Anfang Juli
verkündete die
Canadian Science Fiction and Fantasy Association (CSFFA), dass sie zusammen mit Clint Budd und Diane L. Walton auch Charles R. Saunders (postum) in ihre
Hall of Fame aufgenommen hat. Rein zufällig erreichte mich ungefähr zur selben Zeit
The Quest for Cush, der zweite Band von Saunders'
Imaro - Zyklus. Den ersten hatte ich vor dreieinhalb Jahren gelesen und im Anschluss daran auch einen etwas ausführlicheren
Blogbeitrag über den Autor geschrieben, der als Gründer der Sword & Soul gelten darf, einer von afrikanischer Geschichte, Kultur und Mythologie inspirierten Unterart der Sword & Sorcery. Leider erwies es sich in der Folge als gar nicht so einfach, an weitere Abenteuer des Ilyassai-Kriegers heranzukommen. Doch in diesem Frühjahr sind nun bei
Gollancz erfreulicherweise die ersten beiden Teile seiner Saga neu aufgelegt worden. Ob dort irgendwann auch Ausgaben von
The Trail of Bohu und
The Naama War erscheinen werden, weiß ich leider nicht. Für den Moment jedenfalls bin ich endlich wieder zurück in den abenteuerlichen Gefilden von Nyumbani, dem phantastischen Afrika von Saunders' Erzählungen.
Ähnlich wie schon
Imaro setzt sich auch
The Quest for Cush teilweise aus älteren Kurzgeschichten zusammen, die Saunders zu Beginn der 80er Jahre noch einmal überarbeitete und in die fortlaufende Handlung seiner Romane einflocht. Das Eröffnungskapitel "Mji Ya Wzimu", das damals allerdings noch den Abschluss des ersten Bandes gebildet hatte und erst in der
Night Shade - Ausgabe von 2007 an seinen jetzigen Platz gerückt ist, basiert auf der allerersten veröffentlichen Imaro - Geschichte
M'ji Ya Wazimu (The City of Madness), die im Juli & Oktober 1974 auf den Seiten des kanadischen Magazins
Dark Fantasy erschienen war. Da Lin Carter sie im Folgejahr auch in seine Anthologien-Reihe
The Year's Best Fantasy Stories aufgenommen hatte, gehört sie zu den wenigen Werken des Autors, die ins Deutsche übersetzt wurden. Mir liegt sie als Teil des
Moewig - Bandes
Die besten Fantasy-Stories 1 (1987
) vor. (1) Dank der Queen's University (Toronto) und des
Internet Archive kann man seit einiger Zeit allerdings auch direkten Einblick in
alle Ausgaben von Dark Fantasy erhalten, was es einem erlaubt, viele der frühen Imaro-Geschichten in ihrer ursprünglichen Form zu lesen.
Ich halte es nicht für nötig, noch einmal alles zu rekapitulieren, was ich Ende 2021 über Leben und Karriere von Charles R. Saunders (1946-2020) geschrieben habe. Der alte Blogpost existiert ja noch. Darum hier nur eine Kurzfassung.
Als ihm in den späten 60er Jahren erstmals Robert E. Howards
Conan - Stories in Gestalt der
Lancer Books - Ausgaben mit ihren ikonischen Frank Frazetta - Covern in die Hände fielen, entdeckte Saunders nicht nur seine Liebe zur Sword & Sorcery, die ihn ein Leben lang begleiten sollte, sondern
spürte auch, wie dabei der Funke des Geschichtenerzählers in ihm entfacht wurde:
Once I started reading those books, I
was hooked! Of course, I still read the hard and New Wave SF. But
fantasy appealed to something deeper in me – the soul of the
storyteller, perhaps. It was when I discovered fantasy that I also
discovered that I wanted to be a storyteller – a griot, although I
hadn't yet discovered that term.
Freilich sollte es noch eine Reihe von Jahren dauern, bis er selbst ernsthaft mit dem Schreiben beginnen würde. Dabei stellte sich ihm u.a. ein Problem, das er mit vielen (allen?) schwarzen Fantasy- und Science Fiction - Fans der Zeit teilte. Ein Problem, das allerdings zugleich zu einer Art Herausforderung für ihn werden sollte:
I
began to realize that in the SF and fantasy genre, blacks were, with
only few exceptions, either left out or depicted in racist and
stereotypic ways. I had a choice: I could either stop
reading SF and fantasy, or try to do something about my
dissatisfaction with it by writing my own stories and trying to get
them published. I chose the latter course.
Ein halbes Jahr nach seinem Debüt mit M'ji Ya Wazimu (The City of Madness) trat er auch mit seiner Kritik an den rassistischen Elementen in der "klassischen" Sword & Sorcery an die (Szene) Öffentlichkeit. Sein Essay Die, Black Dog! ist meines Wissens nach das früheste Beispiel für eine solche kritische Auseinandersetzung mit den Tradtionen des Genres. Er erschien 1975 in Toadstool Wine, einem Gemeinschaftsprojekt von sechs "Indie-Magazinen", und gehörte dort zu dem Teil, der von dem von Jessica Amanda Salmonson und Phyllis Ann Karr herausgegebenen Magazine of Fantasy and Terror beigesteuert worden war. Saunders selbst hat später einmal gesagt, der Essay sei für ihn eine Art "cri de coeur" gewesen, "overflowing with ire and brimstone". Sein Zorn richtete sich dabei nicht allein gegen die "(un)heilige Dreieinigkeit" von Weird Tales -- Robert E. Howard, H.P. Lovecraft und Clark Ashton Smith --, sondern auch gegen die selbsternannten Sachwalter des Howard'schen Erbes, L. Sprague de Camp und Lin Carter. Carter and de Camp [...] continue to practice good old-fashioned bigotry in their non-Conan endeavors. Though they have done a good job at ameliorating some of Howard's more blatant racism, their own efforts at sword-and-sorcery are throwbacks. This is doubly shameful, because both of these men are scholars, and should know better.
In einem Interview mit Steve Tompkins hat er seine Kritik an der Sword & Sorcery von Carter und de Camp später einmal wie folgt präzisiert
These stories
demonstrated a blind spot most people of their generation had,
regardless of their level of education. They simply could not accept
the notion that black Africans were capable of developing their own
civilisations. It was as though they could not even imagine such a
thing. Whenever blacks lived in a semblance of civilization, it was
always either something built on the ruins of an older, more advanced
culture, or else it was introduced by white outsiders and maintained
by a half-caste elite. (2)
In der westlichen Abenteuer- und Pulp-Literatur fand diese rassistische Überzeugung u.a. Ausdruck in dem beliebten Motiv der "Lost Cities" und "Lost Civilizations", als deren frühestes populäre Beispiel H. Rider Haggards King Solomon's Mines (1885) gelten darf. Noch einflussreicher dürfte sein ein Jahr später erschienener Roman She gewesen sein. Ihren Weg in die Sword & Sorcery scheint mir das Motiv allerdings primär über Edgar Rice Burroughs' Tarzan - Romane gefunden zu haben.
In The Return of Tarzan (1913) taucht zum ersten Mal die "verlorene Stadt" Opar auf, bei der es sich um das letzte Relikt einer einstigen atlantischen Kolonie handelt (3), bevölkert von den degenerierten Nachkommen der weißen herrschenden Kaste, deren Macht vor Jahrhunderten dem Ansturm der schwarzen "Wilden" erlag. Wie die Hohepriesterin La dem Helden erzählt:
From that day [dem Tag des Untergangs von Atlantis] dated the downfall of my people. Disheartened and unhappy,
they soon became a prey to the black hordes of the north and the black hordes
of the south. One by one the cities were deserted or overcome. The last remnant
was finally forced to take shelter within this mighty mountain fortress. Slowly
we have dwindled in power, in civilization, in intellect, in numbers
Fast genau dieselbe Hintergrundsgeschichte besitzt die "verlorene Stadt" Negari in Robert E. Howards Solomon Kane - Story The Moon of Skulls (1930). Nur haben die Nachfahren der Atlanter dort selbst in der Stadt die Macht irgendwann an die "schwarzen Barbaren" verloren und müssen sich seitdem mit der Rolle der Priesterkaste zufrieden geben, um bestenfalls graue Eminenz spielen zu können. (4)
Auf dieses doppelte Vorbild bezieht sich Charles R. Saunders ziemlich eindeutig in M'ji Ya Wazimu (City of Madness). Doch bevor wir uns anschauen, was er dort mit dem Motiv der "Lost City" macht, noch ein paar Worte über die Version der Geschichte, die mir als Teil von The Quest for Cush vorliegt.
Wie bereits erwähnt, bildete "Mji Ya Wzimu" ursprünglich den Abschluss des 1981 erschienen ersten Imaro - Romans. Als die Saga in der zweiten Hälfte der 2000er erstmals vollständig (neu) herausgegeben wurde, wanderte das Kapitel an den Anfang des zweiten Bandes. Doch das war nicht die einzige Veränderung. Saunders ersetzte zudem den vorausgehenden Part, der auf seiner (unveröffentlichten) Kurzgeschichte Imaro and the Giant Kings basiert hatte, durch ein völlig neu geschriebenes Kapitel -- The Afua. Grund hierfür war, dass der Inhalt der alten Story beunruhigende Parallelen zum Völkermord in Ruanda und Burundi aufwies. Imaro hatte darin einen Aufstand von "Kahutu" - Sklaven gegen ihre "Mwambututsi" - Herren angeführt, der in einem blutigen Massaker gipfelte. Die beiden Völker waren den realtweltlichen Hutu und Tutsi nachempfunden, und es ist nur zu verständlich, dass Saunders eine derartige Story nach den grauenerregenden Ereignissen von 1993/94 nicht länger in seiner Saga haben wollte. Damit veränderte sich auch ein wichtiger Teil von Imaros "Biographie": Die Umstände, unter denen er zu dem Gesetzlosen - Trupp der haramia gestoßen war, deren Anführer er schließlich wird, und wie er seine Geliebte Tanisha kennengelernt hatte. Dem musste dann natürlich auch der Inhalt von "Mji Ya Wzimu" angepasst werden. Was man heute in The Quest for Cush zu lesen bekommt, ist also nicht derselbe Text, der einmal Teil von Imaro gewesen ist. Wie groß die Unterschiede zwischen den beiden sind, kann ich freilich nicht überprüfen. Wenn im Folgenden von "Romanversion" die Rede ist, ist also immer diese überarbeitete Fassung gemeint.
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| Karte von Nyumbani, gezeichnet von Cliff Bird, erstmals veröffentlicht in REHupa #34 (1978). Quelle: Stuff I Like. |
Die Ausgangssituation ist in Kurzgeschichte und Roman weitgehend dieselbe. Die haramia
ist von den Truppen der Küstenkönigreiche aufgerieben worden,
woraufhin der Verräter Bomunu geflüchtet ist, Tanisha als Gefangene mit
sich schleppend. Imaro hat die beiden bis in einen dichten, ihm
unbekannten Dschungel verfolgt.
Die Unterschiede liegen vor allem in der psychologischen Bedeutung, die diese Ereignisse für unseren Helden haben.
Der
Imaro der Kurzgeschichte wird ausschließlich von einem wütenden
Verlangen nach Rache angetrieben. Im Roman ist er eine sehr viel
komplexere Figur. Wichtiger Teil seiner Persönlichkeit ist die Sehnsucht
nach einer menschlichen Gemeinschaft, in der er sich akzeptiert und
aufgenommen fühlt. Die haramia konnte ihm das zwar nicht wirklich
bieten, doch von allen Gruppen, die er in seinem Leben bis dato
kennengelernt hatte, schien sie am ehesten das Potenzial zu besitzen,
eine solche Gemeinschaft werden zu können. Ihr Untergang hat ihn in die
Position des einsamen Außenseiters zurückgeworfen.
Auch
seine Beziehung zu Tanisha besitzt im Roman eine deutlich andere
Qualität. In der Kurzgeschichte wird sie als eine Art Beutestück
beschrieben, das ihm während des Aufstands gegen die Mwambututtsi in die
Hände gefallen ist:
With
his share of the loot, Imaro had also taken Tanisha, a buxom, lusty
Kahutu wench who had been the mistress of the sadistic overseer of the
mine. Imaro had killed him with his bare hands. And he had vowed to do
the same to anyone who dared to touch the woman he claimed for his own
...
Imaros
Verhalten hinterlässt den Eindruck, dass er in ihr vor allem ein
Besitztum sieht, das ihm gestohlen wurde. Von gegenseitiger Zuneigung
und Respekt ist hier noch wenig zu spüren.
Ganz
anders in der Romanfassung. Hier basierte ihre Beziehung von Anfang an
auf wechselseitigen Gefühlen. Tanisha war nie die "Beute" Imaros.
Viemehr war die "verbotene" Liebschaft der beiden der Hauptauslöser für
Imaros Konflikt mit Rumanzila, dem ehemaligen Anführer der hamaria.
In der Folge wurde sie zur einzigen Person, der Imaro völlig vertraut
und mit der er seine Ängste und Unsicherheiten teilt. Entsprechend
anders sehen auch seine Motive für die Verfolgung ihres Entführers
Bomunu aus. Ihm geht es nicht darum, sein "Eigentum" zurückzuerlangen,
sondern einen geliebten Menschen zu befreien.
Doch
zuerst einmal stößt Imaro während seiner Verfolgungsjagd durch den
Dschungel überraschend auf folgende Szene: Auf einer kleinen Lichtung
quälen und misshandeln drei Krieger in altertümlicher Rüstung einen am
Boden liegenden Mann. Alle vier sind von ungewöhnlicher Erscheinung.
Three
of them were complete anomalies: men of medium stature with unnaturally
light skins and thin, narrow features, and snakelike black locks
curling downward from rusty metal helmets. (M'Ji Ya Wazimu)
They
were men of medium height, clad in armor of worn leather reinforced
with plates of rusty metal. But it was their complexion that made them
so anomalous. Their skin was as pale as the belly of a fish, in sharp
contrast to the black of their hair, which hung in strange, snakelike
locks beneath their helmets. (The Quest for Cush)
Das Opfer der bleichen Krieger ist von kleinwüchsiger Gestalt -- ein "Pygmäe".
Interessant
auch hier, wie sich die Motivation für Imaros Eingreifen von Version zu
Version verändert hat. In der Kurzgeschichte ist es neben einem Anflug
von Mitgefühl für den Gemarterten vor allem ein instinktiver, aus seinem
Unterbewusstsein aufsteigender Hass auf die Weißen, der ihn angreifen
lässt. Beinahe könnte man von einer Art "race memory" sprechen: "Something
about the appearance of the light-skinned torturers stirred a loathing
that crept unbidden from the deepest recesses of his memory." Davon
findet sich im Roman nichts mehr. Hier weckt die Szene in Imaro vor
allem Erinnerungen an seine eigene Kindheit und Jugend, an all die
Misshandlungen, die er von den Händen der Ilyassai erleiden musste, des
Volkes, unter dem er aufgewachsen ist.
Imaro
metzelt die bleichen Krieger in einem seiner berserkerhaften
Gewaltausbrüche nieder. Mit dem geretteten "Pygmäen" betritt nun endlich
Pomphis die Bühne, der für den Rest von
The Quest for Cush (und
darüberhinaus?) zum engsten Freund und treuen Gefährten unseres Helden
werden wird. Die Figur des redegewandten, etwas eitlen, kultivierten und
umfassend gebildeten Bambuti (5) ist eine weitere bewusste Umkehrung
rassistischer Klischees, deren Wurzeln in den pseudowissenschaftlichen
Rassentheorien des 19. und 20. Jahrhunderts liegen. Wie Charles Saunders
in seinem Essay
Of Chocolate-Colored Conans and Pompous Pygmies schreibt:
The
Pygmies, or the Bambuti, have long been considered one of the most
primitve peoples on Earth, ranking right up (down?) there with the
Australian Aborigenes and the natives of New Guinea. So I thought it
would be a gas to hit the public with a Cushite-educated Pygmy who
could read and speak thirty-six languages, translate the Necronomicon
into Yoruba, plan better bank robberies than
Dillinger, and make love in eighty-three different positions.
Als
Kind von Sklavenjägern entführt, wuchs Pomphis im Palast des Sha'as von
Azania auf, einem der Reiche an der Ostküste von Nyumbani. Dort wurde
er zu einem mjimja -- einem Hofnarren, Gaukler und Akrobaten --
ausgebildet und erfreute sich eine Zeit lang der Gunst der mächtigen
Adeligen. (6) Das endete, als man ihn eines Tages im Bett mit einer der
Töchter des Sha'as überraschte. Seiner Hinrichtung entging er bloß, weil
ein Abgesandter des mächtigen Cush Interesse an dem Bambuti zeigte und
ihn mit in das uralte Reich im Norden nahm. Mit Khabatekh als
väterlichem Mentor konnte Pomphis sich in der Folge ganz seinem
unstillbaren Durst nach Wissen hingeben. Für Jahre wurden die großen
Bibliotheken von Cush seine zweite Heimat. Doch dann kehrte er zusammen
mit Khabatekh in den Süden zurück. Sein Mentor kam bei einem Überfall
ums Leben und auf der Flucht vor den Angreifern landete Pomphis
schließlich in dem Urwald, in dem er nun Imaro begegnet ist.
Die Hintergrundsgeschichte des geschwätzigen Bambuti ist in beiden Versionen der Story weitgehend identisch. Mit einer entscheidenden Abweichung: In der Kurzgeschichte gab es keinen besonderen Grund für die Reise von Khatabekh und Pomphis: "Ever a traveler and explorer, Khatabekh succumbed once again to his wanderlust. Thus, he and Pomphis had set off for the wild hills south of Punt and Axum." Im Roman hingegen wurden die beiden von der Herrscherin von Cush, der Kandisa, ausgeschickt, um einen prophezeiten Heroen, den "mightiest warrior of all", zu finden, der eine zentrale Rolle im heraufziehenden großen Krieg zwischen Cush und den bösen Zauberern von Naama spielen werde. Und natürlich wird Pomphis am Ende der Geschichte (bzw. des Kapitels) zu der Überzeugung gelangt sein, den Gesuchten in Imaro gefunden zu haben. Damit wird an Motive aus dem ersten Roman angeknüpft, denn schon dort hatte sich angedeutet, dass Imaro ein besonderes Schicksal vorherbestimmt ist und dass die Hohen Zauberer von Naama und die von ihnen verehrten Dämonengötter, die Mashataan, dabei seine Hauptgegenspieler sein würden.
Mit den Mashataan können wir nun endlich auch wieder zu den mysteriösen weißhäutigen Kriegern zurückkehren. Bei denen handelte es sich Pomphis Einschätzung nach nämlich um Mizungus -- beinah schon mythische Gestalten aus der Vergangenheit von Nyumbani. Vor Jahrhunderten landeten ihre Schiffe an der Westküste und sie begannen, große Teile des Kontinentes zu erobern und seine Bevölkerung zu versklaven. Dabei genossen sie die übernatürliche Unterstützung der Mashataan. Für fast ein Jahrhundet herrschten sie mit eiserner Faust über die von ihnen unterworfenen Völker und plünderten das Land aus. Erst als es einem der Magier von Cush gelang, die "Cloud Strider", die göttlichen (oder gottähnlichen) Beschützer Nyumbanis, in unsere Welt zurückzurufen, konnten sich die Bewohner des Kontinentes in einem großen Befreiungskrieg gegen die Mizungus und ihre dämonischen Schutzherren erheben und sie ins Meer zurücktreiben. Doch ab und an hört man geflüsterte Gerüchte von einer letzten Stadt der weißen Unterdrücker, die sich immer noch irgendwo in den Tiefen des Dschungels befinden soll. "Mji Ya Wazimu, the legends call it -- the City of Madness." Mizungus war der Name, den die Bewohner Nyumbanis den Fremden gaben: "those without mercy". Sie selbst nannten sich "Atlanteans".
Die Hintergrundsgeschichte der "Stadt des Wahnsinns" gleicht also beinah völlig der von Opar (und Negari). Verändert hat sich eigentlich nur die Perspektive. Doch indem wir sie durch die Augen der "Kolonisierten", nicht der "Kolonisatoren" (bzw. ihrer Nachfahren, der weißen "Entdecker" und "Abenteurer") betrachten, bekommt das ganze Szenario sofort einen völlig anderen Vibe.
In der Romanfassung wird das noch durch eine Passage verstärkt, die sehr deutlich Reminiszenzen an den transatlantischen Sklavenhandel wachrufen soll: "Thousands of men and women were sent across the Bahari Magharibi in slave ships bound for the Mizungus' home continent". Außerdem wird im Vergleich zur ursprünglichen Kurzgeschichte sehr viel stärker die rassistische Weltsicht der Atlanter hervorgehoben, wobei diese auf den bösartigen Einfluss der Mashataan zurückgeführt wird:
In Atlan they had sown a malignant suggestion in the minds of the people of the sea-girt continent: a belief that the people of Nyumbani were subhuman, fit only for slavery, or sacrifice on the altar of the Atlanteans' gods. Under the influence of the Mashataan, the people of Atlan even gave the black people a special, derogatory name: na-gah, meaning "despised ones".
An welches realweltliche Wort wir dabei denken sollen, dürfte wohl klar sein.
In der "Stadt des Wahnsinns" werden Imaro und Pomphis später riesige Tempelfriese sehen, die dieser Weltsicht künstlerischen Ausdruck verleihen:
The carvings depicted scenes of unimaginable cruelty, with tall, noble, long-haired figures dominating stooped, apish creatures only vaguely identifiable as human. Though its brightness had faded with the passage of the rains, the pigments that colored the figures were still visible. The noble, victorious ones were painted white; their cringing, subservient victims black.
Imaro ist ganz von Wut und Hass auf die Mizungus erfüllt. Pomphis, der über ein sehr viel größeres historisches Wissen verfügt und das Ganze deshalb etwas distanzierter betrachten kann, reagiert deutlich anders:
Pomphis looked at the carvings and reflected sadly upon the fate of this remnant of the Mizungu invaders, still deluded by the false tenets inculcated by the Mashataans ... Even now, they have not learned, the Bambuti thought.
Ich denke, es ist nicht zu weit her geholt, hierin etwas von Charles Saunders' eigener Sichtweise erkennen zu wollen: Rassismus ist ein zählebiges Übel und noch lange nicht überwunden. Aber er entspringt nicht der "Natur" der Weißen.
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| Illustration von Gene Day für den zweiten Teil von M'Ji Ya Wazimu (The City of Madness) aus der Oktoberausgabe 1974 von Dark Fantasy |
Da Pomphis beobachten konnte, wie Bomunu und Tanisha von den Mizungus gefangen und in die "Stadt des Wahnsinns" verschleppt wurden, beschließt Imaro ohne zu zögern, ebenfalls die halbzerfallene Metropole aufzusuchen. Der Bambuti begleitet ihn, allein schon aus Dankbarkeit für seine Rettung. Und wie es seine Art ist, beginnt Pomphis auch sogleich, Pläne für ihr weiteres Vorgehen zu schmieden. Leicht überrascht stellt er fest, dass Imaro, den er bislang ja nur als wildgewordenen Berserker kennengelernt hatte, bei kühlem Kopf sehr wohl zu einem umsichtigen Verhalten fähig ist.
Der Rest der Geschichte entspricht weitgehend den Koventionen einer "klassischen" Sword & Sorcery - oder Pulp Adventure - Story. Das Szenario ist aus zahlreichen Vorgängern hinlänglich bekannt -- von Edgar Rice Burroughs' Return of Tarzan bis zu Robert E. Howards Moon of Skulls oder seinen Conan - Yarns The Slithering Shadow und Red Nails. Der Held dringt in die "Lost City" ein und rettet die Damsel-in-Distress, die gerade irgendeinem finsteren Gott geopfert werden soll. Und natürlich gipfelt das Ganze in einem epischen Kampf mit einem fürchterlichen Ungeheuer.
Auffällig ist allerdings, dass Saunders dabei auf ein Element verzichtet, das in fast allen seinen "Vorbildern" zu finden ist. Dort herrscht nämlich beinahe immer eine Frau, ob als Priesterin, Königin oder "lebende Göttin", über die "Verlorene Stadt". Sei es La bei Burroughs, Nakari und Thalis (in eingeschränktem Maße auch Tascela) bei Howard. Ganz zu schweigen von Ayesha in H. Rider Haggards She (1887) und Antinea in Pierre Benoits L'Atlantide (1919). Dieser Aspekt und damit verbundene Themen wie Genderrollen und Matriarchat interessierten Saunders anscheinend nicht. Vielleicht dachte er sich aber auch, dass sie die Geschichte unnötig verkomplizieren und ihren antikolonialistischen Inhalt unscharf machen würden.
Wie dem auch sei, auf jeden Fall werden die Atlanter bei ihm von einem Hohepriester beherrscht. Auch sind sie nicht im klassischen Sinne "degeneriert". Vielmehr haben sie ihre Lebensdauer über Jahrhunderte künstlich verlängert, indem sie von der Seelenkraft (n'kaa) ihrer schwarzen Opfer zehren, die sie den Mashataan darbringen. Dabei wird die n'kaa in den abgeschlagenen Schädeln der Ermordeten eingeschlossen, die die Atlanter morbiden Schmuckstücken gleich am Körper tragen.
Der vielleicht interessanteste Unterschied zwischen Short Story - und Romanversion ist, dass wir in letzterer einige Szenen aus der Sicht des atlantischen Hohepriesters Vorstos erhalten. In gewisser Hinsicht "humanisiert" das die Atlanter, denn wir bekommen gezeigt, dass es auch unter ihnen Gefühle von Liebe und Freundschaft gibt, wenn der Quasi-Unsterbliche sich Gedanken darüber macht, wie er das unnatürliche Leben seiner Geliebten und seines engsten Freundes weiter verlängern könnte. Freilich sind diese Gefühle dadurch zutiefst pervertiert worden, dass eine solche Ausweitung der Lebensspanne nur durch die Opferung weiterer Schwarzer erreicht werden kann. Ganz in seiner zutiefst rassistischen Weltsicht gefangen, sieht Vorstos in den na-gah natürlich nicht wirklich gleichwertige Menschen, sondern mehr Tiere, die man mit gutem Gewissen auf die Schlachtbank schicken kann. Dass ihre "Seelenkraft" dennoch das einzige ist, was die Atlanter am Leben zu erhalten vermag, sollte zwar dafür sprechen, dass sie nicht bloß Tiere sind, ihre n'kaa vieleicht sogar ganz dieselbe wie die der Atlanter ist. Doch solche Gedankengänge sind dem Priester natürlich völlig fremd.
Erwähnt sei außerdem noch, dass es diesmal an Pomphis ist, Imaros Leben zu retten, nachdem er zuvor bereits den Großteil der Atlanter durch eine Flut geschickter Beleidigungen in Rage versetzt und vom großen Altarraum fortgelockt hatte. Auch erhalten die Seelen der hingemordeten Schwarzen am Ende Gelegenheit, sich auf grausige Weise an den Mizungu zu rächen, was zugleich den endgültigen Untergang der "Stadt des Wahnsinns" herbeiführt.
In der Romanversion klingt das Kapitel Mji Ya Wzimu mit einer Szene aus, die andeutet, welche Bedeutung das eben bestandene Abenteuer und vor allem die sich entwickelnde Freundschaft mit Pomphis für Imaros Persönlichkeit haben. Bislang hatte es außer Tanisha keinen Menschen gegeben, dem sich unser Held innig verbunden gefühlt und dem er wirklich vertraut hätte. Das beginnt sich nun langsam zu ändern. Als der Bambuti erzählt, mit welchen vulgären und blasphemischen Schmähungen genau er die Mizungu in blindwütige Rage versetzt hatte, bricht Imaro in schallendes Gelächter aus.
Tanisha and Pomphis exchanged a glance.
"By Aspelta's claw," the Bambuti half-whispered, "I don't believe this man has ever laughed before."
He was right.
Nachdem die ursprüngliche Version von
City of Madness in
Dark Fantasy erschienen war, veröffentlichte Jessica Amanda Salmonson im
New Fantasy Journal eine offenbar ziemlich negative Besprechung der Story, auf die Saunders seinerseits mit dem Essay
Of Chocolate-Colored Conans and Pompous Pygmies reagierte. Ich finde dieses anfängliche Aufeinanderprallen zweier kommender Größen der Sword & Sorcery recht interessant. Alle beide gingen an das Genre von einem Blickwinkel aus heran, den man heute wohl "marginalisiert" nennen würde. Bloß war das bei ihnen nicht derselbe. Saunders ging es darum, einen schwarzen Sword & Sorcery - Helden zu kreieren, der nicht länger ein Sidekick war wie Juma der Kushit von L. Sprague de Camp und Lin Carter. Zugleich wollte er eine phantastische Welt erschaffen, die den ganzen Reichtum und die Vielfalt afrikanischer Kulturen und Überlieferungen widerspiegeln sollte. Wie revolutionär dieses Anliegen Mitte der 70er Jahr war, scheint Salmonson anfangs nicht recht begriffen zu haben. Sie betrachtete die Sword & Sorcery hauptsächlich unter einer feministischen Perspektive. Und auch wenn ich den konkreten Inhalt ihrer Rezension nicht kenne, finde ich es nicht schwer, mir vorzustellen, warum
City of Madness in ihren Augen nicht mehr war als eine generische S&S-Story mit einem schwarzen Clonan. Die Figur der Tanisha entspricht vor allem in der ursprünglichen Fassung weitgehend den "traditionellen" sexistischen Klischees. Sie ist dort nicht mehr als eine sexy Damsel-in-Distress, die gefesselt, hilflos und nackt auf einem Opferaltar liegt und darauf wartet, dass der Held kommt und sie befreit. Schlimmer noch -- nach ihrer Rettung verfällt sie in einen hysterischen Zustand, aus dem Imaro sie schließlich mit einer schallenden Ohrfeige herausreißen muss. Ein Detail, das seinen Weg glücklicherweise nicht in die Romanfassung gefunden hat.
Charles R. Saunders und Jessica Amanda Salmonson sollten im weiteren Verlauf der 70er Jahre großen Respekt für einander entwickeln. Und man darf wohl annehmen, dass sie im Verlauf dessen auch einiges voneinander lernten. Saunders war der einzige männliche Autor, der mit einem Beitrag in Salmonsons Anthologie Amazons! (1979) vertreten war. Agbewe's Sword war die erste seiner Geschichten um die Kriegerin Dossouye. Mit deren Abenteuern werden wir uns im nächsten Blogpost zur Sword & Soul beschäftigen. Uns zugleich aber auch den Rest von The Quest for Cush anschauen.
(1) Die Stadt des Wahnsinns war zuvor bereits in Terra Fantasy #81: Tempel des Grauens (1981) abgedruckt worden. In deutscher Übersetzung erschienen außerdem die Imaro-Story The Pool of the Moon / Der Mondteich in Terra Fantasy #88: Der dunkle König (1981) und Die besten Fantasy-Stories (1987), sowie die vier ersten Dossouye-Kurzgeschichten in Amazonen! (1981) und den ersten drei übersetzten Bänden von Marion Zimmer Bradleys Anthologien-Reihe Sword and Sorceress. Außerdem noch die Nyumbani-Geschichte Ishigibi in Hexengeschichten (1985), der deutschen Version von Susan M. Shwartz' Hecate's Cauldron.
(2) Dieses Interview wurde ursprünglich für den Cimmerian geführt, fand sich aber auch auf Charles R. Saunders' eigener Website. Die ist inzwischen allerdings im Orkus verschwunden und unglücklicherweise lässt sich der Text nicht einmal mehr über die Wayback Machine erreichen.
(3) Die Vorstellung, Atlantis sei ein Weltreich mit Kolonien auf allen möglichen Kontinenten gewesen, dürfte wohl durch Ignatius Donnellys 1882 erschienenen Schmöker Atlantis, the Antedeluvian World erstmals populär geworden sein. Ein weiterer Einfluss war vermutlich Madame Blavatskys Theosophie, in deren "Geschichtsphilsophie" Atlantis gleichfalls eine nicht unbedeutende Rolle spielt.
(4) Bekanntermaßen verkörpert die "Zivilisation" bei Howard beinahe immer Repression, Entmenschlichung und Dekadenz. Entsprechend erscheinen auch die atlantischen Kolonisatoren in The Moon of Skulls zumindest in einem etwas fragwürdigen Licht -- überheblich und grausam. Dennoch ist die Darstellung der afrikanischen Bevölkerung ganz von Howards rassistischen Überzeugungen (und den entsprechenden Klischees der Pulp-Literatur der Zeit) geprägt. Weshalb der Unterschied zu früheren Lost City - Geschichten letztenendes dennoch nicht so groß ist.
(5) Die Bambuti bzw. Mbuti sind ein realweltliches Volk aus der Kongo-Region.
(6) In dem Sammelband Nyumbani Tales finden sich zwei Geschichten -- The Blacksmith & the Bambuti sowie Pomphis and the Poor Man --, die Episoden aus dieser Jugendzeit des "Pygmäen" in Azania erzählen.