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Mittwoch, 10. Juli 2013

Oh, Those Awful Orcs!

In schöner Regelmäßigkeit tauchen im phantastischen Netz immer mal wieder Artikel auf, in denen J.R.R. Tolkiens Werk des Rassismus geziehen wird. Und solange ein Gutteil der tolkienistischen Fangemeinde die Existenz rassistischer Elemente in Büchern wie dem Lord of the Rings immer noch strikt leugnet, sind solche Artikel wohl auch von Nöten. Dennoch habe ich mit vielen von ihnen so meine Probleme. 
Zuerst einmal finde ich es bezeichnend, dass es in den meisten tolkienkritischen Beiträgen ausschließlich um Rassismus {und mitunter Sexismus} geht. Außer dem obligatorischen Hinweis auf den "Konservatismus" des "Professors", findet sich in ihnen selten eine allgemeinere Auseinandersetzung mit der Weltanschauung, deren literarischer Ausdruck Tolkiens Werke sind. In meinen Augen zeichnet sich ein Großteil dieser "linken" Literaturkritik durch eine schrecklich oberflächliche Herangehensweise aus. Statt einen Beitrag zum tieferen Verständnis der behandelten Werke leisten zu wollen, erschöpfen sie sich oft darin, diese einem "politisch korrekten" Lackmustest zu unterziehen. Was dabei herauskommt muss nicht falsch sein, aber es beschränkt sich auf oberflächliche Beobachtungen.
Sehr viel schlimmer allerdings ist, dass nicht wenige dieser Artikel zudem auch noch beredtes Zeugnis von der Unwissenheit und Schlampigkeit ihrer Verfasser oder Verfasserinnen ablegen.Mit G. Willow Wilsons The Orc Renaissance: Race, Tolerance and Post-9/11 Western Fantasy ist ein sehr hübsches Beispiel hierfür kürzlich auf Tor.com aufgetaucht. 
Schon nach der Lektüre des zweiten Absatzes fällt es mir schwer, die Verfasserin noch länger ernstzunehmen:
Tolkien did not write in a vacuum. Caught up in a generation of global war that profoundly and permanently altered British culture, he saw the world in terms Samuel Huntington might have recognized: the “clash of civilizations” in which East and West are pitted against one another. It is not a coincidence that Tolkien locates evil in Middle Earth in the East and South, or that the Haradrim mercenaries recruited by Saruman are readily identifiable as North African Arabs. Nor is it a coincidence that the dividing line between good and evil, the river Isen, is a homonym of the common German surname Eisen, and is given the same meaning (“iron”). A midcentury English reader might have even read orc and heard turk, drawing upon an indelible cultural memory of a time when the Ottoman-dominated east was militarized, technologically superior and very threatening, a memory that resurfaced when the Ottoman Empire, now in its death throes, sided with the Germans in World War I. Tolkien’s real life enemies, the ones he faced on the battlefield, were transposed into the pages of his work.
"Eisen" soll also ein üblicher deutscher Nachname sein? Das wäre mir aber neu! Und inwieweit stellt der Fluss Isen im Lord of the Rings die "Grenzlinie zwischen Gut und Böse" dar? Es gibt eine Schlacht an den Furten des Isen zwischen den Rohirrim und Sarumans Heer, aber das macht den Fluss doch noch lange nicht zu einer symbolischen Grenze! Dafür würde sich eher noch der Anduin eignen. {Richtig wäre allerdings auch das nicht.} Und natürlich kämpfen die Haradrim auch überhaupt nicht in Sarumans, sondern in Saurons Armee. Auch gleichen sie keinesfalls "nordafrikanischen Arabern", sondern eher den "Mohren" der mittelalterlichen Heldenepen. Und Söldner sind sie schon gar nicht. Sie kämpfen vielmehr für den Herrn von Mordor, weil sie ihn für eine Art Gottkönig halten. Auch stimmt es nicht, dass das Böse in Mittelerde stets "im Osten und Süden" angesiedelt ist. Morgoths Festungen Utumno und Angband befinden sich im 1.Zeitalter vielmehr im Norden, der in der mittelalterlichen Literatur klassischen Himmelsrichtung des Bösen. Und dass Tolkien im Weltkrieg natürlich nicht türkischen, sondern deutschen Soldaten gegenüberstand, dürfte sich wohl von selbst verstehen. Ebenso erscheint es mir ziemlich verwegen, behaupten zu wollen, die Briten der 40er Jahre hätten den Kampf gegen Nazideutschland {und das war doch wohl der "globale Konflikt" ihrer Zeit} als einen "Clash of Civilizations" im Sinne des ollen Huntington verstanden.
Diesem Absatz folgen einige Ausführungen über die Orks in World of Warcraft und einer Reihe weiterer Computerspiele, über die ich nichts sagen kann, da ich mich mit diesen nicht auskenne. Doch dann wird uns folgende Köstlichkeit serviert:
Even the film adaptations of The Lord of the Rings itself, directed by Peter Jackson, were careful to take into account the way the realities of the 21st century have impacted Tolkien’s original metaphors. In the director’s cut of The Two Towers, there is a short but astonishing scene which does not occur in the original novel: Faramir stands over the body of a slain Harad mercenary and gives what amounts to a eulogy, wondering aloud what forces caused the man to leave his native land and fight in a war on the other side of the world, and whether he would not rather be safe at home. It is a poignant pause that would have had little meaning before 9/11, the shockwaves of which still reverberate through the global conversation about race, religion and armed conflict.
Hat die gute Frau den Lord of the Rings überhaupt gelesen? Was sie hier als eine Schöpfung Peter Jacksons bezeichnet, findet sich beinahe Wort für Wort in Tolkiens Roman, nur ist es nicht Faramir, sondern Sam, der sich diese Gedanken macht. Und wenn wir uns schon mit den Filmen beschäftigen wollen: In der Darstellung der Orks und in der Inszenierung der großen Schlachten sind diese sehr viel "rassistischer" und "militaristischer" als ihre literarische Vorlage.
Solche Artikel sind keine ernstzunehmenden Beiträge zu einer kritischen Debatte über Tolkien und die Fantasy. In ihrer peinlichen Schlampigkeit tragen sie vielmehr dazu bei, eine solche zu erschweren; scheinen sie doch bloß zu belegen, dass die Kritiker und Kritikerinnen des "Professors" sich nicht einmal die Mühe machen, seine Bücher aufmerksam zu lesen. All jenen, die eine ernsthafte und kritische Auseinandersetzung mit der Fantasy befürworten, leisten "progressive" Schreiberlinge wie G. Willow Wilson einen Bärendienst.

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