedigender wurde, steht wohl außer Zweifel.

Jahre später, als alle unmittelbaren Eindrücke längst verblasst waren, gesellte sich noch ein weiteres Argument zu meiner privaten Kritik an den X-Files hinzu. Wenn ich mich recht entsinne, bin ich diesem das erste Mal in einem Vortrag begegnet, den Richard Dawkins 1996 in BBC1 gehalten hatte:
How do we account for the current paranormal vogue in the popular media? Perhaps it has something to do with the millennium - in which case it's depressing to realise that the millennium is still three years away. Less portentously, it may be an attempt to cash in on the success of The X-Files. This is fiction and therefore defensible as pure entertainment.
A fair defence, you might think. But soap operas, cop series and the like are justly criticised if, week after week, they ram home the same prejudice or bias. Each week The X-Files poses a mystery and offers two rival kinds of explanation, the rational theory and the paranormal theory. And, week after week, the rational explanation loses. But it is only fiction, a bit of fun, why get so hot under the collar?
Imagine a crime series in which, every week, there is a white suspect and a black suspect. And every week, lo and behold, the black one turns out to have done it. Unpardonable, of course. And my point is that you could not defend it by saying: "But it's only fiction, only entertainment".***
Nun gibt es so manches, was ich an Dawkins auszusetzen habe. Seinen Umgang mit dem Thema Religion halte ich im allgemeinen für ahistorisch und vulgärmaterialistisch, seine islamophoben Ausfälle für widerlich und reaktionär. Dennoch hat der britische Biologe immer mal wieder auch recht kluge Dinge zu sagen. Und in diesem Fall bin ich der Meinung, dass er einen wichtigen Punkt anspricht
Als erklärter Liebhaber des Phantastischen in allen seinen Erscheinungsformen habe ich prinzipiell natürlich nichts dagegen, wenn im Rahmen einer TV-Serie der Inhalt der Fortean Times als ebenso glaubwürdig dargestellt wird wie der des guten alten Brockhaus. Doch das Grundkonzept der X-Files war es nun einmal, in jeder Episode die Ansichten eines "Gläubigen" und die einer Skeptikerin gegeneinanderzustellen, nur um jedesmal den "Gläubigen" siegen zu lassen. Und auch wenn die Produzenten der Serie das ganze "Paranormale" {und auch den Charakter Mulder} nicht ohne Ironie anpackten, halte auch ich dieses Konzept für nicht ganz unproblematisch, wenn man bedenkt, dass es immer noch erschreckend viele Leute gibt, die fest an die Existenz von Engeln, Auren, mystischen Edelsteinkräften, Chi, Bigfoot, dem Roswell-UFO oder diversen Seemonstern glauben. Und es dürfte schwerfallen, den seinerzeitigen Erfolg der X-Files nicht wenigstens zum Teil darauf zurückzuführen, dass die Serie alle möglichen Formen des zeitgenössischen Aberglaubens aufgriff und mit dem für Verschwörungstheoretiker so typischen populistischen, antiwissenschaftlichen und vage "Establishment"-kritischen Geist verband.**** Was das über den Zeitgeist der 90er Jahre aussagt, will ich jetzt nicht zu analysieren versuchen.

Aber auch wenn man einmal alle "ideologischen" Erwägungen beiseite lässt, musste dieses Konzept bald schon zu einem echten Problem werden. Woche für Woche wurde Scully mehr oder weniger eindrücklich vor Augen geführt, dass ihre "wissenschaftsgläubige" Sicht der Welt falsch ist, und doch dauerte es sehr lange, bis sie auch nur in Erwägung zu ziehen begann, dass Mulder vielleicht recht haben könnte. Das musste nicht nur ziemlich schnell unglaubwürdig wirken, sondern machte die als intelligente und kompetente Wissenschaftlerin eingeführte Scully außerdem zu einer bornierten "Fanatikerin", die nicht sehen will, was sich vor ihren eigenen Augen abspielt, weil sie andernfalls ihre Überzeugungen in Frage stellen müsste. Andererseits verlor die Serie ihren dramatischen Kern, sobald Scully von ihrem Skeptizismus abzurücken begann. Dasselbe Problem haben alle Serien, die auf einer starren, fest umrissenen Figurenkonstellation beruhen. Die Charaktere dürfen sich nicht wirklich entwickeln, und wenn sie es schließlich doch tun, verliert die Geschichte das, worin ursprünglich ihr Reiz bestand.

Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, war das neben dem wild wuchernden "Mytharc" ein weiterer Grund, warum mir die späteren Staffeln immer weniger zusagten. Eine "bekehrte" Scully fand ich einfach nicht mehr so ansprechend. Andererseits glaube ich, dass ich der Serie überhaupt nur wegen Gillian Anderson so lange die Treue hielt..
Zehn Jahre lang die Hauptdarstellerin in einer Kultserie zu sein, hat sicher seine angenehmen Seiten. Doch leider verbaut es einem oft wohl auch eine Menge künstlerischer Entwicklungsmöglichkeiten. Auf jedenfall hätte ich Gillian Anderson sehr gerne häufiger in anderen Filmen und anspruchsvolleren Rollen gesehen. Dass sie das Talent dazu besitzt, hat sie vor allem in Terence Davies' ausgezeichneter Adaption von Edith Whartons The House of Mirth aus dem Jahre 2000 bewiesen:*****  




* Warum soll ich mich nicht genauso prätentiös geben, wie der gute Chris Carter? (S04E17)
** Für Deutschland war das der 5. September 1994, als Pro7 die erste Folge von Akte X ausstrahlte.
*** Richard Dawkins: Science, Delusion and the Appetite for Wonder. (Richard Dimbley Lecture, BBC1, 12.11.1996.)
**** Vgl.: Erich Goode: Why Was The X-Files So Appealing? (Skeptical Inquirer, September/Oktober 2002)
***** Vgl. David Walshs Besprechung des Films.

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