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Montag, 28. April 2025

Ein paar Gedanken zu einer etwas missglückten Geschichte

Der kanadische Autor Kevin Beckett scheint kürzlich alle seine Webaktivitäten terminiert zu haben. Aber für geraume Zeit war er Herausgeber von Just the Axe, Ma'am, einem monatlichen Newsletter über Neuigkeiten aus der Sword & Sorcery. Worüber ich ihn kennengelernt habe. Als er dann auf seinem (nunmehr gleichfalls gelöschten) Bluesky-Account seine neueste Erzählung To Kill Titania mit dem Worten vorstellte, sie sei von Robert E. Howards Solomon Kane, dem Folk Horror von Witchfinder General und A Field in England sowie Shakespeares A Midsummer Night's Dream inspiriert worden, schien dies haargenau meinem persönlichen Geschmack zu entsprechen. Weshalb ich mir denn auch die eBook - Version besorgt habe. Bei einem Preis von einem Euro kann man nicht viel falsch machen.

Nun ist es nicht meine Gewohnheit, mich hier auf dem Blog über Geschichten auszulassen, über die ich in erster Linie negatives zu sagen habe. Wenn ich in diesem Fall eine Ausnahme mache, dann, weil meine Hauptkritik einen Punkt betrifft, der mir im Zusammenhang mit einem persönlichen Schreibprojekt sehr wichtig ist, an das ich mich seit einigen Wochen etwas ernsthafter herantaste. Dieser Blogpost soll mir vor allem dazu dienen, meine Gedanken zu sortieren.

Wie die Inspirationsquellen ja schon hatten vermuten lassen, spielt To Kill Titania in der Ära des Englischen Bürgerkriegs (1642-51). Wann genau geht aus dem Text freilich nicht hervor. Der ebenso fanatische wie skrupellose "Judge" Frobisher (weder Titel noch Name scheinen echt zu sein) lässt von einem Trupp norwegischer Söldner ein abgelegenes Gasthaus überfallen und die Wirtsleute niedermachen. Verschont bleibt nur deren Tochter Rebecca, die der "Richter" als Köder und Druckmittel benutzt, um den Zauberer und Gesetzlosen Simon Wolfhead in die Hände zu bekommen und anschließend dessen Kooperation sicherzustellen. Simon soll ihm das geheime Tor ins Feenreich öffnen, denn er beabsichtigt, Titania -- die "Queen of Air and Darkness" -- zu töten, um auf diese Weise alle Magie für immer zu vernichten.

Über formale Patzer und Schludrigkeiten will ich für den Moment hinwegsehen. Es reicht anzumerken, dass der Text vor einer Veröffentlichung besser noch mal durch irgendeine Form von Lektorat gegangen wäre. Ebensowenig will ich der Erzählung ankreiden, dass die beschriebenen Örtlichkeiten frei erfunden zu sein scheinen. Auch wenn ich es sicher stimmungsvoller gefunden hätte, wenn etwa die erste Begegnung mit Simon an einem real existierenden Kreis von Stehenden Steinen stattfinden würde. Was mich wirklich gestört hat ist vielmehr Kevin Becketts Umgang mit dem historischen Setting seiner Geschichte.

Natürlich kann man unterschiedlicher Meinung darüber sein, wieviel historische Genauigkeit man von einer Story erwarten darf, in der Feen und Magie auftauchen. Und ich will hier gar keine "ehernen Regeln" aufstellen. Auch wenn mich eine Passage wie die folgende schon etwas irritiert hat:

They were well on their way down an old road that Simon explained had been carved by an ancient empire from a place called Rome when the horn sounded out a note of discovery.
Die Erzählung ist weitgehend aus Rebeccas Perspektive geschrieben. Aber im England des 17. Jahrhunderts sollte selbst einer jungen Wirtstochter vom Lande Rom ein Begriff sein. Wenn schon nicht als Hauptstadt eines lange untergegangenen Imperiums, so doch zumindest als Sitz der bösen Papisten. Immerhin befinden wir uns mitten in einer Epoche heftigster religiöser Kämpfe. Doch die Formulierung suggeriert das Gegenteil. Die Kenntnis um die römische Vergangenheit wird vielmehr als Teil von Simons "arkanem Wissen" dargestellt.
 
Das Hauptärgernis liegt für mich allerdings an anderer Stelle. 
 
Frobisher will die Magie aus unserer Welt verbannen, weil sie in seinen Augen den sündhaften Versuch darstellt, die "natural order of things" zu zerstören: "Magick is truly the Devil's work to tempt people into upending it". Und es wird kein Zweifel daran gelassen, dass es ihm dabei in erster Linie um die soziale Hierarchie geht. Auf die Frage, warum Leute das Bedürfnis haben sollten, die gottgegebene Ordnung zu zerbrechen, antwortet er: "To be lured into believing they should be accorded grace and dignities above the station they are born to". Positiv betrachtet erscheint die Magie also als Werkzeug der Befreiung für "those who need the hope that there will be a change to the so-called natural order of things", wie Simon erklärt.
 
An sich sollte mich diese Thematik durchaus ansprechen. Und sie würde es vielleicht auch, wenn die Story in einer anderen historischen Epoche oder einem archetypischen Fantasy-Mittelalter angesiedelt wäre. Aber das ist ja nun einmal nicht der Fall. Sie spielt während der Englischen Revolution, als die "natural order of things" von sehr vielen Menschen sehr aktiv in Frage gestellt wurde. Die Führer der Parlamentarischen Partei beabsichtigten zwar keineswegs, alle überkommenen sozialen Hierarchien umzustürzen, aber auch Oliver Cromwell zögerte nicht, einen König "von Gottes Gnaden" enthaupten zu lassen und mit ihm die Monarchie hinwegzufegen. Und die Ära der Revolution brachte daneben eine ganze Reihe noch deutlich radikalerer Strömungen hervor, von denen nicht wenige sehr wohl den Umsturz der gesamten überkommenen Weltordnung herbeisehnten oder sogar aktiv herbeizuführen versuchten. Gerrard Winstanley, der Führer der frühkommunistischen Digger, beschrieb den Geist dieser Jahre einmal mit folgenden Worten: "The old world ... is running up like parchment in the fire".*
 
Sollte man davon nicht auch etwas in To Kill Titania spüren? Ja wäre Kevin Beckett nicht geradezu verpflichtet gewesen, die Thematik seiner Erzählung auf irgendeine Weise mit diesen realen historischen Kämpfen zu verknüpfen? Und wäre diese Thematik dadurch nicht um ein vielfaches eindringlicher geworden? Das Zerbrechen der überkommenen Ordnung nicht nur als vage Hoffnung der Unterdrückten, sondern als ein Ziel, für das sie aktiv kämpfen? So bleibt das Ganze sehr abstrakt und allgemein.
 
Doch leider habe ich den Eindruck, dass Beckett sich nicht wirklich mit der Epoche auseinandergesetzt hat, in der seine Geschichte spielt, sondern diese nur gewählt hat, weil er Witchfinder General und A Field in England mag und für seine Story eine ähnliche Atmosphäre kreieren wollte. Vor allem scheint er mir keinerlei Verständnis von deren revolutionärem Charakter zu besitzen. Das zeigt sich für mich recht deutlich an einem kleinen Detail, das man leicht überlesen kann.
Wenn Simon sich über alte Römerstraßen und das weltweite Netz geheimnisvoller Kraftlinien auslässt und dabei erklärt, "this kingdom is at its center", murmelt der "Richter", ihn verbessernd, "Protectorate". Doch Oliver Cromwell wurde erst 1653, mehrere Jahre nach dem Ende des Bürgerkrieges und nach der Auflösung des "Barebone's Parliament", zum Lord Protector ernannt. Das republikanische Regime, das nach der Hinrichtung von Charles I. (Januar 1649) etabliert wurde, trug den offiziellen Namen "Commonwealth of England". Vielleicht gehe ich mit meiner Interpretation da etwas zu weit, aber das scheint mir nicht bloß eine historische Ungenauigkeit zu sein, sondern auch dafür zu sprechen, dass Beckett die Revolution als simple Ablösung eines Tyrannen durch einen anderen betrachtet. An die Stelle des Königs ist einfach der Lord Protector getreten. Einen anderen Inhalt hatte sie nie.
 
Was auch erklären würde, warum er offenbar keinen Widerspruch darin sieht, den "Richter" einerseits zu einem Anhänger der Parlamentarischen Partei und gleichzeitig zu einem erklärten Fürsprecher des Status Quo zu machen. Auf die Frage, worin genau er denn die "natural order of things" sehe, antwortet Frobisher:
It is the order that we have now. The stations we are born in are all part of a plan. This is the way it is, and while God's plan might be ineffable, I am confident that Magickal spells are ways of finding cracks and prying at them until they are the holes that chaos, disbelief, and revolt spil out of.
Nun sollen wir bei Judge Frobisher natürlich an eine Figur à la Matthew Hopkins denken. Und der selbsternannte "Witchfinder General" behauptete zwar, sein blutiges Werk im Auftrag des Parlamentes zu verrichten, aber weder der historische Hopkins, noch seine filmische Vincent Price - Inkarnation können als legitime Repräsentanten der Revolution gelten. Und so erscheint auch Frobisher eher als jemand, der die Wirren des Bürgerkriegs ausnutzt, um seine eigenen Ziele zu verfolgen. Dennoch mutet es etwas seltsam an, wenn er mit solcher Vehemenz eine soziale Ordnung verteidigt, die von der Partei, der er sich offiziell zugehörig erklärt, gerade in einigen wichtigen Punkten umgestürzt wird.
 
Man könnte beinahe so weit gehen zu sagen, dass Beckett es nicht nur versäumt hat, die zentrale Thematik seiner Geschichte mit deren historischem Setting zu verknüpfen. Was die Story um ein vielfaches interessanter gemacht hätte. Sondern dass er dabei zugleich den Charakter der Epoche verfälscht hat, in der sie spielt. Und das vermutlich einfach aus Unwissenheit und mangelnder Sorgfalt.
 
Ich denke, mit Sword & Sorcery in einer Ära der Revolution ließe sich spannendes anstellen. Aber das würde auf jeden Fall eine andere Herangehensweise an das Setting voraussetzen. Dieses müsste dabei mehr sein als bunte Kulisse. Story und Hintergrund müssten auf viel innigere Weise miteinander verwoben werden.      
 


* Zit. nach: Christopher Hill: The World Turned Upside Down. Radical Ideas During the English Revolution. S. 14.