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Donnerstag, 13. September 2012

Abschaum & Ungeziefer

Als ich vor einem Monat auf der in der Lovecraft eZine veröffentlichen Liste "lovecraftianischer Studiofilme" John Carpenters Prince of Darkness aus dem Jahre 1987 erblickte, musste ich erst einmal stutzen. Das war doch der Streifen, in dem Satan in Gestalt einer grünen, schleimigen Flüssigkeit in einer heruntergekommenen Kirche unter Verwahrung gehalten wird, bis der Tag der Apokalypse herannaht? Was hatte denn das mit dem Gentleman von Providence zu tun? Aber je länger ich darüber nachdachte, desto mehr gelangte ich zu der Überzeugung, dass dies nicht nur tatsächlich ein "lovecraftianischer" Film ist, sondern vielleicht sogar der "lovecraftianischste", den ich je gesehen habe. Und dass, obwohl er nicht einen einzigen direkten Verweis auf den Cthulhu-Mythos enthält. Damit will ich wohlgemerkt nichts über die Qualität von Prince of Darkness gesagt haben. Wer einen wirklich guten Lovecraft-Film sehen will, dem kann ich nur einmal mehr die von der H.P. Lovecraft Historical Society kreierte Stummfilmversion von Call of Cthulhu ans Herz legen.

Nachdem ich meine Bekanntschaft mit Carpenters Streifen kürzlich wieder aufgefrischt habe, nun also meine Gedanken zu seinen cthulhuoiden Attributen:


Als Drehbuchautor nennt der Film den fiktiven Martin Quatermass, was zusammen mit dem Namen Kneale - University als eine Hommage an Nigel Kneale gedacht war, den Schöpfer der Quatermass - Serien und Meister der britischen TV - Phantastik (Nineteen Eighty-Four, The Year of the Sex Olympics, The Stone Tape, The Woman in Black). Kneale, der sehr negative Erfahrungen als Drehbuchschreiber für Halloween III gemacht hatte, war alles andere als beglückt. Er wollte nicht, dass der Eindruck entstehen könnte, er habe irgendetwas mit der Produktion dieses Filmes zu tun gehabt. Ein verständlicher Wunsch, ist Prince of Darkness alles in allem doch ein erbärmlich schlechtes Stückchen Horror-Kino.
Das Problem ist nicht so sehr die Absurdität des Plots oder der Umstand, dass Seine Höllische Majestät ein unwürdiges Dasein als grüner Schleim in einem Glastank fristen muss. Es sind vielmehr die handelnden Personen, die sämtlichst so blass und uninteressant bleiben, dass es unmöglich ist, eine emotionale Verbindung zu ihnen aufzubauen. Soll Satan mit ihnen anstellen, was er will, mich lässt das völlig kalt. Eine unglaubwürdigere und unsympathischere Liebesbeziehung als die des Protagonistenpärchens Brian "Der Schauzbart" Marsh (Jameson Parker aus Simon & Simon) und Catherine Danforth (Lisa Blount) ist mir selten untergekommen. Man kann beinahe froh sein, dass sie für die Handlung praktisch ohne jede Bedeutung ist. Victor Wong als Physikprofessor Birack wirkt einfach bloß irritierend, und dem fortschreitenden Niedergang von Donald Pleasance beizuwohnen, ist gleichfalls kein Vergnügen. Dass der Anblick von Pleasance im Talar bei mir immer wieder Erinnerungen an seinen fantastischen Auftritt in J. Lee Thompsons Eye of the Devil wachruft, ist da auch nicht eben hilfreich.
Auch eingefleischte Carpenter-Fans betrachten Prince of Darkness selten als ein Glanzstück des Charakter-Kinos. Sehr viel häufiger bekommt man von ihnen zu hören, der Film entwickle eine Reihe von intelligenten und provokanten Ideen, ja er besitze geradezu philosophische Substanz. Ich für meinen Teil tue mir schwer damit, wenn man mir irgendwelche Mixturen aus falsch verstandener Quantenmechanik und Mystizismus vorsetzt. Es gibt einfach zu viele Esoteriker, die dieses Spielchen ganz ernsthaft betreiben. Mir ist Phantastik lieber, die nicht den Anschein der Wissenschaftlichkeit zu erwecken versucht. Ernstzunehmen sind die eingestreuten Gespräche über Schrödingers Katze oder die Beziehung zwischen Materie und Antimaterie jedenfalls nicht. Aber sie erinnern doch in der Tat ein wenig an Lovecraft, der in seine Geschichten gleichfalls ganz gerne Verweise auf wissenschaftliche Konzepte wie etwa Einsteins Relativitätstheorie einbaute – am deutlichsten wohl in Träume im Hexenhaus. Und ähnlich wie Carpenter wollte er damit das Gefühl vermitteln, dass die Welt in Wahrheit ganz anders aussieht, als es uns unser Alltagsverstand vermittelt.
Hierin besteht sicher die offensichtlichste Parallele zu Lovecraft, doch geht es mir eigentlich um etwas anderes. Der Satan in Prince of Darkness hat so gut wie nichts mit der Gestalt aus der christlichen Mythologie zu tun, sondern erinnert eher an 'das Böse' in Clark Ashton Smiths Kurzgeschichte The Devotee of Evil: "[T]he source of all death, deterioration, imperfection, pain, sorrow, madness and disease." Mit anderen Worten, er verkörpert den radikalen Gegensatz zu allem, was Leben bedeutet. Sein Erwachen stärkt die Kräfte von Fäulnis und Zerfall in seiner Umgebung, die in Gestalt massenhaft auftretender Würmer, Maden und Käfer für einige der eindrucksvollsten Szenen des Filmes sorgen.

Nun gilt Lovecraft zwar gemeinhin als Autor des kosmischen Horrors, doch das Hauptmotiv seiner Erzählungen sind in Wirklichkeit nicht die lichtlosen Abgründe zwischen den Sternen, sondern Dekadenz und Verfall. Es wimmelt in seinen Geschichten geradezu von Darstellungen der Fäulnis und Krankhaftigkeit. Da ist eine Burg "wie ein ekelerregender Schimmelpilz" auf älteren Fundamenten "hochgewuchert", und "Rudel fetter, pilzüberwucherter Säue" stampfen durch die Alpträume der Geplagten (1); okkulte Bücher wie das Necronomicon sind meist "weißlich ... schimmlig" vermodert (2); und alles, was von dem armen Edward Derby in Das Ding auf der Schwelle übrigbleibt, ist ein "entsetzlicher, sich verflüssigender Brei"(3). Stets liegt über dem Ganzen ein übelkeiterregender Fäulnisgeruch, ein Gestank, "der nicht von dieser Welt oder von irgend etwas gesundem, heilen stammen" kann. (4) Selbst Lovecrafts beste Horrorstory Die Farbe aus dem All, die man mit einiger Berechtigung als seine einzig wirklich ‘kosmische’ Geschichte bezeichnen könnte, dreht sich nicht eigentlich um die Schrecken der "formlosen Bereiche der Unendlichkeit jenseits aller uns bekannten Natur" (5), sondern brilliert vor allem mit der eindringlichen Schilderung einer schrittweisen Degeneration, der Deformation von Pflanzen und Tieren rund um die Einschlagstelle eines Meteors, und des allmählichen physischen und psychischen Verfalls der dort ansässigen Farmerfamilie. Lovecraft beschreibt in seinen Erzählungen eine Welt, die im tiefsten Inneren von Fäulnis befallen ist und sich in einem fortschreitenden Prozess der Auflösung befindet, der "uns alle zu schwammartigen Abnormitäten verrotten lassen wird, die zu schrecklich sind, als daß das Grab sie halten könnte" (6). Die furchtbare Wahrheit, der sich Lovecrafts Helden gegenüber sehen, ist nicht, dass die Natur dem Menschen gleichgültig gegenübersteht, sondern vielmehr, dass die Welt unter ihrer scheinbar so lebendigen Oberfläche am verrotten ist. In Die lauernde Furcht, wo beschrieben wird, wie eine Sippe einstiger Aristokraten über Generationen hinweg zu einer Horde kannibalischer Troglodyten degeneriert, heisst es von dem grausigen Endprodukt dieser Entwicklung ausdrücklich, es sei "die Verkörperung all der Verstrickungen und des Chaos und der grinsenden Furcht, die hinter der belebten Welt lauert" (7).
Betrachtet man dieses immer wiederkehrende Fäulnismotiv vor dem Hintergrund von Lovecrafts allgemeiner Weltsicht, so kann es als ziemlich sicher gelten, dass sich in ihm vor allem die Furcht des erzreaktionären Schriftstellers vor dem in seinen Augen allgegenwärtigen gesellschaftlichen Verfall widerspiegelt. {Auch wenn dies sicher nicht sein einziger Inhalt ist.} Wie er im Februar 1927 in einem Brief an Clark Ashton Smith schrieb: "It is my belief  & was so long before Spengler put his seal of scholarly proof on it   that our mechanical & industrial age is one of frank decadence". Das, was er unter wahrer Zivilisation verstand, sah er auf allen Seiten bedroht durch die zerstörerischen Kräfte der Moderne Industrie, Großstadt, Kapitalismus, Demokratie, Sozialismus. Seine vielleicht beeindruckendste Inkarnation fand dieses Gefühl im Bild der Hafenstadt Innsmouth  einst eine blühende Siedlung, nunmehr die verrottende Heimstatt degenerierter Mischwesen.
It was the city I had known before;
The ancient, leprous town where mongrel throngs
Chant to strange gods, and beat unhallowed gongs
In crypts beneath foul alleys near the shore.
The rotting, fish-eyed houses leered at me
From where they leaned, drunk and half-animate
(8)
So wie die strahlende "Stadt im Sonnenuntergang" aus der Traumsuche nach dem unbekannten Kadath Lovecrafts Ideal einer von traditionellen Werten beherrschten Welt der Schönheit und Kultur verkörpert, so steht das heruntergekommene Innsmouth exemplarisch für alles, was diese überkommene Ordnung untergräbt und zersetzt. Der rassistische Unterton von Schatten über Innsmouth ist schwerlich zu überhören. Doch wie schon in der zurecht berüchtigten New York - Geschichte Grauen von Red Hook, ist das 'rassische' Motiv auch hier unauflöslich verbunden mit einem allgemeineren sozialen. Die Bewohner der Siedlung sind nicht nur Mischlinge, sondern auch samt und sonders Lumpenproletarier. Oder wie sich ein Beamter ausdrückt: "Ich glaube, sie sind das, was man in den Südstaaten ‘weißes Gesindel’ ['white trash'] nennen würde – gesetzlos, gerissen und voller finsterer Machenschaften." (9)

Dass John Carpenter dem Fäulnismotiv aus denselben Gründen eine so zentrale Rolle in Prince of Darkness gegeben hat, würde ich nicht behaupten wollen. Ganz sicher jedenfalls hat er dies nicht bewusst getan. Dennoch ist die Ähnlichkeit zu Lovecrafts Verwendung des Motivs auffällig. Denn neben dem krabbelnden und kriechenden Ungeziefer finden die Mächte des Zerfalls ihre Verkörperung noch in einer zweiten Form: In den Obdachlosen, die sich um die Kirche zusammenrotten und mehrere von Biracks Studenten auf grausige Weise ermorden. Und bei etwas genauerer Überlegung enthält dieses Zusammenstellen von ekligen Käfern und zerlumpten Menschen in der Motivik des Films doch höchst unerfreuliche Implikationen.

Die 80er Jahre waren für nicht unbeträchtliche Teile der amerikanischen Gesellschaft eine Zeit des Niedergangs. Während an der Spitze und in den Kreisen der oberen Mittelklasse wilde Bereicherungsorgien gefeiert wurden, sah es andernorts immer trostloser aus: Die bereits in den 70er Jahren einsetzende Deindustrialisierung führte zur zunehmenden Verödung ganzer Städte und Regionen; stagnierende oder sinkende Löhne und wachsende ökonomische Unsicherheit wurden für immer mehr Menschen zum traurigen Alltag; die immer schärfere soziale Polarisation führte in den Innenstädten zum Anwachsen der ghettoartigen Armenviertel usw. Carpenter war nicht blind für diese Entwicklungen, aber seine Reaktion darauf erscheint widersprüchlich. In Escape from New York (1981) hatte er die Großstadt als "a kind of jungle", ihre Bewohner als einen anarchischen Mob dargestellt. Nimmt man dazu die paranoide Verunsicherung aus The Thing (1982), die einem in jedem Menschen eine wilde Bestie vermuten lässt, so ließe sich Prince of Darkness tatsächlich als eine im schlimmsten Sinne "lovecraftianische" Reaktion auf die Krise der US-Gesellschaft verstehen.  Andererseits würde Carpenter bloß ein Jahr später in They Live ganz bewusst einen Kommentar zur gesellschaftlichen Entwicklung abzugeben versuchen, der so gar nicht der aristokratischen Weltanschauung des Gentlemans von Providence entsprochen hätte. Die wahrscheinlichste Erklärung für diesen Widerspruch dürfte es sein, dass der Filmemacher selbst über keine festgefügte Weltsicht verfügt und in mehr oder weniger impressionistischer Weise auf die soziale Realität reagiert, wobei er zwischen spießbürgerlicher Angst und rebellischer Wut hin und her schwankt. Wenn Prince of Darkness eher erstere zum Ausdruck bringt, werden wir letzterer schon bald ausgiebigst in unser Besprechung von They Live begegnen ...


(1) H. P. Lovecraft: Die Ratten im Gemäuer. In: Ders.: Cthulhu Geistergeschichten. S. 46; 54.
(2) H. P. Lovecraft: Das Fest. In: Ders.: Stadt ohne Namen. S. 48. Vgl.: "In der Sakristai neben der Apsis fand Blake ein altes wurmzerfressenes Schreibpult und bis an die Decke reichende Regale voll verschimmelter Bücher." (Ders.: Der leuchtende Trapezoeder. In: Ders.: Cthulhu Geistergeschichten. S. 99.)
(3) H. P. Lovecraft: Das Ding auf der Schwelle. S. 38. Das Motiv des Lebenden Leichnams, der sich schließlich in eine schleimige Pfütze auflöst, wie es auch in Kühle Luft vorkommt, hat Lovecraft von Arthur Machen übernommen. Vgl. dessen Novel of the White Powder aus dem Episodenroman The Three Impostors.
(4) H. P. Lovecraft: Das Grauen von Dunwich. In: Ders.: Cthulhu Geistergeschichten. S. 138.
(5) H. P. Lovecraft: Die Farbe aus dem All. In: Ders.: Das Ding auf der Schwelle. S. 80.
(6) H. P. Lovecraft: Grauen in Red Hook. In: Ders.: Stadt ohne Namen.. S. 93.
(7) H. P. Lovecraft: Die lauernde Furcht. In: Ders.: Stadt ohne Namen. S. 220.
(8) H. P. Lovecraft: Fungi from Yuggoth. IX: The Courtyard.
(9) H. P. Lovecraft: Schatten über Innsmouth. S. 17.

1 Kommentar:

  1. Ich glaube ja, daß die Idee der in die Vergangenheit geschickten Videoaufzeichung, aus Benford´s "Timescape" entnommen wurde.
    Freue mich auf die Besprechung von "They Live"...

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