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Freitag, 2. August 2013

Ein kurzer Kommentar zu "Akira"

Als Lee & Darren kürzlich im Black Dog Podcast Katsuhiro Otomos Akira auf das Programm setzten, dachte ich mir, das wäre eigentlich ein guter Anlass, um sich den Animeklassiker aus dem Jahre 1988 wieder einmal anzuschauen. Obwohl es vielleicht klüger wäre, wenn ich mir mal ein paar von den Animeklassikern angucken würde, die ich noch gar nicht kenne. Was de facto auf so gut wie alle übrigen zutrifft. Ich habe nie behauptet, ich ließe mich in meinen Entscheidungen immer von Logik leiten ... 


Gleich vorweg sei gesagt, dass ich den Kultstatus, den dieser Film genießt, nie wirklich verstanden habe. Und auch meine erneute Begegnung mit ihm hat daran nichts geändert.  Allerdings kenne ich mich in der Welt der Animes halt auch so gut wie überhaupt nicht aus. Ich habe mich nie eingehender mit der Ästhetik und Tradition dieser Form der Filmkunst beschäftigt. Und so kann es gut sein, dass ich einfach nicht über das nötige Verständnis verfüge, um die besonderen Qualitäten von Akira zu erkennen. Und das ist völlig ernst gemeint. Geschmack entsteht meiner Meinung nach zu einem wichtigen Teil aus Erfahrung.

Wenigstens einer der Black Dog - Feedbacker legt großen Wert darauf, zu betonen, Akira spiegele in vielen Punkten japanische kulturelle Eigenheiten wider. Nun wäre es sehr verwegen, wenn ich behaupten wollte, in dieser Frage sonderlich kompetent zu sein, aber mein erster Gedanke bei meiner Wiederbegegnung mit dem Film war ein völlig entgegengesetzer. Während ich Kaneda und Tetsuo auf ihren Motorrädern durch das nächtliche Neo-Tokio rasen und ihre Fehde mit der Clown-Gang austragen sah, musste ich ganz spontan denken: "Hey, wie ähnlich sich doch die meisten dystopischen Szenarien der 80er Jahre sind!" Der Moloch Großstadt mit seinen kalten Hochhausfassaden, gähnenden Straßenschluchten und funkelnden Neonleuchtreklamen weckte augenblicklich Assoziationen zu Ridley Scotts Blade Runner und William Gibsons Neuromancer-Trilogie in mir. 
Ich bezweifle nicht, dass sich in Akira eine Menge spezifisch japanisches findet, aber mir sind halt zuerst einmal die Ähnlichkeiten mit "westlichen" Werken der Zeit aufgefallen.
Wikipedia zufolge beschreibt Jenny Kwok Wah Lau den Manga Akira in ihrem Buch Multiple Modernities als "a direct outgrowth of war and postwar experiences". Dazu kann ich natürlich kein informiertes Urteil abgeben. Doch was den Anime angeht (und schließlich wurden beide von Otomo kreiert), so kann ich in ihm kaum Spuren einer solchen Beziehung erkennen. Gut, die dreißig Jahre zurückliegende Vernichtung Tokios, die den Hintergrund der Geschichte bildet, mag auf verschwommene Weise an das grausige Schicksal von Hiroshima und Nagasaki erinnern. Aber davon einmal abgesehen, scheint mir Akira sehr deutlich in den Realitäten der 80er Jahre verwurzelt zu sein. Und das erklärt auch die Parallelen zu amerikanischen Filmen und Büchern.
Auf den ersten Blick mag das etwas fragwürdig klingen, stellte die gesellschaftliche Entwicklung im Japan der 80er Jahre in vielem doch das genaue Gegenteilt zu der in den USA dar. Während in den Vereinigten Staaten die alten Kernindustrien zu verrotten und ehemalige industrielle Zentren wie Detroit zu verelenden und zu veröden begannen, erlebte das Land der Aufgehenden Sonne einen gewaltigen ökonomischen Boom. Im Grunde waren diese Prozesse zwei Seiten derselben Medaille. Nachdem die wirtschaftliche Expansion der 50er und 60er Jahre zu einem Ende gekommen war, hatte sich das Kapital auf die internationale Jagd nach neuen Investionsmöglichkeiten begeben, die das bedenkliche Absinken der Profitrate aufzuhalten oder wenigstens zu verzögern versprachen. Japan war die erste Anlaufstellle, was dem Land für einige Jahre ein gewaltiges Wachstum bescherte, derweil in den alten Metropolen die Deindustrialisierung einsetzte.
In anderer Hinsicht jedoch ähnelten sich die Verhältnisse in Japan und im "Westen" sehr wohl. Hier wie dort waren die Protestbewegungen der späten 60er und frühen 70er Jahre letzlich gescheitert, und es machte sich das Gefühl breit, der Kapitalismus habe endgültig über alle konkurrierenden Gesellschaftsentwürfe triumphiert. In Japan mochte dieser Eindruck aufgrund des Wirtschaftsbooms, der außerdem die sich schon seit längerem vollziehende Zersetzung der traditionellen gesellschaftlichen Bande beschleunigte, sogar noch stärker sein So gesehen verwundert es nicht, dass wir in Akira eine Atmosphäre von gesellschaftlicher Entfremdung, sinnloser Gewalt und allgemeinem Nihilismus antreffen, wie sie uns aus zeitgleich entstandenen "westlichen" Werken nur all zu gut bekannt sein dürfte.

Kaneda und Tetsuo sind Außenseiter, die der existierenden Gesellschaft und ihren Autoritäten gleichgültig bis offen feindselig gegenüberstehen. Außer ihrer Motorradgang gibt es für sie kein "Zuhause", und auch in dieser herrschen Neid und Konkurrenzgeist.
Nun kann man an solche Outsiderfiguren auf sehr unterschiedliche Weise herangehen. Der große Shohei Imamura (1926-2006) etwa – einer der bekanntesten Vertreter der Nuberu Bagu ("Neuen Welle") – tat dies in seinen Filmen grundsätzlich mit sehr viel Sympathie und Humanität, wobei er zugleich nie den historischen und sozialen Kontext aus den Augen verlor, in dem sich seine Charaktere bewegen. Doch spätestens in den 90er Jahren begann sich im japanischen Kino die Tendenz auszubreiten, solche Personen mit einem zunehmend distanzierten oder zynischen Blick zu betrachten, wobei man sie zugleich mehr und mehr als isolierte Subjekte und nicht mehr als Teil einer Gesellschaft fasste. Gegen Ende seines Lebens wirkte Imamura deshalb wie das letzte Überbleibsel einer vergangenen Epoche – jener Ära, die den japanischen Film zurecht weltberühmt gemacht hatte.
Akira scheint mir in vielem leider eher Züge der "neuen" Betrachtungsweise aufzuweisen. So ist es mir äußerst schwer gefallen, für irgendeinen der Protagonisten echte Sympathie aufzubringen, und dass nicht nur, weil sie ständig am Brüllen und Kreischen sind. Im Grunde werden sie uns alle als egoistische Arschlöcher vorgeführt. Und auch wenn mir mein Hirn sagt, dass wir sie vermutlich als Opfer einer grausamen Gesellschaft sehen sollen, kann sich mein Herz nicht für sie erwärmen. Dabei ist es auch nicht gerade hilfreich, dass wir während des großen Finales Zehntausende Bewohner Neo-Tokios sterben sehen, scheinbar jedoch keinen Gedanken an ihr Schicksal verschwenden sollen.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich will Akira nicht in Bausch und Bogen verdammen. Dazu enthält er viel zu viele wunderbar groteske und völlig durchgedrehte Momente. Kein Film, der eine solche Szene enthält, könnte mich völlig kaltlassen:


1 Kommentar:

  1. Der Anime ist eine stark gekürzte und modifizierte Version der sehr umfangreichen Manga-Vorlage. Diese übertrifft den Film, von dem ich beim ersten Schauen sehr enttäuscht war, in Hinsicht auf Handlung und Charakterentwicklung bei weitem.

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