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Donnerstag, 6. September 2012

Großmäulige Halbgötter

Vor ein paar Tagen hat Josh Zajdman auf Bookslut ein Plädoyer für die Wiederentdeckung von Eric Rücker Eddisons The Worm Ouroboros veröffentlicht, in dem er den Autor nicht nur als den 'Vater der High Fantasy' feiert, sondern so weit geht, seinen Roman mit Joyces Ulysses und Eliots The Waste Land auf eine Stufe zu stellen. Mir fehlen die Worte ...
Eddison steht unbestritten ein ehrenvoller Platz in den Annalen der Phantastik zu, und sollte er tatsächlich in Vergessenheit geraten sein, wäre ich der erste, der für eine erneute Beschäftigung mit seinem Werk eintreten würde. Aber ihn zum Begründer der epischen Fantasy zu erklären, ohne auch nur ein Wort über William Morris und The Well at the World's End zu verlieren, halte ich entweder für unehrlich oder für ignorant. Auch würde es mir leichter fallen, in Zajdmans Ruf einzustimmen, wenn dieser eine etwas kritischere Herangehensweise an Eddisons Erzählung an den Tag legen würde. Aber nein, er schreibt sogar ganz ausdrücklich: "Eddison’s prose and worlds are so intoxicating, one wants simply to be continually immersed. It doesn’t matter what happens, as long as something keeps happening."
Die sprachliche Schönheit von The Worm Ouroboros kann ich nicht wirklich beurteilen, da ich ihn nicht im Original gelesen habe. Was mir jedoch bei der Lektüre übel aufgestoßen ist, das ist der Geist des Buches. In dieser Hinsicht teile ich weitgehend die Ansichten J.R.R. Tolkiens, der Eddison persönlich kannte. Er pries ihn zwar einmal als den "größten und überzeugendsten Beschreiber ‘erfundener Welten", verabscheute aber zugleich ganz ausdrücklich den moralischen Gehalt seiner Werke: "Was ich bewundere, fand Eddison ‘soft’ (sein Wort, soweit ich begriffen habe, der Ausdruck völliger Verdammung); ich dachte, daß er unter dem verderblichen Einfluß einer üblen und geradezu albernen ‘Philosophie’ dahin gelangte, Arroganz und Grausamkeit mehr und mehr zu bewundern.".*
Eddisons Helden sind Vertreter einer aristokratischen Herrenmenschenmoral, die voller Verachtung auf den Pöbel herabschauen und nur ein Maß und Ziel kennen – die Durchsetzung ihres Willens:
[D]u weißt, daß ich nie umsonst meine Hand nach etwas ausstreckte, ohne zu bekommen, was ich wollte.
Sie lieben den Krieg als eine Gelegenheit, ihre überlegene Stärke unter Beweis zu stellen und ihren Ruhm zu mehren:
Sind nicht alle Reiche, alle Lüfte, ein Land für uns, in dem unser große Taten harren, welche unsere Schwerter nicht rosten lassen?
Das Verhöhnen des Gegners gehört hier ebenso zum guten Ton wie maßlose Prahlereien.
Als Eddisons Helden schließlich alle ihre Feinde vernichtet haben, erscheint ihnen das Leben öde und sinnlos:
Wir hätten unsere Schwerter als letzte Gabe auf das Grab Hexenlands legen sollen. Denn von nun an müssen sie rosten: Seemannskunst und alle hohen Kriegskünste müssen welken: denn unsere großen Feinde sind tot und vernichtet, und wir, die Herren der Welt, müssen zu Jägern und Hirten werden, um nicht zu Scharlatanen und Gecken zu werden [...] Ihr solltet weinen, weinen ohne Ende, und euch in Schwarz kleiden: denn unsere heldenhaften Waffentaten und der hohe Stand des wohlwollenden Sterns unserer Herrlichkeit bringen uns den zeitlosen Untergang: denn wir, die wir um des Kampfes willen kämpften, haben so gut gekämpft, daß wir nun nie mehr kämpfen können.**
Und das ist keineswegs kritisch oder ironisch gemeint, denn die Götter gewähren Eddisons Helden schließlich die große Gunst, ihre Feinde von den Toten wiederauferstehen und für alle Ewigkeiten gegen sie kämpfen zu lassen.
Der einzige Charakter des Ouroboros, dem Tolkien Sympathie entgegenbrachte, war Lord Gro. Und tatsächlich ist der macchiavellistische Melancholiker, unglückliche Liebhaber und Philosoph mit dem parfümierten Bart, der in dem großen Krieg gleich mehrfach die Seiten wechselt, die interessanteste Figur des Romans und sticht deutlich ab von der ganzen unerträglichen Sippschaft großmäuliger Halbgötter.
Der Lord of the Rings ist u.a. als ein Gegenentwurf zu genau dieser Art von Fantasy, die im Grunde nichts anderes darstellt als eine wüste Mischung aus heldenepischer Tradition und nietzsche’schem Übermenschentum, konzipiert worden. Und genau deshalb bin ich verdammt froh, dass die High Fantasy sich in ihrer Entwicklung an Tolkien und nicht an Eddison orientiert hat. Seinen Platz in der Geschichte der Fantasy möchte ich The Worm Ouroboros auf keinen Fall streitig machen, doch Zajdmans Fanboy-Panegyrik kann ich mich unmöglich anschließen.

* Brief an Caroline Everett [24. Juni 1957]. In: J.R.R. Tolkien: Briefe. Nr. 199. S. 339.
** Eric Rücker Eddison: Der Wurm Ouroboros. S. 189; 151; 459.

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