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Samstag, 7. Juli 2012

"... and pulls him apart in an amusing, ironic fashion"

Mir steht der Sinn momentan nach leichterer Kost, und so lade ich in Fortsetzung einer vor über einem Monat begonnenen (und mittendrin abgebrochenen) Reihe meine Leserinnen und Leser ein, gemeinsam mit mir einen weiteren Ausflug in die phantastischen Gefilde des Amicus-Episodenhorrors zu unternehmen. Ziel unserer Expedition soll diesmal ein ganz besonders eigenwilliges Exemplar dieser Spezies sein: The Vault of Horror aus dem Jahr 1973.

Schon die ersten paar Minuten machen deutlich, dass wir es mit etwas ungewöhnlichem zu tun bekommen. Ob zum Guten oder zum Schlechten ist freilich noch nicht abzusehen. Ein Amicus-Flick, in dem weder Peter Cushing noch Christopher Lee mitspielen? Hmm ... Dafür jedoch ein Kerl, den die Engländer offenbar 'Curt Jurgens' nennen?? --  Ja, gemeint ist tatsächlich der 'normannische Kleiderschrank'! Das verspricht doch zumindest interessant zu werden.

Wie der Titel schon andeutet, basieren die fünf Episoden auf Stories aus den berühmten E.C.-Horrorcomics der frühen 50er Jahre, wenn auch bizarrerweise nicht aus der Vault of Horror - Reihe, sondern aus Tales from the Crypt und den kurzlebigen Shock SuspenStories.
Zu ihrer Zeit hatten die von Bill Gaines herausgegeben Hefte mit ihrem Mix aus Horror, Gewalt und schwarzem Humor die Comicwelt ordentlich aufgemischt und ganz entscheidend zum zeitweiligen Niedergang des Superheldengenres beigetragen.  Doch als 1954 nach dem Erscheinen von Fredric Werthams Buch Seduction of the Innocent, das Comics für Jugendkriminalität verantwortlich machte, eine Woge der moralischen Panik über die Industrie hereinbrach, schlug für sie sehr schnell die Todesstunde. Um der staatlichen Zensur zuvorzukommen, schuf die Comics Magazine Association of  America den berüchtigten Comics Code, der u.a. die Darstellung von "horror, excessive bloodshed, gory or gruesome crimes, depravity, lust, sadism, masochism", sowie den Auftritt von Wandelnden Leichen, Vampiren oder Werwölfen verbot. Gaines musste sich sogar einer Befragung durch einen Untersuchungsausschuss des Senats unterziehen. Sein selbstbewusstes Auftreten  konnte das Ende von Tales from the Crypt, Vault of Horror und Haunt of Fear selbstredend nicht verhindern. Ihr Geld machten Mr. Gaines und E.C. in Zukunft hauptsächlich mit MAD.
Wenn man bedenkt, dass diese Reihen gerade einmal fünf Jahre lang erschienen sind, erstaunt es jemanden, der wie ich kein Comic-Aficionado ist, welch relativ reichhaltige filmische Früchte der E.C.-Horror im Nachhinein getragen hat. Da wären u.a. zwei Amicus-Filme, die Tales from the Crypt -TV-Serie (1989-96) mit ihren Spin-off-Filmen (u.a. Bordello of Blood) und natürlich George Romeros Creepshow von 1982. Der E.C.-Horror muss einen ganz eigenen Charme besessen haben, und wenn der Streifen, dem wir uns nun zuwenden wollen, davon etwas widerspiegelt, kann ich den Kultstatus, den die Comics wohl auch heute noch genießen, durchaus verstehen. Vault of Horror spielt eindeutig in der Champions League der Portmanteau-Filme von Amicus. Ist nicht schon der Trailer klasse?


Allerdings auch ein bisschen irreführend, denn der Film selbst ist nicht in Schwarzweiß.

Auf dem Regiestuhl nahm mit Roy Ward Baker diesmal kein Neuling, sondern ein richtig alter Hase Platz, der schon 1938 als Regieassistent neben Alfred Hitchcock gestanden und in den 50er Jahren mit Filmgrößen wie Marilyn Monroe und Lucien Ballard zusammengearbeitet hatte. Später hatte er für Hammer  die Spielfilmfassung von Quatermass and the Pit, die Carmilla-Adaption The Vampire Lovers sowie Dr. Jekyll and Sister Hyde gedreht. The Vault of Horror war nicht seine erste Arbeit für Amicus. Bereits ein Jahr zuvor hatte er mit Asylum ein weiteres Portmanteau-Juwel geschaffen.
Auch wenn die führenden Brit-Horror-Stars Cushing und Lee diesmal nicht mit von der Partei sind, ist die Besetzung des Films alles andere als unansehnlich. Neben dem schon erwähnten Curd Jürgens hätten wir da u.a. Daniel Massey, der durch seine Rolle in der Sartre-Adaption The Roads to Freedom bekannt geworden war; seine Schwester Anna Massey, die u.a. in Michael Powells Peeping Tom  und Hitchcocks Frenzy mitgespielt hatte; der wunderbar widerliche Terry-Thomas; Glynis Johns; Dawn Addams, die neben Charlie Chaplin in A King in New York gespielt hatte und Freunden des Ultra-Trash aus den legendär miesen Star Maidens bekannt sein dürfte (die Schauspielerei ist ein verdammt hartes Geschäft); und schließlich Tom Baker, der in Pier Paolo Pasolinis Canterbury Tales mitgewirkt hatte und der vierte Dr. Who werden sollte.
Hinter der Kamera stand wie schon bei Asylum Denys N. Coops, ein erfahrener Mann, der bei so großartigen Filmen wie Carol Reeds The Third Man, Otto Premingers Bonjour Tristesse und Stanley Kubricks Lolita mitgearbeitet hatte.
Für die Musik, die einen nicht unbeträchtlichen Teil zur Atmosphäre des Filmes beiträgt, gebührt der Ruhm einmal mehr Douglas Gamely.

In der Eröffnungsszene sehen wir die Londoner Houses of Parliament, dann schwenkt die Kamera über die Themse hinweg zu einem modernen Hochhaus. Der Übergang von Neogotik zu Glas & Stahl ließe sich als ein Hinweis darauf deuten, dass wir es im Folgenden nicht mit dem klassischen pseudoviktorianischen Horror, sondern mit einer moderneren Variante zu tun bekommen werden. Wir sehen fünf Männer nacheinander in einen Fahrstuhl einsteigen, der sich offenbar in besagtem Hochhaus befindet. Obwohl keiner von ihnen den entsprechenden Knopf gedrückt hat, hält der Lift erst im Kellergeschoss, das sich als eine Art exzentrischer Clubraum entpuppt. Da es keine weiteren Ausgänge gibt und der Fahrstuhl nicht mehr in Bewegung zu setzen ist, machen die fünf das beste aus ihrer Situation und wenden sich dem Cognac zu, während sie auf Hilfe warten. Um die Zeit totzuschlagen, erzählen sie sich gegenseitig von den intensiven und beunruhigenden Träumen, die sie in letzter Zeit quälen.
Die Motive, mit denen die fünf Episoden arbeiten, sind altbekannte Horrortropen. Wie der Trailer verkündet: "Madness, Voodoo, Vampires". Es ist die Art und Weise, wie der Film sich dieser Motive bedient, und welche Art von Geschichten er mit ihrer Hilfe erzählt, die seine Originalität ausmachen. Bei einer Diskussion über Romeros Creepshow hat Jim Moon den Inhalt der meisten E.C.-Stories einmal so zusammengefasst: "Here is a terrible bastard and then some even worse supernatural bastard comes and pulls him apart in an amusing, ironic fashion." Nach einem ähnlichen Strickmuster funktioniert auch The Vault of Horror. Wenigstens vier der  fünf Erzähler/Protagonisten sind eher unsympathische Gestalten, die auf makabre Art und Weise für ihre Missetaten bestraft werden. Dass in den ersten drei Geschichten diese Strafe von einer Frau ausgeführt wird, steigert angesichts der Opferrolle, die weibliche Charaktere in den Horrorflicks dieser Ära für gewöhnlich zu spielen hatten, noch das schwarzhumorige Amüsement. Das heißt, Opfer sind die Frauen auch hier, aber sie bekommen die Gelegenheit, sich für das, was die Männer ihnen antun, auf äußerst angemessene Weise zu rächen.

In Midnight Mess erleben wir, wie Harold Rodgers (Daniel Massey) seine Schwester Donna (Anna Massey) aufsucht. Die beiden haben sich seit langem nicht mehr gesehen, und Harold hat sogar einen Privatdetektiv engagieren müssen, um ihren Wohnort ausfindig zu machen. Dass er den Schnüffler nach getaner Arbeit stranguliert hat, lässt wenig gutes erwarten. Über der Kleinstadt, in der Donna lebt, liegt eine gespenstische Atmosphäre. Passanten raten Harold, nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr draußen zu sein, denn dann seien 'sie' unterwegs. Doch  von derart ominösem Geschwätz lässt sich der junge Mann nicht weiter irritieren, schließlich ist er hierher gekommen, um sich eine fette Erbschaft unter den Nagel zu reißen, indem er seine Schwester umbringt.
Nachdem das Verbrechen erfolgreich durchgeführt ist, verfällt er auf die Idee, sich im nahegelegenen Restaurant ein verspätetes Abendessen zu gönnen. Derweil ist es Nacht geworden, und wie wir natürlich längst geahnt haben, gehört die Stadt um diese Zeit den Vampiren. Das gilt auch für die örtliche Gastronomie. Als Harold sich dadurch verrät, dass er angeekelt auf das blutreiche Dinner reagiert, das ihm serviert wird, ist für die übrigen Gäste des Etablissments die einmalige Gelegenheit gekommen, ihren Speisezettel etwas aufzufrischen. Im selben Augenblick betritt die totgeglaubte Donna das Restaurant. Ja, auch sie ist eine Blutsaugerin! Das diabolische Vergnügen der 'Ermordeten', der zynische Smalltalk der Vampire und der morbideste Zapfhahn der Kino- und Kneipengeschichte machen die Schlussszene zu einem wirklich großen Spaß.

The Neat Job erzählt die Geschichte der kurzen und alles andere als glücklichen Ehe von Arthur (Terry-Thomas) und Eleanor (Glynis Johns). Terry-Thomas' Paraderolle war der britische Upperclass-Flegel mit oder ohne Uniform, wie er ihn in einer Reihe von Komödien der 60er Jahre verkörpert hatte, u.a. als Lt. Col. J. Algernon Hawthorne in Stanley Kramers It's a Mad, Mad, Mad, Mad World, Sir Percy Ware-Armitage in Ken Annakins Those Magnificent Men in their Flying Machines und Captain Sir Harry Washington-Smythe in Don Sharps Jules Verne's Rocket to the Moon. Sein Arthur Critchit ist ein weiterer Vertreter dieses unangenehmen Typs.
Der erfolgreiche Geschäftsmann hat die deutlich jüngere Eleanor 'erworben', damit diese sich um sein 'hübsches Haus' und um ihn kümmert. War die Hochzeit bereits eine Art Demütigung für Eleanor  ohne Geld und ohne Berufsausbildung hatte sie kaum eine andere Wahl, als den Antrag des Freundes ihres verstorbenen Vaters anzunehmen –, so erweist sich die Ehe selbst sehr schnell als eine einzige Aneinanderreihung immer neuer Quälereien und Erniedrigungen. Arthur besitzt einen geradezu krankhaften Ordnungssinn. Alles in seinem Haus hat seinen vorgeschriebenen Platz und nichts an dieser Ordnung darf verändert werden. Eleanor hat sich einzufügen wie ein weiteres Möbelstück, was ihr selbstverständlich nicht gelingt. Arthur sieht in ihr deshalb eine Vertreterin des Chaos, die nichts richtig machen kann. Wirkt die Situation zu Beginn noch auf groteske Weise witzig, schaffen seine ständigen Zurechtweisungen und Nörgeleien schon bald eine immer bedrückendere Atmosphäre. Permanent von ihrem Mann terrorisiert, dreht Eleanor schließlich durch, verfällt erst in kopflose Panik und bringt den Widerling zuguterletzt mit einem gezielten Hammerschlag ein für allemal zum Schweigen. Anschließend beweist sie ihm auf einmalig makabre Weise, dass auch sie über Ordnungssinn verfügt. Nicht, dass er das in seinem jetzigen Zustand noch würdigen  könnte ...

Mit The Trick'll Kill You taucht wie schon im allerersten Amicus-Episodenflick Dr. Terror's House of Horrors (1964) das Motiv der kulturellen Ausbeutung auf. Illusionist Sebastian (Curd Jürgens) ist gemeinsam mit seiner Frau Inez (Dawn Addams) nach Indien gereist, in der Absicht, dort neue magische Kunststücke zu lernen bisher ohne Erfolg. Auf einem überfüllten Markt stellt er in herablassender Manier einen alten Fakir bloß, indem er demonstriert, dass dessen 'mystische Wunder' nicht mehr sind als simple Zaubertricks. Kurz darauf beobachtet er wie die junge Gehilfin (Tochter?) des gedemütigten Alten durch das Spielen einer Flöte ein Seil aus einem Korb in die Höhe steigen lässt, um anschließend an diesem wie an einer Stange hinaufzuklettern. Er ist fasziniert und will ihr den 'Trick' für ein paar Tausend Rupien abkaufen. Sie jedoch beharrt darauf, dass es sich um echte Magie handele, die sie unmöglich verkaufen könne. Der magische Korb befinde sich seit Generationen im Besitz der weiblichen Linie ihrer Familie. Doch selbstverständlich kümmern weder Sebastian noch seine Frau Tradition oder kulturelles Erbe der 'Eingeborenen', wenn sich ihnen mit diesem 'Seiltrick' doch die Chance auf ein höchst profitables Geschäft bietet. Sie brauchen den Korb für ihre nächste Show, koste es, was es wolle! Jürgens und Addams bringen die blinde Gier des Paares mit ungebremster Verve zum Ausdruck. Sie überreden die junge Inderin, mit ihren magischen Utensilien auf ihr Hotelzimmer zu kommen, um ihnen das Wunder dort noch einmal vorzuführen. Als diese sich darauf einlässt, ermorden sie sie kaltblütig. Unfähig, hinter den 'Trick' des Korbes zu kommen, beginnt Sebastian schließlich das Flötenspiel der Ermordeten zu imitieren. Und siehe da: es klappt. Doch als Inez an dem Seil hinaufklettert, verschwindet sie plötzlich und stattdessen bildet sich ein Blutfleck an der Decke. Als der verständlicherweise geschockte Illusionist aus dem Zimmer zu fliehen versucht, erwacht das Seil zu schlangengleichem Leben  und nimmt sich den Mörder seiner Meisterin vor.
In der letzten Szene sehen wir erneut den alten Yogi seine Tricks vorführen, und ja – da ist plötzlich auch wieder seine 'ermordete' Gehilfin, derweil oben im Fenster des Hotels der strangulierte Sebastian baumelt.

Wie leider gar zu oft ist die traditionelle humorige Episode auch in diesem Portmanteau-Films ein Absacker. Bargain in Death spielt mit dem seit Poes Premature Burial klassischen Horrormotiv des Lebendig-Begraben-Seins und mischt dem einen Schuss Frankenstein oder Herbert West bei. Das Ergebnis ist zwar hübsch schwarzhumorig, kann aber dennoch nicht an die Qualität der übrigen Stories heranreichen.

Und so kommen wir lieber gleich zum letzten Streich Drawn and Quartered. Anders als die übrigen Episoden wird diese aus der Perspektive des 'Rächers' erzählt. Der englische Maler Moore (Tom Baker) lebt und arbeitet seit Jahren auf Haiti, als er von einem Bekannten, der ihn  in seinem selbstgewählten Exil besucht, erfährt, dass er auf dem heimatlichen Kunstmarkt keineswegs der 'Versager' ist, als der er sich selbst sieht. Vielmehr haben ihn Gallerist Gaskill und Kritiker Breedley zu einem echten Star aufgebaut und verdienen sich eine goldene Nase mit dem Verkauf der Gemälde des verarmten Künstlers.
Ich habe keine Ahnung, ob das beabsichtigt war, aber ich habe das Gefühl, dass diese Episode auf Vincente Minellis berühmten Van Gogh - Film Lust for Life von 1956 anspielt. Tom Baker ist nicht Kirk Douglas, aber der rote Bart, den er trägt, lässt mich automatisch an den großen holländischen Maler denken, während Moores Rückzug nach Haiti an die Südseeabenteuer von Van Goghs Freund Paul Gauguin erinnert, der bei Minelli von Anthony Quinn verkörpert wurde. Dies verleiht der Story in meinen Augen eine ganz eigene Note.
Moore ist nicht nur wütend, weil Gaskill und Breedley ihn schamlos ausgebeutet haben. Er sieht in ihrem Verhalten auch einen Verrat an der Kunst. Der einflussreiche Breedley hat seine Gemälde nicht angepriesen, weil er deren künstlerischen Wert erkannt hätte, sondern um sich auf diese Weise finanziell zu bereichern. Um die Gauner zu bestrafen zu können, wendet sich Moore an einen Voodoopriester. Dieser verleiht ihm den Segen oder Fluch, dass alles, was er malt, Wirklichkeit wird. Mit dieser Fähigkeit ausgestattet kehrt Moore nach London zurück und inszeniert dort seine Rache. Dummerweise jedoch hat er auch ein Selbstporträt gemalt, und seine neuerworbene Macht zeigt auch bei diesem Gemälde seine Wirkung ...

The Vault of Horror beweist einmal mehr, dass der Brit-Horror der 60er/70er Jahre oft mehr Stil und Intelligenz aufweist, als man ihm gemeinhin zutraut. Man muss kein Liebhaber von trashigen Filmen sein, um sein Vergnügen an ihm zu haben, denn die von Subotsky und Rosenberg produzierten Streifen haben im Allgemeinen mehr als bloßen Camp zu bieten. Eine kleine Zeitreise lohnt sich da allemal.

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