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Mittwoch, 24. Juli 2013

Der Lord der Traumlande

Monarch of Fancy! whose ethereal mind
Mounts fairy peaks, and leaves the throng behind;
Whose soul untainted bursts the bounds of space,
And leads to regions of supernal grace:
Can any praise thee with too strong a tone,
Who in this age of folly gleam'd alone?
Thy quill, DUNSANY, with an art divine
Recalls the gods to each deserted shrine;
From mystic air a novel pantheon makes,
And with new spirits fills the meads and brakes;
With thee we wander thro' primeval bow'rs,
For thou hast brought earth's childhood back, and ours!
How leaps the soul, with sudden bliss increas'd,
When led by thee to lands beyond the East!

Mit diesen altertümlich anmutenden Versen besang H.P. Lovecraft den Mann, dessen 135. Geburtstag wir heute feiern können: Edward John Moreton Drax Plunkett, den 18. Baron von Dunsany, eines der großen Genies der klassischen Phantastik und einen der Wegbereiter der modernen Fantasy.

Als Spross einer der ältesten und reichsten Adelsfamilien Irlands verbrachte er seine Kindheit abwechselnd auf den Familiensitzen in Meath (Dunsany Castle), Kent (Dunstall Priory) und London, um anschließend in den Genuss einer standesgemäßen Ausbildung in Eton und der Royal Military Academy  Sandhurst zu gelangen. 1901 zog er als Offizier in den Zweiten Burenkrieg, heiratete 1904 Lady Beatrice Child Villiers, die jüngste Tochter des Earl of Jersey, und widmete sich in der Folge hauptsächlich seinen literarischen Neigungen. Aristokrat vom Scheitel bis zur Sohle blieb Lord Dunsany auch nach der Gründung der Irischen Republik ein überzeugter Royalist und pflegte als begeisterter Jäger und Cricket-Spieler einen typisch adeligen Lebenstil. Und doch umgab ihn stets der Hauch des "Anderen", "Fremdartigen", wie Ernest A. Boyd in seinem Essay über ihn schreibt:
The man himself gives the impression of a strange contradiction of personality. Coming of old aristocratic stock, Edward John Moreton Drax Plunkett, 18th Baron Dunsany, preserves in some degree the traditional habits and characteristics of his race. He was educated at Eton, and served for some time as an officer in the Coldstream Guards. His tall, athletic stature gives him the air of the typical Britisher of his class. One could imagine him, correctly attired in the conventional silk hat and morning coat of Bond Street, passing undistinguished amongst his fellows in the Grand Stand at Goodwood.
In point of fact, Lord Dunsany is known as a cricketer and sportsman to many who know and care nothing for the poet that is in him. His is, as it were, a double life; on the one side his activities in the world of sport and society, on the other his adventures into the world of letters. For, let us hasten to add, the immaculate, " clean-limbed Englishman " we have pictured him does not correspond so much to what he is, as what, but for the grace of God, he might have become. Of his social existence as Lord Dunsany there is no doubt, but even in his personal appearance there is just that element of carelessness – which betrays the presence of preoccupations not altogther confined to conventions sartorial and otherwise. In short, he fails in some slight, but noticeable, details to conform exactly to type, thus creating a curious impression of duality. He is almost what he, at first sight, seems to be, but " not quite !" There lingers about him some touch of Bohemianism, an indifference to externals, which at once suggests the other Lord Dunsany.*
Edward Plunkett unterhielt enge und freundschaftliche Kontakte zu vielen Vertretern und Vertreterinnen der Irischen Literaturbewegung, u.a. auch zu William Butler Yeats, aber sein eigenes Werk enthält auf den ersten Blick wenig vom Geist der Keltischen Renaissance. Seine Form der Phantastik unterscheidet sich vielmehr sehr deutlich von der in Yeats' Fairy and Folk Tales of the Irish Peasantry, The Celtic Twilight oder In the Seven Woods. Selbst dann, wenn er in seinen Erzählungen Elfen und Feen auftreten lässt, handelt es sich bei diesen doch unverkennbar nicht um das Volk der Sidhe.

Seinen ersten großen Erfolg konnte Lord Dunsany 1905 mit The Gods of Pegana erzielen. Und es ist dieses Buch, das ihm einen ganz besonderen Rang in der Ahnenreihe der modernen Fantasy sichert.
Oft und gerne wird J.R.R. Tolkien als deren "Vater" bezeichnet, und das sicher nicht zu unrecht. Doch wenn der vielleicht wirkmächtigste Beitrag des "Professors" zum Genre darin bestand, seine Geschichten in einer bis ins Detail ausgearbeiteten "Sekundärwelt" mit eigener Geographie, Geschichte und Mythologie anzusiedeln, wobei diese Welt zu mehr wurde als einem bloßen "Schauplatz" und eine eigenständige Bedeutung erhielt, sollten wir nicht vergessen, dass er auch hierin seine Vorgänger besaß.
Das Konzept der "Sekundärwelt" wird häufig auf William Morris und seine phantastischen Erzählungen The Water of the Wondrous Isles, The Well at the World's End und The Sundering Flood zurückgeführt.  Allerdings hat Matthew David Surridge in einer auf Black Gate veröffentlichten Serie von Essays einmal recht überzeugend dafür argumentiert, dass die Krone hier in Wirklichkeit Sara Coleridge mit ihrem Buch Phantasmion gebührt.  Doch wie auch immer die Genealogie genau aussehen mag, auf jedenfall fügte ihr Lord Dunsany ein wichtiges Element bei, indem er erstmals nicht nur eine "Sekundärwelt", sondern auch eine dazugehörige fiktive Theogonie und Mythologie erschuf.

Ich habe keine Ahnung, ob es Belege dafür gibt, dass Tolkiens Ainulindale direkt von Gods of Pegana inspiriert wurde. Ich halte das für eher unwahrscheinlich, obwohl der "Professor" Lord Dunsanys Werke zweifellos kannte und schätzte. Was hingegen außer Frage steht, ist, dass das Buch einen beträchtlichen Einfluss auf H.P. Lovecraft ausübte. Wenn dieser in seiner berühmten Studie Supernatural Horror in Literatur über Dunsany schrieb "His point of view is the most truly cosmic of any held in the literature of any period", so hatte er dabei vermutlich vor allem Gods of Pegana im Sinn.
Dunsany entwirft dort eine Mythologie, in der die ganze Welt und das Leben und Sterben der Menschen nichts weiter sind als ein Spiel der Götter, die mit homerischem Gelächter auf das Treiben der Sterblichen herabschauen. Niemand kann seinem vorherbestimmten Schicksal entgehen und auf jeden wartet am Ende der Tod. Genau genommen ist Gods of Pegana vor allem ein Buch über die Sterblichkeit. Im Drama des Weltgeschehens einen tieferen Sinn erkennen zu wollen, ist ein hoffnungsloses Unterfangen, und auch die Götter sind letztenendes nur Sklaven ihrer Bestimmung. Denn wenn Mana-Yood-Sushai, ihr Schöpfer, aus seinem Schlummer erwacht, werden die Welt und mit ihr all die Kleinen Götter wieder untergehen. Man kann eine solche Sicht natürlich "kosmisch" nennen, doch Dunsanys Kosmizismus unterscheidet sich sehr deutlich von dem Lovecrafts. Während dessen Weltbild von einem menschenfeindlichen Nihilismus durchtränkt ist, liegt über Gods of Pegana ein Hauch zarter Melancholie. Die liebenswertesten Götter in Dunsanys Pantheon sind Limpang-Tung, Herr der Musik, und Yoharneth-Lahai, Meister der Träume. Auch sie können das Schicksal der Menschen nicht grundsätzlich verändern. Zur festgelegten Stunde wird Mung der Tod zu jedem von uns kommen und das Zeichen des Mung über uns machen. Doch selbst wenn die beiden das Leben der Menschen nicht zu verlängern vermögen, so machen ihre Gaben es doch schöner und lebenswerter. Dunsany kann mitunter zynisch sein und besitzt eine Vorliebe für schwarzen Humor, doch die Menschen mit ihren Träumen und Hoffnungen sind ihm nicht völlig gleichgültig. Er belächelt ihre Versuche, dem Dasein eine metaphysische Bedeutung unterzuschieben, aber seinem Spott ist Sympathie beigemischt. Die netteste Figur des Buches ist der Prophet Imbaun, der u.a. die Mär von einem glücklichen Jenseits in die Welt setzt, sich jedoch weigert, eine Hölle zu erfinden, in der seine Anhänger ihre Gegner schmoren sehen wollen. Dunsanys Hohn richtet sich vor allem gegen jene Priester und selbsternannten Weisen, die behaupten, das Geheimnis des Daseins ergründet zu haben, und die den einfachen Leuten einreden, sie hätten Macht über das Schicksal und den Tod, um dann aufs fürstlichste von den ‘milden Gaben’ der Leichtgläubigen zu leben.
Als Lovecraft sich daranmachte, selbst zum "myth-maker" zu werden, folgte er damit ausdrücklich dem Vorbild Lord Dunsanys. Wie er in einem Brief an Frank Belknap Long erklärte, wollte er dieses Projekt "with that childish sincerity" angehen, "which no one but the earlier Dunsany has tried to achieve nowadays". Plunketts Einfluss zeigt sich am deutlichsten in den sog. "Dreamland"-Geschichten. Doch bin ich der Überzeugung, dass an dieser Stelle auch die Entwicklung ansetzte, die schließlich zur Kreation des Chthulhu-Mythos führte. Wie genau dies meiner Ansicht nach geschah, hoffe ich ein andermal ausführlich darlegen zu können.

Den Gods of Pegana folgten in den nächsten zehn Jahren eine Reihe von Bänden mit phantastischen Kurzgeschichten: Time and the Gods (1906), The Sword of Welleran (1908), A Dreamer's Tales (1910), The Book of Wonder (1912), Fifty-one Tales (1915) und Tales of Wonder (1916). In meinen Augen sind sie es, mit denen sich Lord Dunsany einen dauerhaften Platz im Pantheon der Phantastik verdient hat. Die besten von ihnen zeichnen sich durch die flimmernde Farbigkeit und Musikalität ihrer Sprache, eine feine Ironie, ungebremste Fabulierlust, sowie einen leichten Hang zum Makabren aus. In vielen von ihnen entführt uns der Dichter in jene wundersamen Traumlande, die auf immer mit seinem Namen verbunden bleiben werden. In eine Welt voll exotischer Schönheit, die jedoch auch nicht ganz frei ist von Elementen des Unheimlichen. In seinem Essay Lord Dunsany and His Work schreibt Lovecraft über diese Kurzgeschichten:
We here find the best Dunsanian forms fully developed; the Hellenic sense of conflict and fatality, the magnificently cosmic point of view, the superbly lyrical flow of language, the Oriental splendour of colouring and imagery, the titanic fertility and ingenuity of imagination, the mythical glamour of fabulous lands 'beyond the East' or 'at the edge of the world,' and the amazing facility for devising musical, alluring, and wonder-making proper names, personal and geographical, on classical and Oriental models. Some of Dunsany's tales deal with the objective world we know, and of strange wonders therein; but the best of them are about lands conceivable only in purple dream. These are fashioned in that purely decorative spirit which means the highest art, having no visible moral or didactic element save such quaint allegory as may inhere in the type of legendary lore to which they belong. Dunsany's only didactic idea is an artist's hatred of the ugly, the stupid, and the commonplace. We see it occasionally in touches of satire on social institutions, and bits of lamentation over the pollution of Nature by grimy cities and hideous advertising signs. Of all human institutions, the billboard is most violently abhorrent to Lord Dunsany.
Dem meisten hiervon schließe ich mich vorbehaltslos an, doch übersieht der Gentleman von Providence meiner Meinung nach eine wichtige Facette von Dunsanys Werk. Nicht selten bildet die graue Welt des modernen London den Hintergrund für seine farbenfrohen Traumgeschichten, und manchmal ergeht sich der zivilisationsmüde Lord sogar in Visionen vom Untergang der verhassten Städte. Doch anders als Lovecraft dachte er dabei nicht nur an das Leid der einsamen, poetisch empfindsamen Seele d.h. an sein eigenes Leid. Nicht wenige seiner Erzählungen geben vielmehr Zeugnis ab von seiner Sympathie für die "kleinen Leute". Der Held von The Wonderful Window aus dem Book of Wonders etwa ist ein kleiner Angestellter, der sich aus der geisttötenden Tretmühle seines Berufes in ein romantisches Wunderreich flüchtet. Ähnliches gilt für den Protagonisten von The Coronation of Mr. Thomas Shap, nur dass Dunsany sich dort zusätzlich über kleinbürgerliche Allmachtsfantasien lustig macht, und die Flucht des armen Mr. Shap deshalb tragikomisch im Irrenhaus endet, nachdem er sich in seinem Traumland zum Gott gemacht hat. In The Kith of the Elf Folk Dunsanys Version der Melusinegeschichte in The Sword of Welleran geht die menschgewordene Fee beinahe an der Seelenlosigkeit der modernen Gesellschaft zugrunde, nachdem man sie als Arbeiterin in eine Textilfabrik gesteckt hat, wo die Menschen zu Sklaven der Maschine geworden sind und ihr trostloses Dasein umgeben von Hässlichkeit und Elend fristen müssen. Und eine seiner schönsten Geschichten The Highwaymen erzählt voller Humor und Sympathie von drei Straßenräubern, die ihren gehängten Kameraden Tom nachts vom Galgen schneiden und im Grab eines Bischofs beisetzen, nachdem sie die Leiche des heiligen Herrn zuvor hinausbefördert haben, um ihrem Freund so den ewigen Frieden zu sichern.
Thence the soul of Tom, arising hallowed out of sacred ground, went at dawn down the valley, and, lingering a little about his mother's cottage and old haunts of childhood, passed on and came to the wide lands beyond the clustered homesteads.  There, there met with it all the kindly thoughts that the soul of Tom had ever had, and they flew and sang beside it all the way southwards, until at last, with singing all about it, it came to Paradise. But Will and Joe and the gypsy Puglioni went back to their gin, and robbed and cheated again in the tavern of foul repute, and knew not that in their sinful lives they had sinned one sin at which the Angels smiled.
Eine solche humorvolle Menschlichkeit suchen wir in Lovecrafts eigenen Traumlandgeschichten vergeblich.

Nach 1916 widmete sich Lord Dunsany vermehrt dem Drama. Daneben verfasste er eine Reihe von Romanen, von denen heute allerdings nur noch The King of Elfland's Daughter (1924) einem weiteren Kreis bekannt sein dürfte. Frank Weinreich bezeichnet das Buch in einem seiner Essays sogar als Dunsanys "berühmtestes Werk", "das, völlig undisputiert, zu den Meisterwerken des Genres zählt". Auch wenn ich ihm seinen Rang als einem frühen Klassiker der Fantasy nicht absprechen will, kann ich mich dennoch nicht den ungebremsten Lobeshymnen anschließen, die man hie und da über The King of Elfland's Daughter zu lesen bekommt. Zum einen hat das allegorische Element der Erzählung auf mich streckenweise zu aufdringlich gewirkt. Zum anderen verliert Dunsanys Sprache bei einer über 120 Seiten langen Geschichte irgendwann ihren Reiz. Statt des poetischen Zaubers, den sie zu Beginn heraufbeschwört, stellt sich nach einiger Zeit eine Art ermüdende Zähigkeit ein.

Lord Dunsanys Stil besitzt in der Kurzgeschichte die ihm angemessene Form. Zur Einführung in sein Werk würde ich deshalb die Lektüre von Idle Days on the Yann empfehlen. In meinen Augen die vielleicht großartigste seiner Erzählungen von den Traumlanden "jenseits des Ostens".

* Ernest A. Boyd: Lord Dunsany: Fantaisiste. In: Ders.: Appreciations and depreciations. Irish literary studies. S. 71f.

2 Kommentare:

  1. Eine sehr schöne Würdigung eines der "Großen Alten" der klassischen Phantastik & modernen Fantasy. *Daumen hoch*

    Und ich teile deine Einschätzung, was die Bedeutung und v.a. auch die Zugänglichkeit von Dunsanys Werk angeht: während man viele seiner Geschichten auch heute noch mit Genuss lesen kann, ermüdet die (dann gewollt wirkende) poetische Sprache bei "The King of Elfland's Daughter" zumindest mich früher oder später (meistens früher ;)). Dunsanys Geschichten - und vor allem eben auch die Tatsache, dass er seine Sekundärwelt mit einem mythologischen Überbau ausgestattet hat - sollten ihm aber auf ewig einen Platz im Pantheon der Phantastik- bzw. Fantasy-Autoren sichern.

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  2. Es ist schon schade, dass der gute Lord heute zumindest hierzulande wohl tatsächlich nur noch Erforschern der Fantasyhistorie oder irgendwelchen Borges - Fans bekannt sein dürfte. {Und Botho Strauß, wie ich durch Anubis erfahren durfte.} Unter seinen Kurzgeschichten finden sich meiner Meinung nach einige echte Juwelen! Aber schließlich habe auch ich ihn ja nur durch meine Hassliebe zu H.P. Lovecraft kennengelernt ...

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