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Freitag, 24. November 2023

Nachtrag zu Eleanor Scott

In meinem letzten Blogpost hatte ich angekündigt, dass ich mich in einem zweiten Beitrag den übrigen Geschichten aus Randalls Round zuwenden und dabei auch einen etwas genaueren Blick auf die Autorin Eleanor Scott werfen wolle. Erstaunlicherweise habe ich diesen Artikel dann sogar tatsächlich geschrieben. Hier ist er.   

Wie Dr. Vicky Margree, Verfasserin von  British Women’s Short Supernatural Fiction, 1860–1930: Our Own Ghostliness, in ihrem Gespräch mit Will Ross & Mike Taylor von A Podcast to the Curious erzählt, ist unser Wissen um Eleanor Scotts Leben und ihre schriftstellerische Karriere unglücklicherweise bruchstückhaft und ungenau. Zum einen, da ihr Werk lange Zeit weitgehend in Vergessenheit geraten war. Zum anderen, weil Helen Leys unter einer ganzen Reihe von Pseudonymen veröffentlichte und die Zuordnung einiger Geschichten bis heute nicht vollständig geklärt ist. So enthält z.B. die British Library - Ausgabe von Randalls Round im Anhang mit Unburied Bane und The Menhir zwei Stories, die unter dem Namen "N. Dennett" 1933/34 in Charles Birkins Anthologien-Reihe Creeps erschienen sind, doch von dem Experten Richard Dalby aufgrund stilistischer Ähnlichkeiten der Autorin zugesprochen wurden.  

Helen Madeline Leys wurde 1892 als Tochter von John Kirkwood Leys und Ellen (Holligan) Leys in Hampton Hill (Middlesex) geboren. Ihr Vater hatte sich nach einer erfolglosen Karriere als Rechtsanwalt ("barrister") der Schriftstellerei zugewandt und eine ganze Reihe recht erfolgreicher "Sensationsromane" mit Titeln wie The Black Terror und A Wolf in Sheep's Clothing veröffentlicht. Doch spielte ihre Mutter -- in Barbados geborene Tochter eines Kolonialbeamten und allem Anschein nach eine sehr selbstbewusste Persönlichkeit -- die wichtigere Rolle für ihre Erziehung. Zumal der Vater bereits 1909 verstarb. 
 
John Kirkwood Leys war einige Jahre vor seiner zweiten Heirat 1889 zum Katholizismus konvertiert. Ein wichtiges Detail, war der tief in den Traditionen des englischen Protestantismus verwurzelte Hass auf die "Papisten" zu dieser Zeit doch immer noch sehr lebendig. Leys musste nach seinem Übertritt zur römischen Kirche das Sorgerecht für seine Kinder aus erster Ehe gerichtlich gegen die eigene Familie verteidigen. Helen und ihre zwei Jahre ältere Schwester Mary wurden offenbar ganz im Glauben ihres Vaters erzogen. Spuren dessen werden wir werden auch in den Spukgeschichten wiederfinden.
 
Ein Nachruf auf Mary Dorothy Rose (M.D.R.) Leys, der am 8. September 1967 in der Times erschien, erwähnt: "the family was too poor to afford school fees". Um so bemerkenswerter, dass es beiden Schwestern gelang, Zugang zu einer akademischen Ausbildung zu erlangen. 
 
Mary konnte dank eines Stipendiums ab 1911 moderne Geschichte am Somerville College studieren, einem der ersten zwei Frauencolleges von Oxford, das anders als Lady Margaret Hall auch Nicht-Anglikanerinnen offen stand. Ab 1919 begann sie selbst Geschichte in der Society of Oxford Home-Students zu unterrichten, aus der später das St. Anne's College wurde. Ab 1938 war sie dort Vice-Principal. M..D.R. Leys war stark engagiert in der Catholic Social Guild. Die 1909 gegründete Organisation hatte sich der Förderung einer katholisch geprägten Sozialpolitik und Sozialwissenschaft verschrieben. Seit 1921 unterhielt sie das Catholic Workers College in Oxford, an dem Arbeiter eine Ausbildung im Sinne der katholischen Soziallehre erhielten, mit dem erklärten Ziel, auf diese Weise eine Konkurrenz zur sozialistisch ausgerichteten Führung der britischen Arbeiterbewegung aufzubauen. M.D.R. Leys schrieb mehrere Bücher für die Guild und auch der Titel ihres ersten "professionell" verlegten Werkes -- Men, Money and Markets (1936) -- verrät sehr deutlich ihr Interesse an politisch-ökonomischen Fragen. In späteren Jahren verfasste sie u.a. eine History of the English People (1950), eine History of London Life (1958) und eine Sozialgeschichte der Katholiken in England (1961), wobei sie immer wieder mit ihrer Schwägerin, der Historikerin Rosamond Joscelyne Mitchell, zusammenarbeitete.
 
Helen Leys' Karriere war nicht ganz so glanzvoll. Und leider sind die mir zugänglichen Informationen über ihren akademischen wie beruflichen Werdegang noch bruchstückhafter als bei ihrer Schwester. Auch sie studierte am Somerville College. Vicky Magree erklärt, dass sie zu einem der allerletzten Jahrgänge von Studentinnen gehört haben muss, die keinen offiziellen Abschluss in Oxford machen konnten. Ihr Studium glich zwar weitgehend dem ihrer männlichen Kommilitonen und sie legten auch die selben Prüfungen ab, doch erhielten sie am Ende kein Diplom. Selbst wenn sie bessere Leistungen erbrachten als sämtliche männlichen Studenten ihres Jahrgangs, was wiederholt vorkam. Das änderte sich erst 1920 nach jahrzehntelangen Kämpfen und Reformbemühungen
Anders als ihre Schwester schlug Helen keine akademische Laufbahn ein, sondern arbeitete zuerst als Lehrerin. Schon bald wechselte sie in die Lehrerinnen-Ausbildung und wurde schließlich Direktorin ("Principal") einer entsprechenden Lehranstalt in Oxford. Allerdings gibt das "England and Wales Register" von 1939 ihren Beruf offenbar als "Travelling Lecturer" an. Was bedeuten könnte, dass sie diesen Posten inzwischen wieder aufgegeben hatte. 
 
Das würde angesichts ihres ersten veröffentlichten Romans nicht überraschen. War Among Ladies erschien 1928 im Verlag von Ernest Benn. Das Buch zeichnet ein denkbar düsteres Bild von Englands höheren Mädchenschulen und den sozialen Verhältnissen, unter denen die dort arbeitenden Lehrerinnen zu leben gezwungen waren. Dabei benutzte Helen Leys zum ersten Mal das Pseudonym Eleanor Scott, vermutlich auch, um sich vor möglichen Folgen für ihre berufliche Laufbahn zu schützen. Freilich war mit The Room eine der Geschichten aus Randalls Round, das ein Jahr später bei dem selben Verlag erschien, sechs Jahre zuvor bereits einmal unter ihrem richtigen Namen im Cornhill Magazine abgedruckt worden, was sie im Vorwort zu dem Sammelband auch ausdrücklich erwähnt. Mit etwas Mühe hätte man die Identität der Autorin also durchaus ermitteln können.
 
Im selben Vorwort schreibt Eleanor Scott, die in dem Buch gesammelten Stories seien "at different times and under all sorts of conditions" geschrieben worden, doch "all had their origin in dreams". Mehr verrät sie uns leider nicht über ihre Entstehung. Kein Wort über literarische Einflüsse oder Vorbilder. 
 
Scotts erneute "Wiederentdeckung"* nahm ihren Anfang 1987 mit dem Neuabdruck ihrer Story Celui-Là in der von Rosemary Pardoe und Richard Dalby herausgegebenen Ghosts & Scholars -Anthologie Ghost Stories in the Tradition of M.R. James. Und auch wenn das sicher nicht die Absicht der beiden Herausgeber gewesen war, rückte es die Schriftstellerin von Anfang an in eine etwas unglückliche Position. Bis heute wird sie gar zu oft in erster Linie als M.R. James - Epigonin gesehen. Was ihr ganz sicher nicht gerecht wird. Auch wenn der Einfluss Montys auf einige ihrer Geschichten unverkennbar ist. Was angesichts von dessen Popularität aber kaum überraschen dürfte.


Insbesondere zwei der in Randalls Round versammelten Stories besitzen einen sehr deutlichen James-Vibe. The Twelve Apostles erinnert stark an The Treasure of Abbot Thomas, während Celui-Là durch Setting und Atmosphäre Reminizenzen an Oh Whistle And I'll Come To You, My Lad wachruft. Aber selbst diese beiden sind mehr als bloß gelungene Pastiches. So beginnt Twelve Apostles mit einem amerikanischen Millionär, der sich ein englisches Herrenhaus kaufen will, aber darauf besteht, dass es in demselbigen gefälligst zu spuken hat. Ohne Gespenst ist es ihm offenbar nicht "authentisch" genug. Bei so einem Auftakt würde man vielleicht erwarten, eine Geschichte im Stile von Oscar Wildes Canterville Ghost erzählt zu bekommen. Doch der satirische Unterton verschwindet sehr schnell und im weiteren Verlauf geht es dann um den Schatz eines Alchimisten aus elisabethanischer Zeit, das Entschlüsseln kryptischer Informationen und eine Monsterschnecke! Letztere könnte von E.F. Bensons Negotium Perambulans inspiriert worden sein, aber die Kombination all dieser Elemente ist dennoch recht originell. Auch fällt auf, dass der Protagonist sein Überleben am Ende einem Kruzifix verdankt. So etwas ähnliches gibt es zwar auch in Canon Alberic's Scrap-Book von M.R James, aber da in Celui-Là die Rettung gleichfalls von göttlicher Seite kommt, darf man darin wohl mehr als eine bloße Genre-Konvention sehen. Zumal es hier dann sogar ein katholischer Priester ist, der die übernatürliche Bedrohung mit seinen Gebeten und Segenssprüchen zu bannen versteht. Und dass Protagonist Maddox den bretonischen Pater, bei dem er zu Gast ist, zuvor als "bäurisch", "ungebildet" und "abergläubisch" belächelt und nicht recht ernstgenommen hat, verleiht dem Ganzen noch eine zusätzliche Note. Ich denke, hier spielt auf jedenfall etwas vom religiösen Glauben der Autorin selbst mit hinein. Und vielleicht auch von der Erfahrung, die sie als Katholikin in einem so stark anglikanisch geprägten Umfeld wie Oxford gemacht haben mag.
 
Personen aus der universitären Welt von Oxford spielen in einer ganzen Reihe der Geschichten eine wichtige Rolle. Dabei fällt auf, dass es sich dabei anders als bei M.R. James nie um Dozenten oder ausgewachsene Gelehrte handelt (außer in Nebenrollen), sondern stets um Mitglieder der Studentenschaft. Darin spiegelt sich selbstverständlich die unterschiedliche Erfahrung wider, die Autor und Autorin mit dem Leben an der Universität gemacht hatten. 
 
The Room ist sicher die Erzählung, die mich am wenigsten angesprochen hat. Denn genau genommen handelt es sich bei ihr nicht wirklich um eine unheimliche Geschichte, auch wenn ein Zimmer, in dem es angeblich spuken soll, eine wichtige Rolle darin spielt. Eine Clique von Oxford-Studenten schließen eine Wette ab, nacheinander in besagtem Zimmer zu übernachten und im Anschluss daran von ihren Erlebnissen zu berichten. Und bis auf einen werden sie auch tatsächlich alle von grauenhaften Visionen heimgesucht, die sie zutiefst erschüttert und verstört zurücklassen. Doch diese Visionen sind eigentlich moralische Lektionen. Im Grunde geht es in The Room darum, wie unterschiedliche soziale Typen ihr Comeuppance erhalten. Und das ist nicht der Typ Geschichte, den ich besonders spannend finden würde. Das interessanteste an der Erzählung ist, dass sie uns einen kleinen Einblick in Eleanor Scotts eigene Wertvorstellungen eröffnet. So bekommen sowohl der hedonistische "Sensualist" als auch der fanatische Frömmler, der am liebsten persönlich Gottes Strafe an allen Sündern vollziehen würde, ihr Fett weg. Der einzige, der ungeschoren davon kommt, ist der gutmütige und beinah etwas naiv-kindlich wirkende Reece. Auffällig ist außerdem, dass sich eine der Diskussionen in der Clique am Schicksal der Dienerin Lily entfacht, "who used to wait at dinner" (im College?) und ihre Anstellung verloren hat, nachdem sie (vermutlich von einem Studenten) geschwängert wurde. Das Ganze zeichnet das wenig anziehende Bild einer Männergesellschaft, in der Frauen nur als Objekte existieren -- des Mitleids, der Verachtung oder des sexuellen Begehrens. Und natürlich spielt dabei auch ein Element des Klassen-Snobismus mit hinein.
 
The Room ist damit sicher das beste Beispiel für den kritischen Blick auf die männliche Studentenschaft, den Vicky Magree in dem eingangs erwähnten Gespräch hervorhebt. Allerdings fällt auf, dass das Bild, das Eleanor Scott am Beginn von The Old Lady vom Milieu der Oxforder Studentinnen zeichnet, auch nicht unbedingt schmeichelhaft ist.
Honor Yorke, Protagonistin und Ich-Erzählerin der Geschichte, ist zwar noch relativ neu an der Universität und gehört als Irin (und damit auch Katholikin?) eigentlich zu einer Gruppe, der man nicht selten mit Rassismus begegnet, scheint aber dennoch problemlos Aufnahme in die "angesagten" Kreise gefunden zu haben. Mit ihrer Kommilitonin Maude schließt sie eine ziemlich grausame Wette ab. Sie erklärt, dass es ihr gelingen wird, sich mit der Außenseiterin Adela "anzufreunden", ihr Vertrauen zu gewinnen und in den nächsten Semesterferien zu ihrer Familie eingeladen zu werden. Adela ist extrem schüchtern, verängstigt und verschlossen:
She looked permanently scared -- she hardly raised her voice above a whisper, and her remarks, when audible, were merely hurried agreements with whatever the last speaker had said. She was silent whenever possible; her very movements were furtive and rapid, as if she had to go through the meal against time, and secretly.
Maude nennt sie verächtlich "that washed-out little dishcloth".
Ganz wohl fühlt sich Honor zwar nicht damit, die so hilflos und ungeschickt wirkende junge Frau emotional zu manipulieren, aber letztlich ist es ihr wichtiger, sich gegenüber Maude zu beweisen. In der Tat gelingt es ihr recht schnell, mit Hilfe vorgetäuschten Interesses eine Art "Beziehung" zu Adela aufzubauen. Und mit einigen ziemlich durchschaubaren Manövern auch die gewünschte Einladung von deren mysteriösem "Vormund" ("guardian") zu erhalten. Allerdings scheint die neue "Freundin" über letzteres alles andere als erfreut zu sein.
Honor vermutet zuerst, dass der (weibliche)) "Vormund" eine extrem autoritäre Persönlichkeit sein muss und darin auch der Grund für Adelas Mangel an Selbstbewusstsein liegen könnte. Doch die Wahrheit stellt sich als sehr viel gruseliger heraus. Die "alte Dame" ist eine Art Hexe, die alle fünf Jahre ein Menschenopfer durchführen muss, um sich ihre unnatürliche Langlebigkeit zu erhalten. Die Vormundschaft über Adela und ihre Brüder hat sie sich verschafft, um sich einen leicht zugänglichen und möglichst wehrlosen Nachschub zu sichern. Doch inzwischen ist der beinahe aufgebraucht. Am nächsten Mittsommer ist Adela an der Reihe. Wenn sie nicht einen Ersatz beschaffen kann ...
Ich finde es schwer zu bestimmen, ob Honor inzwischen ehrliche freundschaftliche Gefühle für ihre Kommilitonin entwickelt hat. Der Text bleibt da offen für unterschiedliche Interpretationen. Doch auf jedenfall überlässt sie die junge Frau nicht einfach ihrem Schicksal und sucht das Weite. Obwohl ihr das durchaus möglich wäre. Vielmehr begibt sie sich in die irische Heimat und berät sich dort mit ihrem Bruder Conal und einem "wise man". Eine nette kleine Anspielung auf die irische Tradition der "Fear Feasa". Mit dem nötigen Wissen und tatkräftiger Unterstützung ausgestattet kehrt Honor zur Mittsommernacht zurück, um der "alten Dame" ein für alle mal das Handwerk zu legen.
Allein schon die beiden Hauptfiguren und ihre eigentümliche Beziehung machen The Old Lady zu einer der interesantesten Erzählungen in Randalls Round, auch wenn das Ende wie oft bei Eleanor Scott etwas hastig und antiklimaktisch wirkt.

Vicky Magree vergleicht und kontrastiert The Old Lady mit At Simmel Acres Farm. Und auch wenn ich ihren Schlussfolgerungen nur bedingt zustimmen kann, macht das auf jedenfall Sinn, denn es existieren deutliche Parallelen zwischen den beiden Geschichten. Auch hier haben wir zwei Personen aus der Oxforder Studentenschaft, die eine eigenartige "Freundschaft" verbindet und die zusammen die Semesterferien verbringen, wobei eine von ihnen von finsteren Mächten aus der Vergangenheit ihrer Familie bedroht wird. 
Mit Norton und Markham haben wir es diesmal allerdings mit zwei männlichen Studenten zu tun, und auch ihre jeweilige Stellung in der sozialen Hierachie der Universität und damit die zwischen ihnen herrschende Dynamik ist im Grunde die umgekehrte. Ich-Erzähler Norton ist der Außenseitertyp. Er beschreibt sich selbst als "dull and priggish", erwähnt seine extreme Kurzsichtigkeit und mangelnde Sportlichkeit und erklärt: "I haven't many friends of my own". Markham hingegen ist das, was man im amerikanischen Jargon als "Jock" bezeichnen würde: "[H]e was one of those large, vigorous people who live for Rugger [Rugby] and rowing". Ihre Bekanntschaft basiert eigentlich bloß auf dem Umstand, dass sie Zimmernachbarn in ihrem College sind. Erst als Markham sich eine Sportverletzung zuzieht und längere Zeit das Bett hüten muss, kommen sich die beiden näher. Norton vermutet zwar, dass sein Kommilitone nur deshalb seine Gesellschaft sucht, weil er sich aufgrund seiner Invalidität unter den "own hefty pals" unwohl fühlt. Dennoch fühlt er sich offenbar geschmeichelt und sagt umgehend zu, als dieser ihn fragt, ob sie die Ferien gemeinsam verbringen wollen.         
Also machen sie sich auf zu einem kleinen Dorf in den Cotswolds. Markhams Familie stammt aus dieser Gegend und offenbar hat er als Kind viel Zeit dort verbracht. Doch schon bei ihrer Ankunft wirkt er ungewöhnlich nervös und missmutig. Der ewig geduldige Norton entschuldigt das Verhalten seines "Freundes" wie stets mit dessen gehandicaptem Zustand. Und macht sich tagsdarauf umgehend auf die Suiche nach einem Ort, wo dieser zugleich die frische Luft genießen und sich körperlich schonen könnte. Und tatsächlich gibt es direkt neben dem Bauernhaus, in dem die beiden untergekommen sind, einen umfriedeten Garten. Allerdings scheint der bei den Einheimischen in einem etwas eigentümlichen Ruf zu stehen, weshalb ihn schon seit langem niemand mehr betreten hat. Norton lässt sich davon nicht abschrecken, und die Anlage ist zwar architektonisch etwas eigenartig, aber doch recht lauschig. Das eigenartigste Detail ist eine archaisch anmutende römische Büste, die in einer Nische steht, und vor der sich ein kleiner Brunnen befindet. 
The blank eye-sockets were rather large, oddly rounded at the corners, and had in consequence an expression of ruthlessness. The nose was too worn to be in any way remarkable, but the mouth had the most subtle expression -- at once cynical, suffering, cruel, undaunted and callous.   
Schon bald zeigt sich, dass es wohl keine so gute Idee war, "Simmel Acres Plot" zu öffnen. Die Büste hat eine unheimliche Wirkung auf Markham. Sie weckt Erinnerungen in ihm, die er eigentlich überhaupt nicht haben dürfte und die irgendwie mit seinen Vorfahren zusammenhängen, über die er sagt: "We come from these parts, you know ... used to have a big place in the eighteenth century, or something. Rather rips, I believe we were -- Hellfire Club and all that tosh ..." Er bringt der Büste ein spöttisches "Trankopfer" dar. Und ganz allgemein wird sein Verhalten zunehmend erratisch. Erst hochfahrend, triumphierend und arrogant, dann melancholisch und verzweifelt. Norton hat das deutliche Gefühl, dass sein "Freund" in den Bann finsterer Mächte geraten ist.
 
Der "Hellfire Club" wird übrigens auch in The Cure erwähnt. Und während er hier zumindest als Hinweis auf die okkultistische (satanistische?) Vergangenheit von Markhams Familie dient, hat er dort keine richtige Funktion und passt nicht einmal wirklich zur Atmosphäre der Story.  Für diese doppelte Nennung könnte es einen biographischen Hintergrund geben. Denn dem Zensus von 1911 zufolge, lebte Helen Leys damals zusammen mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern in "Park View, Sands, High Wycombe, West Wycombe, Bucks". Also in der Nachbarschaft von Medmenham Abbey und der Höhlen von West Wycombe, wo die Mitglieder von Sir Francis Dashfords "Order of the Knights of St. Francis", dem man später den Namen "Hellfire Club" verlieh, in den 1750er/60er Jahren ihre Zusammenkünfte abgehalten hatten.* Schon im frühen 19. Jahrhundert wurden diese Örtlichkeiten zu einer Touristenattraktion. Auch hieß es schon bald, dass es dort spuken solle. Allerdings konzentrierten sich die Geschichten, die man über den "Hellfire Club" erzählte, lange Zeit auf die angeblichen sexuellen Ausschweifungen der Libertins. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts erhielten sie eine merklich finsterere Färbung und man begann von satanistischen Ritualen zu munkeln. Enstprechend veränderte sich auch der Charakter der Gespenstergeschichten, die von "local mystery mongers" verbreitet wurden. Ich halte es nicht für so unwahrscheinlich, dass einige von ihnen auch der jungen Helen zu Ohren gekommen waren, weshalb sich der Name des berüchtigten "Clubs" möglicherweise besonders fest in ihr Gedächtnis eingeprägt hatte.   
 
The Old Lady und At Simmel Acres Farm miteinander vergleichend, hebt Vicky Magree unter anderem den unterschiedlichen Charakter der Autoritäten hervor, an die sich die Protagonist*innen hilfesuchend wenden. Während Honor den Rat eines Vertreters volksmagischer (irischer) Traditionen einholt, sucht Norton am Ende die Unterstützung eines Oxford-Dons. Es stellt sich die Frage, welche Schlussfolgerungen man daraus ziehen soll. Wird damit eine "weiblich-intuitive" einer "männlich-rationalistischen" Herangehensweise gegenübergestellt? 
Anders als Honor gelingt es Norton nicht, seinen "Freund" zu retten. Besteht da ein Zusammenhang? Haben wir den gegensätzlichen Ausgang der beiden Geschichten irgendwie mit dem unterschiedlichen Geschlecht der beiden Hauptfiguren in Verbindung zu bringen?
Ich muss zugeben, dass ich solchen Interpretationen eher skeptisch gegenüberstehe. Im Text selbst kann ich wenig finden, was dem als Grundlage dienen könnte. Norton zögert vielleicht etwas länger als Honor, bis er seine Rettungsaktion einleitet, aber das entspricht einfach seinem Charakter. Und ob der Universitätsgelehrte Markham hätte retten können oder nicht, wissen wir nicht, da die beiden schlicht zu spät in das kleine Dorf zurückkehren.
 
Insgesamt tue ich mich etwas schwer mit dem Ansatz von Vicky Magree (und Dan Orrells), die in Eleanor Scotts Geschichten einen "politischen", feministischen Subtext zu erkennen glauben. Von einigen wenigen Ausnahmen, wie bei The Room, einmal abgesehen, kann ich dafür kaum stichhaltige Indizien in Randalls Round entdecken. Natürlich dürfte die Sicht der Autorin von der Erfahrung, als Frau in einer extrem sexistischen Gesellschaft zu leben, mitgeprägt worden sein. Doch letztlich wissen wir einfach zu wenig über Helen Leys, um sagen zu können, ob sie daraus irgendwelche politischen Schlüsse zog -- und wenn, dann welche. Eine Lektüre von War Among Ladies wäre da vielleicht hilfreich. Aber auch Magree und Orrells scheinen den Roman nicht aus eigener Leseerfahrung zu kennen. Somerville College stand (zumindest vor dem 1. Weltkrieg) im Ruf, liberal und fortschrittlich zu sein. Chauvinistische Spötter nannten es gerne das "bluestocking college" und in den 1910ern positionierte es sich offen für das Frauenwahlrecht. Dass die Schriftstellerin mit entsprechenden politischen Theorien und Bewegungen vertraut war, wird man also mit einiger Sicherheit annehmen dürfen. Aber wie ihre eigene Einstellung zu diesen Fragen war, muss offen bleiben. Angesichts ihres katholischen Hintergrunds, mit dem sie anscheinend nie gebrochen hat, wird man wohl nichts gar zu radikales erwarten dürfen. Allerdings hat sie später zwei biographische Kinderbücher über Adventurous Women (1933) und Heroic Women (1939) geschrieben.
 
Etwas überrascht hat mich, dass Vicky Magree und Dan Orrells in dem Podcast-Gespräch gerade die Geschichte aus Randalls Round kommentarlos übergehen, in der das Thema Frauenemanzipation am offensten angesprochen wird: "Will Ye No' Come Back Again?".
 
Annis Breck ist selbstständig, willensstark und eine (in bescheidenem Maßstab) erfolgreiche Geschäftsfrau mit einer Vergangenheit in der Suffragetten-Bewegung. Sie beschließt, ein "hostel" für junge Arbeiterinnen ("working girls") in Burley/Leeds einzurichten, und erwirbt dafür "Queen's Garth", ein Haus, von dem manche erzählen, das es dort spuken soll. Was der praktisch veranlagten Annis jedoch kein Kopfzerbrechen bereitet.
Es fällt mir nicht ganz leicht, zu bestimmen, was für ein Bild wir uns von der Protagonistin machen sollen. Was wir am Beginn der kurzen Geschichte über sie erfahren, stammt größtenteils "aus dem Mund" ihrer chauvinistischen Verächter. Und muss entsprechend skeptisch gesehen werden. 
Dasselbe gilt für das, was wir über die Geschichte von "Queen's Garth" zu hören bekommen:
The last of the original family, old Miss Campbell, was the only survivor of a clan that had lived in the house ever since it was built in the seventeenth century. They had apparently specialised in strong-minded females, who had very occasionally condescended to marry, but had always ruled with a rod of iron, having deep-seated suspicion of men and a determination to keep them well under. How they had ever married at all was a marvel; no doubt it had been entirely for practical, and never for romantic, reasons.
Ich denke schon, dass wir den Sexismus in der Charakterisierung der ehemaligen Bewohnerinnen als solchen erkennen sollen. Dennoch bin ich mir unsicher, wieviel hier die Stimme der männlichen Spötter und wieviel die der Erzählerin ist. Woran auf jedenfall kein Zweifel bestehen kann, ist, dass Annis Brick eine denkbar schlechte Meinung von Männern im allgemeinen hat. Das bekommen wir immer wieder auch aus ihrer Sicht erzählt. Ob sie das automatisch zur Karrikatur der "verbitterten, männerhassenden Feministin" macht? Schwer zu sagen. Dass ihre Bekannte Lucy Ferrars, "an old friend of W.S.P.U. days"** etwas lächerlich gezeichnet ist, lässt sich jedenfalls kaum leugnen.
Lucy was always getting up meetings and asking Annis to speak at them, and Annis was always irritatetd sooner or later by Lucy's absolute lack of the power to organise. Her meetings were never successful.
Annis ist sichtlich genervt von ihrer geschwätzigen und naiv-begeisterten Art und behandelt sie mit nur mühsam verborgener Verachtung. Selbst als sich ihre Gedanken den Mädchen zuwenden, die einmal in "Queen's Garth" wohnen sollen, sind diese wenig freundlich. Auch wenn sie dafür einmal mehr (und vielleicht nicht ganz zu unrecht)  "die Männer" verantwortlich macht:
Girls were what men had made them -- giddy, fickle, heartless. They had found that faith and loyalty and depth of feeling didn't pay -- thanks to men.  
Nachdem Annis alleine in dem halb-renovierten Haus zurückgeblieben ist, kommt es schon bald zu einer Reihe unheimlicher Ereignisse. Aus dem Augenwinkel glaubt sie eine schmenhafte Gestalt wahrzunehmen. Dann ist ihr, als höre sie das leise Schluchzen eines Kindes (oder einer jungen Frau?). Beim Anblick der Sonnenuhr im Garten kommt ihr plötzlich der melancholische Vers "Time flieth, hope dieth" in den Sinn. Und tatsächlich findet sie eine verwitterte Inschrift desselben Inhalts auf dem Sockel. Im selben Augenblick überkommt sie das beunruhigende Gefühl, nicht länger allein hier zu sein. "[S]he felt, as certainly as she had ever felt anything, that someone stood behind her, reading the words over her shoulder -- someone sneering, hating, despising her ..." Der Eindruck vergeht zwar ebenso schnell, doch um ihre Nerven ist es immer schlechter bestellt. Schließlich hört sie die gespenstischen Klänge eines Spinetts, das eine ihr bekannte Melodie spielt. "Will ye no' come back again?". Eine bleierne Melancholie überkommt sie. Sie flieht in ihr Bett. Nur um etwas später mit einer Art verzweifelten Epiphanie wieder aufzuschrecken:
What was it that had awakened her? Surely she had heard something. Was it a voice? A name, echoing in her ears? Or was it the spinet? -- "Will ye no' come back again?" "Time flieth, hope dieth." Yes -- and a girl -- a girl dressed in a frock of blue silk, patterned with tiny gay posies -- a girl at the spinet -- a girl by the sundial, tracing the sad old motto, while slow tears dropped on the stone slab -- a girl called Annis ...
The girl had her own face. She understood it now. And his name -- ah, how had she ever forgotten it? his name had been Richard ... 
Und mit diesen Worten endet die kurze Geschichte.
Wie haben wir das alles zu interpretieren? Hat Annis Brick tatsächlich einmal in diesem Haus gelebt und all die unheimlichen Ereignisse waren bloß Ausdruck unterdrückter Erinnerungen? Oder geht hier tatsächlich der Geist einer anderen Annis um? Keins von beidem scheint mir eine wirklich befriedigende Erklärung zu sein. 
Ganz sicher jedoch soll uns das Ganze irgendetwas über die Persönlichkeit der Hauptfigur sagen. Aber was genau? Dass ihre tiefe Abneigung gegen Männer letztenendes auf eine enttäuschte Liebe aus ihrer Jugend zurückzuführen ist? Dazu würde passen, was sie früher in der Geschichte bei sich selbst gedacht hatte: "Men! All alike! Just use women and throw them away -- forget they exist." Sollen wir darin dann auch den eigentlichen Beweggrund für ihr politisches Engagement und ihr Streben nach Unabhängikeit sehen? Und wenn dem so ist, will uns Eleanor Scott damit zugleich auch irgendetwas über die Frauenemanzipationsbewegung im allgemeinen sagen? Und wenn, was? Das Gefühl von Verzweifelung, das Annis gegen Ende immer mehr überkommt, legt zumindest nahe, dass wir in ihr eine zutiefst unglückliche Person sehen sollen. Will uns die Autorin damit sagen, dass eine Frau kein erfülltes Leben ohne einen Mann an ihrer Seite führen kann? Und dass das Streben nach Selbstständigkeit deshalb am Ende zu Unglück, Einsamkeit und Verzweifelung führen muss?
Auch das könnte man dann natürlich noch unterschiedlich interpretieren. Eher wohlwollend im Sinne von: Die gesellschaftliche Ordnung und die sexistische Moral der Zeit erlaubten es einer Frau nicht, gleichzeitig ein selbstständiges Leben zu führen und in einer romantischen Beziehung zu sein. (Die Geschichte stellt männlichen Chauvinismus ja keineswegs positiv dar.) Oder aber: Das Streben nach Emanzipation mag zwar in Grenzen nachvollziehbar sein, verstößt letztenendes aber gegen die "weibliche Natur" und ihre tiefsten Bedürfnisse.
Doch ganz gleich wie man's dreht oder wendet. Am Ende hat  "Will Ye No' Come Back Again?" einen ziemlich schalen Nachgeschmack bei mir hinterlassen.
 
Es bleiben uns noch zwei Geschichten aus Randalls Round.
      
The Tree enthält zwar eine faszinierende Idee, wirkt aber eher wie eine rasch hingeworfene Skizze: Ein Maler fällt unter den unheilvollen Einfluss einer böartigen und rachsüchtigen Esche. Der Versuch seiner Ehefrau, den Verfluchten zu retten, hat fatale Auswirkungen.
 
The Cure hatte ich bereits in meinem letzten Blogbeitrag als ein weiteres Beispiel für frühen Folk Horror erwähnt. Im Vergleich zu Randalls Round sind die Parallelen zu späteren Werken des Subgenres allerdings nicht so ausgeprägt. Auch wirkt die Geschichte etwas unfokussiert.
Ich-Erzähler Spud wird von Freda, einer Freundin aus Kindheitstagen, darum gebeten, ihren Bruder Erik eine zeitlang bei sich aufzunehmen und ihm eine möglichst "unaufgeregte" Atmosphäre zu verschaffen, damit er sich von einer scheinbaren Nervenkrankheit erholen könne. Da Spud Landwirt (bzw. Gutsbesitzer) im ländlichen Sussex ist, sollte sein Wohnsitz Crow's Hall dafür eigentlich ideale Bedingungen bieten. Und da er ein zwar etwas ruppiger und nicht besonders fantasiebegabter, im Herzen aber gutmütiger Geselle ist, geht er umgehend auf ihre Bitte ein.
Die Familie der Geschwister hat skandinavische Wurzeln. Erik, der anscheinend immer schon einen Hang zu "Fantastereien" hatte, entwickelte während seines Studiums in Oxford eine große Leidenschaft für nordische Folklore. Weshalb er sich im Anschluss daran nach Island aufmachte, "to do reasearch into a dead life. Folklore and charms and dead religions and legends and things". Dort muss irgendetwas geschehen sein, was ihn nervlich völlig zerrüttet zurückgelassen hat. Vermutlich im Zusammenhang mit dem nächtlichen Öffnen eines Hügelgrabs. Ein besonders obsessives Verhalten legt Erik im Zusammenhang mit einem Artefakt an den Tag, das er von seiner Expedition mitgebracht hat und nun in einer unscheinbaren Schachtel verborgen hält. Einerseits hütet er es eifersüchtig wie einen Schatz, andererseits scheint er es zu fürchten. Er selbst vergleicht sein Verhalten in einem ruhigeren Moment mit dem eines Alkoholikers.
Unglücklicherweise erfahren wir nie, was sich in der Schachtel verbirgt. (Oder am Ende vielleicht doch?) Irgendwann wirft Erik sie während einer seiner Anfälle aus dem Fenster und sie wird nicht noch einmal erwähnt. Die Geschichte nimmt von diesem Punkt an eine deutlich andere Wendung. Isländische Hügelgräber spielen von nun an keine Rolle mehr. Was doch etwas irritiert.           
Auch wenn die Wende nicht ganz unmotiviert erscheint. Spud ist zwar kaum die richtige Person, um Eriks Ängste zu verstehen, aber selbst ihm ist klar, dass sie mit dessen Obsession für den Norden verknüpft sind. Also nimmt er ihm das Versprechen ab, den ganzen "Island-Kram" erst mal hinter sich zu lassen. Er solle doch lieber versuchen, Frieden in der harmlosen Schönheit von Sussex zu finden: "This isn't Iceland, you know. No icefields and barrows here. Only good farmed land and friendly country ..." Erik geht darauf ein, auch wenn er dabei düster vor sich hin murmelt: "It isn't only Iceland ... Its everywhere -- if you look ... But I wont't look. I'll chuck it. I will." Spud versteht natürlich nicht, was er damit meint. Aber für uns Lesende blitzt da erneut der Frazer'sche Grundgedanke der vergleichenden Mythologie auf, demzufolge sich hinter den Mythen und Bräuchen aller möglichen Kulturen im Grunde dieselben Ideen verbergen. Wenn Erik sich in der Folge immer mehr in die Geschichte der Region um Crow's Hall vertieft und unter dem Landvolk Nachforschungen darüber anstellt, "why the valley behind Wether Down, where the mounds are, was called Kings Bottom"***, ahnen wir deshalb auch, dass er nicht wirklich von seinen alten Obsessionen abgelassen hat. Dieselben dunklen Mächte, denen er in Island begegnet ist, ruhen auch unter den grünen Hügeln Englands.
Trotz dieser Verknüpfung erscheint mir der Island-Part etwas überlang. Denn der spannendere Teil der Geschichte beginnt eigentlich erst jetzt. Er ist es auch, der die Verbindung zum Folk Horror schlägt. Interessanterweise verlieren wir Erik dabei für längere Zeit aus dem Auge. Nur einmal sehen wir ihn zusammen mit dem "Dorftrottel" Murky Glam auf dem Rand eines Dorfbrunnens hocken und wie in Trance in die Tiefe starren. Eine recht atmosphärische kleine Szene. Abgesehen davon hören wir nur von seinen ausgedehnten Streifzügen über die Hügel. Denn unser Erzähler hat viel zu viel mit dem Einbringen der Ernte zu tun, um sich noch groß um seinen wunderlichen Gast zu kümmern. 
Wenn wir dann erfahren, dass zu den Pflichten des Gutsbesitzers auch die Ausrichtung eines Erntedankfestes am 15. August gehört****, das mit dem Abbrennen eines großen "bale-fire" auf einem der Hügel von Kings Bottom ausklingt, ahnen wir vielleicht schon, in welche Richtung sich die Geschichte bewegt. Und wenn dann auch noch Spuds Fuhrmann Gibson davon erzählt, dass es alle sieben Jahre in Zusammenhang mit diesem Feuer zu einem mysteriösen Todesfall gekommen sein soll, kann eigentlich kaum mehr ein Zweifel bestehen: "'Old folks they say it's the toll taken by him'. He jerked his thumb up at the mound." Es dürfte keine Überraschung sein, zu erfahren, wer diesmal das Opfer sein wird.
Der Geschichte fehlt ein wenig die enge Anbindung an reale Formen des Brauchtums, wie wir sie in Randalls Round gesehen haben. Und für mein Gefühl ist durch das Islandmotiv nicht wirklich etwas dazugewonnen. Eriks Obsession hätte ebensogut von Anfang an englischer Folklore gehören können. Alles in allem ist The Cure die deutlich schwächere Story, wenn auch genrehistorisch sicher immer noch sehr spannend.
 
Insgesamt betrachtet war der Sammelband für mich eine zwar interessante, aber nicht überwältigende Lektüre. (Randalls Round selbst hatte ich vorher ja schon anderswo gelesen). Möglicherweise hat Helen Leys unter dem Pseudonym "P.R. Shore" außerdem noch zwei Kriminalromane mit den Titeln The Bolt (1929) und The Death Film (1932) geschrieben. Hunterprozentig sicher scheint die Autorschaft da nicht zu sein. Zu Horror oder Weird Fiction ist sie jedoch wohl nie wieder zurückgekehrt, wenn man von der möglichen Ausnahme der zwei zu Beginn genannten "N. Dennett" - Stories absieht.
 
 


* Dashfords "Orden" war nur eine der im 18. Jahrhundert bestehenden Vereinigungen "freigeistiger" Vertreter (und teilweise auch Vertreterinnen) der Elite, denen man den Namen "Hellfire Club" verlieh. Von diesen aber sicher die bekannteste.
 
** Die 1903 gegründete und von Emmeline und Christabel Pankhurst geführte Women's Social and Political Union sollte anfangs zwar hauptsächlich die Interessen von Arbeiterinnen vertreten, verwandelte sich aber schon bald in die bedeutendste und militanteste bürgerliche Suffragetten - Organisation, die sich fast völlig auf den Kampf um das Frauenwahlrecht konzentrierte. Die Kampagne der W.S.P.U. erreichte ihren Höhepunkt mit der Massendemonstration vom 21. Juni 1908 im Hyde Park. In der Folge wandte sie sich verstärkt "radikalen" Taktiken wie Hungerstreiks, Brandanschlägen etc. zu. Ihr unrühmliches Ende kam mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs. Die W.S.P.U. verwandelte sich in eine jingoistische Propagandavereinigung im Dienste des britischen Imperialismus, um sich 1917 schließlich offiziell aufzulösen.
 
*** Ich bin mir nicht sicher, ob damit der reale Hügel Wether Down gemeint ist, welcher sich allerdings in Hampshire erhebt. Über "Kings Bottom" habe ich jedenfall nichts in Erfahrung bringen können. Aber immerhin scheint es in der näheren Umgebung ein Hügelgrab zu geben.
 
**** Der Text spricht von "Lammas Night", aber Lammas/Loaf Mass ist eigentlich der 1. August.