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Montag, 19. November 2012

Brauchen wir utopisches Denken? - Teil 1

Teil 2 - Teil 3

Vor einiger Zeit verwies 'dangerousbeans' vom Golem-Blog in einem Post mit dem Titel Im Schlamm der Gegenwart auf einen Text von Millay Hyatt (1) über das "produktive Scheitern von Utopien" und schrieb dazu, dieser sei nicht nur für sich genommen interessant, sondern könne auch als "guter Einstieg in die Thematik" dienen, da er "gut verständlich zentrale Konzepte des utopischen Denkens bei Ernst Bloch, Fredric Jameson und Thomas Morus" erkläre.
Nun bin ich in in dem, was unter den Namen von Jameson & Co heutzutage an den Universitäten als 'Marxismus' verkauft wird, nicht wirklich bewandert. Was ich davon kenne, hat mich nicht zu einer intensiveren Beschäftigung animieren können  im Gegenteil. Dass der Begriff der Utopie in diesen Kreisen in den letzten Jahren (Jahrzehnten?) eine Art Renaissance erlebt hat, ist mir allerdings nicht entgangen, und mir erscheint dies nicht besonders begrüßenswert. Ich sehe darin vielmehr ein Symptom für all das, was faul am sogenannten "Neomarxismus" ist. So gesehen war ich äußerst interessiert an Hyatts Essay, fragte ich mich doch, ob dieser meinen Verdacht bestätigen würde. Wobei mich sein "gut verständlicher" Stil gleichzeitig der Qual entheben würde, zu diesem Zweck eine ausgedehntere Expedition in Fredric Jamesons sprachliche Dschungellandschaften unternehmen zu müssen.

Leider hat Von der Insel aufs Festland meine Erwartungen in vollem Umfang erfüllt. Zwar lassen sich die Gedanken, die Hyatt hier entwickelt, sicher nicht eins zu eins auf Jameson übertragen, aber sie zeigen doch sehr deutlich, welche Politik sich hinter der neuen Begeisterung für den Utopismus verbirgt oder zumindest von dieser begünstigt wird. Und anders als 'dangerousbeans' wundere ich mich nicht, dass dieser Text als Grundlage für eine Sendung des Deutschlandradios diente. Ein gewisses Niveau besitzt man doch wohl auch dort, und politisch 'gefährlich' oder subversiv ist an Hyatts Ausführungen wirklich nichts. Vielmehr handelt es sich bei ihrem Essay um ein plattes antisozialistisches Pamphlet ohne eine einzige originelle Idee.

Hyatts Überlegungen gehen von einem Begriff des Utopischen aus, unter dem unterschiedslos sowohl literarische Entwürfe einer idealen Gesellschaft – wie Thomas Morus' namensgebende Utopia als auch alle praktischen Versuche, eine sozialistische Ordnung zu schaffen, zusammengefasst werden. Und da sie gleich zu Beginn ihres Essays klarstellt, dass Utopien per Definition scheitern müssen, ist damit zugleich gesagt, dass der Sozialismus niemals verwirklicht werden wird. Das richtet sich zum einen rückwirkend gegen die großen revolutionären Bewegungen des 20. Jahrhunderts, und vor allem natürlich gegen die Oktoberrevolution, zum anderen präventiv gegen jeden Versuch einer Neubelebung revolutionärer Politik. Im Grunde käut Hyatt damit nur die uralten Argumente des klassischen Antikommunismus wieder, denenzufolge der Sozialismus nichts weiter ist als ein realtitäsfremdes Wolkenkuckucksheim, die Russische Revolution aber der verblendete Versuch eines Häufleins Fanatiker war, die Welt nach ihren verqueren Traumvorstellungen umzumodeln. Mit der folgenden Formulierung legt sie es sogar nahe, dass man Kommunismus wie Faschismus in die selbe "utopische" Kategorie einordnen könne:
Utopien - also Umsetzungsversuche utopischer Ideen und Bilder - scheitern ständig und reißen ihre Anhänger mit ins Verderben. Neben den großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts gibt es zahlreiche kleinere Beispiele [...]
So weit, so abgeschmackt. Im Folgenden beschäftigt sich Hyatt dann so gut wie ausschließlich mit utopischer Literatur, wobei sie einige, wenn vielleicht auch nicht falsche, so doch kaum besonders neue oder erhellende Punkte vorbringt. So sollte es eigentlich niemanden wundern, dass dem 16. Jahrhundert entstammende Gesellschaftsentwürfe wie Morus' Utopia oder Francis Bacons Nova Atlantis in vielen Punkten heute veraltet erscheinen. Ebensowenig ist es erstaunlich, dass William Morris in News from Nowhere ein aus heutiger Sicht konservatives Verständnis von Geschlechterrollen an den Tag legt. Verglichen etwa mit seinem guten Bekannten E. Belfort Bax – einem der giftigsten Antifeministen, die kennenzulernen ich bisher das "Vergnügen" hatte  vertrat Morris zwar auch in Fragen der Frauenemanzipation eher fortschrittliche Positionen, aber trotz allem war er halt ein Mann des 19. Jahrhunderts, und wer wollte ihm das ankreiden? Gleichfalls richtig, aber nicht neu ist, dass die meisten Utopien aufgrund ihres Reiseführer-Stils nicht eben die spannendste Lektüre darstellen.
Neben solchen Gemeinplätzen bringt Hyatt vor allem ein Argument zur Kritik der klassischen Utopien vor: Ihren Inselcharakter:
Utopien werden seit Morus gerne auf Inseln verortet, später, mit dem Science-Fiction-Genre, kommen dann auch entfernte Planeten hinzu - also möglichst entlegene Orte, die Sicherheit vor der schlechten Außenwelt bieten. Diese Abschottung soll dem zarten Pflänzchen des utopischen Experiments einen geschützten Raum bieten, in dem es unbehelligt wachsen kann. So wird die Utopie als steriles Labor angelegt, in dem etwas Neues nur geschaffen werden kann, wenn Einflüsse von Außen konsequent ferngehalten werden. [...]
[D]ie Abtrennung ist immer auch ein Ausschluss, eine Verdrängung des Negativen nach draußen vor die Tore der guten Stadt. In Morus' Werk wird das Unhaltbare dieses Verfahrens besonders deutlich: Zwar gibt es innerhalb Utopias keinen Handel mit Geld, wohl aber Außenhandel, Geld wird auch eingesetzt, um feindliche Staaten zu bestechen und um Söldner anzuheuern, damit die Utopier ihre eigenen Kriege nicht selbst führen müssen.
So schließt die Utopie nicht nur ein, sondern versucht auch ihre schmutzigen Geschäfte auszuschließen, was das gesamte utopische Projekt fragwürdig erscheinen lassen muss. Was kann eine Freiheit sein, die sich einmauern muss? Und was eine Gerechtigkeit, die ihr Unrecht bloß nach draußen vor die Stadttore verschiebt? An diesen Fragen scheiterte so manch eine Utopie, ob als Fiktion oder realer Umsetzungsversuch.
Dazu gibt es einiges zu sagen:
Was Morus' Werk betrifft, das Hyatt fast ausschließlich als Belegmaterial heranzieht, so erklärt sich der Inselcharakter seiner idealen Gesellschaft sehr leicht aus der historischen Situation. {Wenn man einmal davon absieht, dass wir bei der Schilderung Utopias natürlich an Morus' Heimat England zu denken haben}. Das Buch entstand zu einer Zeit, als sich der bürgerliche Nationalstaat gerade erst herauszubilden begann. Die nationale Form, die Morus seiner Utopie verlieh, entsprach also ganz einfach den fortschrittlichen Tendenzen seiner Zeit und sollte einen ebensowenig irritieren wie die Vorherrschaft der Landwirtschaft und die quasizünftige Organisation des Handwerks in Gerrard Winstanleys Law of Freedom. (2) Dass jede Utopie, wie visionär sie in einzelnen Partien auch sein mag, stets in der Zeit wurzelt, in der sie entstanden ist, sollte gerade Hyatt verstehen können.
Betrachtet man die Utopie in erster Linie als literarisches Genre, so ergibt sich der Inselcharakter gleichfalls beinahe automatisch. Schließlich geht es dann darum, einen Besucher aus der Gegenwart als Stellvertreter des Lesers oder der Leserin in die utopische Gesellschaft einzuführen. Wie anders sollte dies möglich sein, als wenn Utopia einen von der "bösen" Realität räumlich oder zeitlich abgegrenzten Bereich darstellt?
Doch in Wirklichkeit geht es Millay Hyatt gar nicht um solche historischen oder literarischen Fragen. Sie verfolgt politische Ziele. Sie will uns weismachen, der Inselcharakter der klassischen, literarischen Utopie fände seine notwendige Entsprechung in der nationalen Abkapselung der sog."sozialistischen" Staaten des 20. Jahrhunderts. Was sonst könnte sie mit den "realen Umsetzungsversuchen" meinen? Das erinnert mich an  einen alten Professor aus Mainz, der in einem Marx-Seminar einmal allen Ernstes versuchte, die Politik der DDR auf genau dieselbe Weise mit Morus' Utopia zu verknüpfen. Tatsächlich aber ist genau dieses Streben nach nationaler Autarkie, das in Stalins famoser Theorie vom "Sozialismus in einem Land" sein ideologisches Fundament besaß, der beste Beleg dafür, dass die entsprechenden Regime nichts mit Sozialismus oder Marxismus zu tun hatten. In Theorie wie Praxis war diese Politik vielmehr Ausdruck der Interessen einer bürokratischen Kaste, deren Ziel weder in der Verwirklichung irgendeiner Utopie noch im Aufbau des Sozialismus, sondern in der Verteidigung ihrer Privilegien bestand.

Doch halt! jetzt haben wir uns frecherweise in die Gefilde der realen Geschichte vorgewagt, wo reale, materielle Interessen den Ton angeben, und eben dahin vermeidet Millay Hyatt ihren Blick zu lenken. Sie beschäftigt sich ausschließlich mit Texten. Was weiter nicht so schlimm wäre, wenn sie einen bloß literaturkritischen Essay verfasst hätte. Aber sie glaubt, mit diesen Texten außerdem den Schlüssel zum Verständnis historischer Ereignisse von der Tragweite der Oktoberrevolution   ihrer Ursprünge, ihrer Entwicklung und ihrer Entartung zum Stalinismus   in Händen zu halten. Man könnte dies ganz einfach für die typische Illusion einer berufsmäßigen Intellektuellen halten, die die Bedeutung dessen, womit sie selbst sich beschäftigt, maßlos überschätzt. Ganz falsch würde man damit wohl auch nicht liegen. Doch leider haben wir es nicht nur mit einer idealistischen Geschichtsvorstellung zu tun, in der von ihrer materiellen Basis abgelöste Ideen den Lauf der Historie bestimmen, sondern vor allem mit einer ganz spezifischen politischen Perspektive.
Der Inselcharakter, den Hyatt an der Utopie bemängelt, äußert sich nämlich nicht nur in der Abschottung gegen außen. Er ist auch
die Voraussetzung dafür, dass sich die Utopie als radikales Gegenmodell positionieren kann. [...]  Die Insel - genauer: der Graben zwischen der utopischen Insel und der verdorbenen Realität auf dem Festland - versinnbildlicht den utopischen Wunsch, die Welt in zwei streng trennbare Bereiche zu teilen: gut und schlecht.
In Bezug auf literarische Utopien ist diese Beobachtung sicher richtig. Ebenso als Kritik an irgendwelchen kommunemäßigen Projekten.  Im Kontext von Hyatts Essay aber dient sie außerdem dazu, die Perspektive einer radikalen gesellschaftlichen Umwälzung an sich suspekt erscheinen zu lassen. Zur Verdeutlichung dessen zieht die Autorin Ernst Blochs Unterscheidung zwischen "konkreter" und "abstrakter" Utopie heran. Ich habe keine Ahnung, ob der dabei aufgestellte starre Gegensatz zwischen Reform und Revolution Blochs Gedankengängen gerecht wird, mit Marxismus hat er jedenfalls nichts zu tun. (3) Für Hyatt aber ist es sehr wichtig, dieses Bild eines simplen "Entweder - Oder" heraufzubeschwören, denn nur so kann sie ihre eigene Perspektive als eine neuartige Alternative zum verbohrten "Dogmatismus" der Vergangenheit darstellen.
Wie diese Perspektive aussieht? Sehr einfach:
Eine Bestandsaufnahme dessen, was gegenwärtig unter der Rubrik "Utopie" läuft, zeigt eine Bandbreite von Ideen und Modellen, die eines gemeinsam haben: Sie wollen keine neuen Welten schaffen, stattdessen bestimmte Verhältnisse in dieser verändern. Es sind lokale, lösungsorientierte Ansätze, die heute mit einem utopischen Glanz versehen werden. [...] Ökologisch, partizipativ, zeitlich und räumlich situiert werden im Hier und Jetzt Lösungen für aktuelle Problemlagen entworfen. Ein gemeinschaftlich betriebener Biobauernhof etwa, ein billiger Laptop für Kinder in Entwicklungsländern oder ein energieautarkes Hotel, wo die Gäste für ihren Beitrag zur Biogasproduktion bei jedem Toilettenbesuch bezahlt werden. Das sind die "utopischen Projekte" des frühen 21. Jahrhunderts - Experimente, die sich innerhalb eines bestimmten, von der Aktualität vorgegebenen Rahmen bewegen, dort Freiräume abstecken und neue Handlungsweisen entwickeln.

Hyatt stellt nicht in Abrede, dass es sich bei diesen Projekten in gewisser Weise nur um "Pflaster auf dem faulen, zerstörerischen Körper des Kapitalismus" handele. Aber dies sei kein ausreichender Grund, um sie zu verwerfen. Vielmehr stellten diese "bescheidenen Utopien"in einem entscheidenden Punkt einen großen Schritt vorwärts dar:  "[S]ie haben sich, im Großen und Ganzen, von einem alten utopischen Grundmuster verabschiedet: die Utopie als Insel, abgeschottet von der realen Welt." Die freiwillige Unterwerfung unter die Regeln der Marktwirtschaft wird von ihr als nachgerade revolutionärer Akt dargestellt. Der Ton wird schwärmerisch:
Bedingt auch durch ihre Lösungsorientierung mischen sie sich direkt in das widersprüchliche Durcheinander der Realität und werkeln dort, ohne sich zu sehr um Abgrenzungen und klare Definitionen zu sorgen. Guerillagärtner pflanzen in Großstadtbrachen Gemüse an, Open-Source-Programmierer tüfteln Software aus, um sie umsonst zur Verfügung zu stellen, argentinische Arbeiter besetzen Fabriken und verwalten sie erfolgreich selbst - diese "utopischen" Projekte finden nicht auf Inseln statt, sondern mitten im rasenden Herz der kapitalistischen Gesellschaft, der sie durch ihre Existenz trotzen - aber wovon sie sich auch nicht vollkommen abgrenzen.
Der utopische Kern dieser Versuche besteht aus dem Ergreifen des Augenblicks, um im Hier und Jetzt einen Spalt Freiheit und Solidarität zu öffnen, ungeachtet der vermeintlichen Geschlossenheit und Allgegenwärtigkeit eines Systems der Ausbeutung und Entsolidarisierung. [...]
Sie schaffen diffus abgegrenzte Räume der Freiheit, die vom Rest der Welt weder durch Gräben noch Sperranlagen geschieden sind.
Strukturell sind sie keiner strengen Dichotomie und keinem Identitätszwang verhaftet, und fürchten sich nicht davor, von der Realität kontaminiert zu werden. Stattdessen haben sie die Möglichkeit, wie eine gutartige Krankheit, alles um sich herum anzustecken. Das macht sie alltäglich, widersprüchlich, auch enttäuschend. Sie sind von der Insel aufs Festland gezogen.
(4)
Besonders bizarr an dieser Hymne auf die Tugenden der "bescheidenen Utopien" wirkt der Versuch, all das als etwas irgendwie neues hinzustellen. Dabei unterscheidet sich diese "Bricolage der vielen kleinen Experimente" nur in ihrem geringeren Ehrgeiz und ihrer Buntscheckigkeit von der Genossenschaftsbewegung des 19. Jahrhunderts. Auch diese verstand ihre kollektiv betriebenen Unternehmen und Konsumvereine als "Inseln" einer solidarischen Ordnung inmitten einer Welt der Ausbeutung. Ihr Schicksal zeigt sehr gut, wie weltfremd Hyatts Glaube an die schleichende Unterhöhlung des Kapitalismus durch die "gutartige Krankheit" der "bescheidenen Utopien" ist.

Ganz vermag dieses "Frickeln" Millay Hyatt freilich nicht zu befriedigen. Da ihre "bescheidenen Utopien" nicht mit einer "völligen Kapitulation vor den aktuellen Rahmenbedingungen" verwechselt werden sollen, betont sie, dass auch weiterhin "verwegene Bilder" entworfen und "das unverschämte Verlangen nach einer radikal anderen Welt" gepflegt werden müssten. Und so endet ihr Essay ziemlich abrupt mit dem Versuch, sich eine Welt ohne Grenzen und ohne Kapital vorzustellen. Das ist zwar schön und gut, aber es bleibt völlig schleierhaft, worin die Verbindung zwischen dieser Vision und den Biobauern, Guerillagärtnern und Open-Source-Programmierern bestehen soll. Von dem einen führt kein erkennbarer Weg zum anderen. Dass Hyatt in dieser Diskrepanz kein Problem sieht, dürfte daran liegen, dass es ihr in Wirklichkeit gar nicht um die Realisierung einer Welt ohne "Slums", "Sweatshops" und "Millionärsvillen" geht. Sie möchte lediglich "mit gefährlichen Bildern spielen" und sich "das radikal andere ausmalen" dürfen.

Nun bin ich wirklich der Letzte, der irgendjemandem das Träumen untersagen wollte. Aber Hyatt hat nun einmal einen politischen Essay verfasst, und in der Politik sollten Träumereien meiner Ansicht nach keine zentrale Rolle spielen. Ich kann mir nicht helfen, aber der Schluss von Von der Insel aufs Festland wirkt auf mich wie der wenig geglückte Versuch der Autorin, ihre geliebten "bescheidenen Utopien" mit einem visionären Heiligenschein zu umgeben, um sich selbst und ihre Leserschaft über deren ziemlich prosaische {und machen wir uns nichts vor – völlig kapitalismuskonforme} Natur hinwegzutäuschen. Hyatt will glauben können, dass sie sich nicht "im schlammigen Strom der Gegenwart [...] treiben" und "wehrlos mit ins fremdbestimmte Scheitern" reißen lasse. Da sie jedoch nicht wirklich an die Möglichkeit einer Überwindung des Kapitalismus glaubt, begnügt sie sich damit, beim Biobauern einzukaufen, und gibt sich dabei irgendwelchen erbaulichen Gedankenspielen über Deleuz' "sanfte Nomaden" hin. Auf diese Weise kann sie für sich die Illusion aufrechterhalten, sie habe sich von den "Mauern, die unseren Geist umschließen" befreit, ohne das Wagnis eingehen zu müssen, gegen die sehr viel realeren Mauern der bürgerlichen Ordnung vorzugehen.

In Teil 2 werde ich versuchen, die historischen und sozialen Wurzeln offenzulegen, denen Hyatts Perspektive entwachsen ist. Außerdem werde ich auf die Verwandtschaft ihrer Position zu der von Fredric Jameson eingehen.

Fortsetzung folgt ...

(1) Ein rascher Click bei Google zeigt mir, dass die Autorin offenbar hauptsächlich für ihr Buch Ungestillte Sehnsucht - Wenn der Kinderwunsch uns umtreibt bekannt ist. Ihre Dissertation freilich hat sie über "das Utopische und Utopiekritische bei Hegel und Deleuze" geschrieben.
(2) Gerrard Winstanley (1609-1676) war der Führer und Vordenker der frühkommunistischen "Diggers" oder "True Levellers" in der Englischen Revolution.
(3) Vgl. etwa Rosa Luxemburgs klassische Polemik Sozialreform oder Revolution?
(4) Hyatt behauptet, das "Ergreifen des Augenblicks", das sich in diesen reformerischen Projekten verkörpere, sei ein urutopisches Motiv. Als Beleg dafür führt sie Samuel Butlers Erewhon an. Persönlich finde ich es allerdngs fraglich, ob man diese geistreiche Satire {der nebenbei bemerkt Butler's Jihad in Dune seinen Namen verdankt} tatsächlich als eine Utopie bezeichnen kann.

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