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Samstag, 8. Juni 2013

Amerikanischer Selbsthass oder Propagandaoffensive?

Vorbemerkung: Der unmittelbare Anlass für diesen Post ist nicht mehr wirklich aktuell. Für mehrere Wochen  lag er unvollendet bei mir herum. Doch da nur doch der letzte Abschnitt fehlte, hätte es mich irgendwie geärgert, ihn einfach auf den Müllhaufen der unveröffentlichten Entwürfe zu schmeißen.

Ist man auf der Suche nach Informationen über aktuelle Film- und Fernsehproduktionen, so ist die Website Den of Geek eine gute Adresse, erst recht, wenn man dabei besonderen Wert auf britische Projekte legt. Etwas anders sieht es aus, wenn man darüber hinaus intelligente Rezensionen oder Kolumnen lesen will, die mehr bieten sollen als die üblichen Inhaltszusammenfassungen oder völlig subjektiven Geschmacksurteile. Besonders unbefriedigend wird es immer dann, wenn dabei politische Fragen ins Spiel bekommen. Was angesichts des erbärmlich niedrigen Niveaus, auf dem sich der politische Diskurs in unserer Zeit im allgemeinen bewegt, allerdings nicht besonders verwunderlich ist. Ein exemplarisches Beispiel dafür ist James Claytons Artikel Why is Hollywood attacking America?

Die Überschrift wirkte auf mich zuerst einmal verwirrend. Hollywood, seit Jahrzehnten die Heimstatt des Konformismus, attackiert Amerika? Warum habe ich das bisher noch nicht mitgekriegt? Wie heißen denn all die beißenden Satiren und kritischen Auseinandersetzungen mit der US-Gesellschaft, die mir da entgangen sind und die ich jetzt unbedingt sehen will? Gut, ich weiß, es hat in den letzten zehn Jahren durchaus kritische Filme gegeben wie The Human Stain, Eternal Sunshine of the Spotless Mind, Land of Plenty, Syriana, Brokeback Mountain, Little Miss Sunshine, Letters from Iwo Jima, Battle for Haditha und Frozen River {um nur einige zu nennen}, aber diese bilden doch wohl eher die Ausnahme und können schwerlich als Ausdruck eines allgemeinen Trends angesehen werden.
Nach der Lektüre des ersten Absatzes ist mir klar, dass ich einem Missverständnis aufgesessen bin. Clayton versucht gar nicht, die verwegene These aufzustellen, Hollywood habe unbemerkt von der Welt plötzlich ein kritisches Bewusstsein entwickelt. Ihm geht es eher um so etwas:



Ausgangspunkt seines Artikels ist die Darstellung terroristischer Attacken auf das Herz des "Heimatlandes" in Roland Emmerichs White House Down und Antoine Fuquas Olympus Has Fallen, die er als Teil eines breiteren Trends im amerikanischen Film ansieht:
If you've been to the cinema in 2013, chances are you've seen the United States of America being attacked. Who's the whipping boy of choice, and what's the punchbag that Hollywood has been working out its aggressions on recently? Most often, it's been the US of A itself.
This is also true of 2012, and great stretches of film history before, yet when I gaze across the recent movie scene the masochism mission really stands out. Sometimes it's a subtle or subliminal presence - an underlying subtext - and sometimes it's explicit and literally exploding in the audience's collective face, spraying splinters of the White House's front porch into their eyeballs. Assaults on America are occurring over and over in the cinema auditorium and you, citizen, are a returning spectator to the self-destructive fantasy spectacle.
In der Folge zitiert Clayton eine äußerst heterogene Gruppe von Filmen  – angefangen bei Red Dawn und Dark Knight Rises über Django Unchained und Lincoln bis zu  Jay Roachs The Campaign und Harmony Korines Spring Breakers  –, die er zusammen mit den genannten Action-Blockbustern {sowie den Superheldenflicks Iron Man 3 und Man of Steel} als Beleg für die bizarre These ins Feld führt, Hollywoods Produktionen seien in hohem Maße Ausdruck eines vielgestaltigen amerikanischen Selbsthasses.
Diese Idee wirkt bereits auf den ersten Blick so verrückt, dass man versucht ist, auf jede weitere Beschäftigung mit dem Artikel zu verzichten. Wie soll man einen Autor ernstnehmen können, der in patriotischen Spektakeln wie Red Dawn, G.I. Joe Retaliation oder Olympus Has Fallen Exerzitien in  "self-flagellation" sehen will, gespeist von "repressed masochistic urges"? Und dennoch lohnt sich eine etwas genauere Lektüre, wenn auch bloß, weil das Entwirren von Claytons abstruser Argumentation dazu dienen kann, einige {hoffentlich intelligentere} Gedanken über den aktuellen amerikanischen Film zu entwickeln.

"America hates itself". Diese Behauptung wirft augenblicklich zwei Fragen auf: 1) Wer oder was ist "Amerika"? 2) Worin äußert sich dieser Selbsthass?

Auf die erste bekommen wir keine wirkliche Antwort, obwohl eine solche für jede ernstzunehmende Auseinandersetzung mit den von Clayton angeschnittenen Fragen von größter Wichtigkeit wäre. Wie jede andere Gesellschaft bildet auch die US-amerikanische keine homogene Einheit. Sie zeichnet sich vielmehr durch tiefe Klassenunterschiede und -gegensätze aus. Wer also repräsentiert in Claytons Augen die USA? Die winzige, obszön reiche Finanzelite, die das Land faktisch beherrscht? Die wohlhabende obere Mittelschicht, zu der auch Hollywoods Establishment sowie die Lenker der offiziellen Medien gehören? Oder die breite Masse der arbeitenden Bevölkerung? Natürlich gibt es so etwas wie eine nationale Mentalität, die von Angehörigen unterschiedlicher Klassen geteilt wird, doch das ist hier nicht der Punkt. Claytons ganzer Argumentation liegt ein Begriff von "Amerika" zugrunde, der alle Teile der US-Bevölkerung und den amerikanischen Staat zu einer Einheit zusammenfasst. Kurz gesagt, sie basiert auf einem nationalistischen Mythos, und Hollywood kommt dabei die Rolle einer "avatar incarnation" dieser mythischen "Nation" zu.

Die Konsequenz dessen zeigt sich sehr deutlich, sobald wir uns der Antwort auf die zweite Frage zuwenden.

Clayton zählt vier Erscheinungsformen des angeblichen nationalen Selbsthasses auf. Eine davon kommt unter der Überschrift "America hates its political system" daher. Tatsächlich steht ein Großteil der amerikanischen Bevölkerung dem herrschenden Zwei-Parteien-System und seinen Vertretern mit einer Mischung aus Verachtung und Hass gegenüber. Wie eine Gallup-Umfrage jüngst gezeigt hat, bewerten gerade einmal 10% der Amerikaner & Amerikanerinnen die Arbeit des Kongresses als positiv, 83% sind offen unzufrieden mit ihr:
Congress approval has been below 40 percent since early 2005, and below 20 percent every month since June 2011—dropping to 10 percent in February of this year and again now. … Congressional approval is down among all political groups and is now virtually the same across these groups—with Democrats at 9 percent, independents at 11 percent, and Republicans at 10 percent. Democrats’ approval declined the most, from 18 percent in July. … Although Americans have generally been more negative than positive in their assessments of Congress over the past four decades, opinions have been especially negative in recent years ... Americans’ views of Congress are so bad that it has now been more than a year since Gallup’s monthly assessment was as high as 20 percent.*
Daran kann auch Erzdemagoge Obama wenig ändern. Wie sollte er, steht er doch einer Regierung vor, die gar zu offensichtlich die Interessenvertreterin der Wall Street - Aristokratie ist, was sich nicht nur an der von ihr gemachten Politik, sondern auch an ihrer personellen Zusammensetzung zeigt. Vielleicht keine US-Administration war je so dicht bestückt mit Leuten aus dem engsten geschäftlichen und persönlichen Umkreis der Finanzelite. Auf Dauer kann gegen diese Realität auch die Phrasendrescherei von Mr. "Yes We Can" nicht ankommen, selbst wenn er der begnadete Rhetoriker wäre, den seine liberalen und "linken" Bewunderer in ihm sehen wollen. Wie Abraham Lincoln einmal so schön gesagt haben soll: "You can fool some of the people all of the time, and all of the people some of the time, but you can not fool all of the people all of the time."
Mit nationalem Selbsthass hat dieses Gefühl selbstverständlich nichts zu tun. Vielmehr drückt sich in ihm die wachsende Erkenntnis aus, dass der amerikanische Staat nicht die Interessen der überwältigenden Mehrheit der US-Bevölkerung, sondern einer winzigen, unvorstellbar reichen Elite vertritt, deren Verkommenheit und Inkompetenz durch die Finanzkrise von 2008 vor aller Welt bloßgelegt wurde.
Doch gerade davon findet sich in Hollywoods Hervorbringungen bisher leider noch sehr wenig. Jay Roachs The Campaign und Derek Gianfrances The Place Beyond Pines, die Clayton in diesem Zusammenhang anführt, eignen sich eher als Beispiele, um zu zeigen, wie weit die meisten Filmemacher in ihrem Schaffen nach wie vor von der Erfahrungswelt der allermeisten Amerikaner & Amerikanerinnen entfernt sind. Die Gründe hierfür sind vielfältig und lassen sich nicht auf eine simple Formel ("Kulturindustrie") reduzieren. Neben sozialen Faktoren  – die führenden Vertreter des amerikanischen Films gehören mehrheitlich zu einer Schicht, die von der Entwicklung der letzten Jahrzehnte profitiert hat  –, dürfte einer der wichtigsten ideologischer Natur sein: Das Fehlen einer einflussreichen politischen und intellektuellen Bewegung, die die existierende Ordnung radikal in Frage stellt und bekämpft. Die Vorherrschaft der Philosophie der Identitätspolitik mit ihrer Fetischisierung der "persönlichen Erfahrung" in der "offiziellen" Linken usw.
Wenn Clayton uns dann allerdings auch noch G.I. Joe Retaliation als Beweisstück vorlegt, weil darin ja der Präsident durch ein böses Double ersetzt werde, wird's zugleich absurd und gruselig. Versucht man für einen Moment, diesen Streifen ernstzunehmen {hysterisches Gekicher}, dann spiegelt sich in ihm vor allem die in den letzten Jahren immer stärker hervortretende Entwicklung wider, das Militär von jeder zivilen Kontrolle zu befreien und zum eigentlichen Vertreter der "Nation" zu machen. Nicht irgendwelche Zivilisten, sondern der vom ollen Bruce Willis gespielte General Joseph Colton steht dem G.I. Joe-Team in ihrem Kampf gegen Cobra und den bösen Doppelgänger im Weißen Haus bei. Statt einer Kritik des "Systems" die faschistoide Verherrlichung des autoritärsten Bestandteils des "Systems", was noch dadurch unterstrichen wird, dass der G.I. Joe-Chef am Ende die Knarre General Pattons überreicht bekommt, des Schutzheiligen aller US-Militaristen.

Um die anderen Belege für Claytons Theorie ist es nicht viel besser bestellt.
Da hätten wir zum einen "America hates its culture", was sich z.B. in Spring Breakers zeige. Ich habe keine Ahnung, ob Korines Film als gelungene Satire auf Konsumgesellschaft, Popkultur und Amerikanischen Traum gelten kann. Doch wenn das erfreulicherweise tatsächlich der Fall sein sollte, fände ich es sehr merkwürdig, würde man dies als Ausdruck eines nationalen Selbsthasses interpretieren. Dann müsste man ja jedwede Form der Kritik an Aspekten der eigenen Kultur und Gesellschaft als solchen bezeichnen. Auch legt Claytons Formulierung nahe, dass er selbst unter "amerikanischer Kultur" ausschließlich die oberflächlichsten Produkte der Unterhaltungsindustrie versteht. Eine  Sichtweise, die nicht nur reichlich dumm wäre, sondern auch nach einem versnobten Antiamerikanismus schmecken würde.
Ähnlich problematisch ist sein Punkt "America hates its history", zu dessen Untermauerung er Django Unchained und Lincoln ins Feld führt. Was Tarantinos Streifen angeht, so habe ich hier schon einmal etwas ausführlicher dargelegt, warum ich ihn für keine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit halte. Er benutzt eine Cartoon-Version der Antebellum-Südstaaten als bloße Kulisse für eine Rachegeschichte, die mit der realen Historie von Sklaverei und Rassismus absolut nichts zu tun. Und Steven Spielbergs bewundernswerter, wenn auch kaum makelloser Film über die Ratifizeirung des 13. Verfassungszusatzes? Wie um alles in der Welt ließe der sich als Ausdruck eines "Hasses auf die Geschichte" verstehen, steht bei ihm doch eine der größten Gestalten der US-Historie im Zentrum? Wenn man versuchen wollte, irgendwelche verallgemeinernden Schlüsse aus dem Publikumserfolg von Lincoln zu ziehen, dann wäre es sehr viel naheliegender, darin den Beleg für ein erfreulich großes Interesse an einer der bedeutendsten und inspirierendsten Abschnitte der US-Geschichte zu sehen. So ziemlich das genaue Gegenteil von "Hass auf die Geschichte" also. Schließlich gehört der Kampf gegen die Sklaverei genauso zu "the country's heritage" wie die Sklaverei selbst. {Und nebenbei bemerkt, wenn Clayton erklärt,  "America was built on the back of such an inhuman institution", beweist er damit nur, dass er keine Ahnung von der Geschichte der USA hat. Die auf Sklavenarbeit basierende Plantagenwirtschaft des Südens war zu keinem Zeitpunkt das alleinige Fundament der amerikanischen Gesellschaft.}

Lediglich Claytons vierter Punkt macht im Zusammenhang mit Filmen wie  Olympus Has Fallen und White House Down Sinn. Allerdings ist er nicht sonderlich profund: "America hates its enemies and wants to remind you of how dangerous they are". Das ist sicher richtig, passt jedoch so überhaupt nicht zum Motiv des "nationalen Selbsthasses", denn ganz offensichtlich soll hier doch Hass gegen andere, die "Feinde" eben, geschürt werden. Und wenn dazu eine Kinoversion des Weißen Hauses in die Luft gejagt wird, dann nicht, weil das Publikum an irgendwelchen "masochistischen Sehnsüchten" leiden würde, sondern um zu demonstrieren, wie gefährlich diese "Feinde" angeblich sind.
Natürlich hat Hollywood schon immer Filme produziert, die das gerade aktuelle Feindbild propagierten, ganz gleich, ob es sich dabei um Sowjets, Nordvietnamesen, südamerikanische Guerilleros oder arabische Terroristen handelte. Doch in einem wichtigen Punkt unterscheiden sich Olympus Has Fallen und White House Down deutlich von ihren Vorgängern. Von bizarren Ausnahmen wie John Milius' Red Dawn (1984) einmal abgesehen, war es in solchen Filmen bisher nicht üblich, dass der "Feind" unmittelbar das "Herz des Vaterlandes" bedrohte. Jedenfalls nicht auf so spektakuläre Weise. Eine Akzentverschiebung, in der sich möglicherweise die veränderte politische Atmosphäre in den Vereinigten Staaten widerspiegelt.
Clayton jedoch versucht gar nicht erst, den politischen Kontext zu untersuchen, in dem diese Filme entstanden sind. Genau genommen interessiert er sich nicht für Politik, sondern für die "psychische Lage" der amerikanischen "Nation", über die er wenig mehr als einige Banalitäten und Klischees vorzubringen versteht. Was etwa soll der folgende Satz genau bedeuten: "Suburban American families and those who aren't panicky paranormal enthusiasts always need reminding that their neighbourhoods are threatened by alien invasion"? Will Clayton damit sagen, dass diese Familien das psychologische Bedürfnis haben, sich bedroht zu fühlen? Oder gibt es jemanden, in dessen Interesse es liegt, besagten Familien dieses Gefühl zu vermitteln? Aus dem Artikel geht das nicht hervor. Vermutlich jedoch sollen wir eher an ersteres denken, denn an anderer Stelle schreibt Clayton:
Ultimately, movies hold up a mirror to real life, so the films are simply recreating actuality and adhering to an 'art imitates life' ethos. Bombings and shootings keep happening in the country, and there's a constant fear of terrorism or attacks from hostile antagonists like Iran or North Korea. Arguably, the stories you see at the cinema are dramatic, action-packed embellishments of events you might see on the news, except they're stylised and safely contained on a screen, unlike real-life atrocities.
Reflection of reality aside, it's feasible to figure that the notable America-smashing in film links to a psychological atmosphere and prevailing cultural mood. Post 9/11, the national psyche is more conscious of the country's vulnerability and intermittent tragic incidents serve as a distressing reminder.
Cinema provides a space in which to articulate those anxieties, exorcise the fears and deal with dread feelings.
Erneut verrührt der Autor ganz unterschiedliche Elemente zu einem Einheitsbrei. Richtig ist sicher, dass in großen Teilen der US-Bevölkerung ein Gefühl der Verunsicherung herrscht. Etwas davon findet sich auch in vielen Filmen wieder. Allerdings mutet es schon etwas grotesk an, in diesem Zusammenhang von einem "'art imitates life' ethos" zu sprechen. Tatsächlich zeichnet sich das amerikanische Kino der letzten Jahrzehnte vor allem dadurch aus, große Teile der US-Wirklichkeit bewusst auszublenden. Wenn die allgemeine Verunsicherung hier ihren Ausdruck findet, so in 99 von 100 Fällen in höchst oberflächlicher und verzerrter Form.
Die Frage, die man sich zu allererst stellen sollte, lautet: Wo liegen die realen Wurzeln dieses Gefühls?
Clayton erwähnt "bombings and shootings", und die Häufigkeit solcher Gewalttaten in den USA ist in der Tat erschreckend. Nur die fürchterlichsten von ihnen gelangen bis in die Abendnachrichten oder die Schlagzeilen der großen Zeitungen, wie der Amoklauf in einem Kino in Aurora/Colorado oder das Schulmassaker von Newtown/Connecticut im letzten Jahr. Doch diese Ereignisse stellen keine Attacken von außen dar. Täter wie Opfer sind US-Amerikaner. Allgemein gesprochen sind solche Ausbrüche sinnloser Gewalt vor allem deutliche Symptome einer tiefen gesellschaftlichen Krise. Die soziale Polarisation in den USA hat Ausmaße erreicht, wie sie das letzte Mal kurz vor der Großen Depression herrschten. Das Leben eines immer größeren Teils der Bevölkerung wird beherrscht von ökonomischer Unsicherheit, Verschuldung, steigender Arbeitslosigkeit, rapide sinkenden Löhnen, prekären Arbeitsverhältnissen und immer neuen brutalen Sparmaßnahmen seitens der Regierung, während am anderen Pol der Gesellschaft nicht enden wollende Bereicherungsorgien gefeiert werden. Es ist weniger eine reale oder fiktive Bedrohung durch äußere Mächte, die für das verbreitete Gefühl der Verunsicherung verantwortlich ist, sondern der verrottete Zustand des US-Kapitalismus, der schon lange überreif für den Sturz ist. Bloß dass es noch keine Massenbewegung gibt, die auf dieses Ziel hinarbeiten würde.
Die herrschende Klasse der USA reagiert auf die Krise ihres Systems zum einen mit einer offenen Kriegserklärung an die arbeitende Bevölkerung in Gestalt eines immer dramatischere Formen annehmenden Sozialabbaus, zum anderen mit immer aggressiverem Militarismus nach außen. Parallel dazu nimmt der Aufbau von autoritären Formen der Herrschaft immer deutlichere Formen an. Der aktuelle Skandal um die massiven Spionageaktivitäten der NSA ist nur das letzte Beispiel für einen Prozess, der unter George W. Bush begann und unter Barack Obama bruchlos fortgesetzt wurde, und in dessen Verlauf das Gerüst für eine Präsidialdiktatur und einen Polizeistaat geschaffen wurde. Als die Regierung im April in Reaktion auf das Marathon-Attentat von Boston quasi den Belagerungszustand über die Stadt verhängte, wirkte dies wie der Probelauf für den Übergang zu einem offen diktatorischen Regime. Jack Londons dystopischer Klassiker The Iron Heel hat in den letzten Jahren erneut auf erschreckende Weise an Aktualität gewonnen.
Vor diesem Hintergrund gewinnen Claytons nicht ganz falsche Beobachtungen à la "[T]here's a constant fear of terrorism or attacks from hostile antagonists like Iran or North Korea" und "Post 9/11, the national psyche is more conscious of the country's vulnerability" eine völlig andere Bedeutung.
Der sog. "Krieg gegen den Terror" ist das Allzweckargument, mit dem die US-Elite einen Großteil ihrer Innen- und Außenpolitik propagandistisch rechtfertigt. In seinem Namen werden neokoloniale Kriege angezettelt, internationale Mordkampagnen durchgeführt und der Sturz missliebiger Regierungen vorangetrieben. Ziel dessen ist natürlich nicht der Kampf gegen Al-Qaida {mit deren syrischem Arm Jabhat al-Nusra man zur Zeit ja sogar eine de facto Allianz eingegangen ist}, sondern die Eroberung und Absicherung der Kontrolle über alle wirtschaftlich und strategisch wichtigen Regionen des Erdballs. Der eigentliche Gegner ist dabei nicht ein Häuflein islamischer Fundamentalisten, sondern rivalisierende Großmächte wie Russland und vor allem China. Im Zuge dessen konzentrieren das Pentagon und die Geheimdienste eine immer größere Macht in ihren Händen, wobei sie sich nicht nur der Kontrolle durch die amerikanische Bevölkerung, sondern zunehmend auch der durch die zivile Regierung entziehen. Erst vor kurzem erklärte Assistant Defense Secretary Michael Sheehan ganz offen vor dem Senat, die militärische Führung habe das Recht, ohne Rücksprache mit  dem Kongress neue Kriege zu eröffnen. Zugleich ist die "nationale Sicherheit" angesicht der angeblich allgegenwärtigen terroristischen Bedrohung zum Argument dafür geworden, demokratische Grundrechte auszuhebeln, den staatlichen Unterdrückungsapparat auszubauen und zunehmend jede Form politischer Opposition, die sich nicht im Rahmen der Schmierenkomödie des Zwei-Parteien-Systems bewegt, zu diffamieren und zu kriminalisieren. Das gerade eröffnete Verfahren gegen Bradley Manning ist dafür nur das prominenteste Beispiel.
Es versteht sich darum von selbst, dass es für die US-Elite von größtem Interesse ist, in der Bevölkerung die Angst vor Terroranschlägen am Leben zu erhalten. Kein Wunder, dass bei der großen Mehrheit der in den letzten Jahren "verhinderten" Terrorakte verdeckte FBI-Ermittler eine zentrale Rolle gespielt haben.

Filme wie Olympus Has Fallen und White House Down müssen meiner Meinung nach in diesem Zusammenhang betrachtet werden. Wenn sie die terroristische Bedrohung zu einem bisher ungewohnten Niveau hochschrauben, ließe sich dies am ehesten als ein weiteres Symptom für das fortgeschrittene Stadium der Krise des US-Kapitalismus interpretieren. Die drohende Gefahr muss überwältigend wirken, wenn man der Bevölkerung die Notwendigkeit des Übergangs zu autoriären Herrschaftsformen glaubhaft machen will. {Womit ich übrigens nicht gesagt haben will, dass Roland Emmerich und Antoine Fuquas ihre Befehle aus dem Weißen Haus oder dem Pentagon erhalten würden. Propaganda funktioniert heute anders als zu Zeiten von Joseph Goebbels. Es braucht keiner direken staatlichen Kontrollen mehr}. Interessant ist dabei auch, dass sich der Plot von Olympus Has Fallen um die Lage auf der koreanischen Halbinsel dreht. Unter Obamas Präsidentschaft sind Südostasien und der pazifische Raum wieder verstärkt in den Fokus amerikanischer Machtpolitik geraten. Washington bemüht sich immer aggressiver darum, den wachsenden Einfluss Chinas in der Region militärisch, politisch und ökonomisch einzudämmen oder zurückzudrängen. Korea ist dabei zwar nur eines der Konfliktfelder, aber das bei weitem bekannteste.   


* Zit. nach: David Walshs Besprechung von The Campaign.

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