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Mittwoch, 22. April 2020

Make Hyrkania Great Again

Vor über einem Jahr habe ich mich in diesem Blogpost relativ ausführlich mit der Inkarnation Red Sonjas beschäftigt, die Gail Simone zwischen 2013 und 2015 in einer achtzehnteiligen Serie für Dynamite entwickelte. Ich schrieb damals unter anderem: "Zumindest für mich ist ihre Sonja das, was diese Sword & Sorcery - Heldin eigentlich schon immer hätte sein sollen". Leider jedoch war dieser Version der Figur kein langes Fortleben beschieden. Was nicht heißen soll, dass ich nicht auch einigen der neueren Varianten des She-Devils durchaus etwas abgewinnen könnte. So habe ich vor, hier bald einmal meine Gedanken zu Mark Russells letztjährigem Run und einigen seiner Spin-offs darzulegen. Dennoch bleibt meine Sympathie für Simones Sonja ungebrochen. Und so finde ich es schon etwas schade, dass sie außerhalb der ursprünglichen drei Stories Queen of the Plagues, Art of Blood and Fire und The Forgiving of Monsters nur wenige weitere Auftritte hatte. Die Autorin selbst schrieb noch zusammen mit Jim Zub eine vierteilige Conan / Red Sonja - Miniserie (2015), die mich jedoch nicht recht zu begeistern vermochte, und initiierte außerdem den sehr sympathischen Sammelband Legends of Red Sonja (2013/14), in dem sie die Talente von Künstlerinnen wie Leah Moore, Carla Speed McNeil, Meljean Brook, Tamora Pierce, Nancy A. Collins, Devin K. Grayson, Cassandra James, Tula Lotay, Nicola Scott und Rhianna Pratchett bündelte. Doch darüber hinaus scheint ihre Version der ikonischen Sword & Sorcery - Heldin nicht sehr lange fortexistiert zu haben. So weit ich das erkennen kann, gibt es da nur noch Red Sonja: Berserker (2014) von Nancy Collins & Fritz Casas. Und natürlich den unmittelbaren Nachfolger von Gail Simones Run in der "Hauptserie", der zwar offiziell als "Volume 3" bezeichnet wird, aber bloß aus sechs im Jahre 2016 erschienen Heften besteht: The Falcon Throne von Marguerite Bennett und Aneke* {mit einem kleineren Beitrag von Diego Galindo}. Diesem wollen wir uns heute etwas eingehender widmen.

Schon einige der Episoden von Art of Blood and Fire enthielten eine ziemlich unverhüllt politische Komponente. The Falcon Throne geht in dieser Hinsicht noch einmal ein gutes Stück weiter. Was mein Vergnügen an der Story leider etwas geschmälert hat. Dabei ist mir die Message selbst voll und ganz sympathisch. Doch spätestens dann, wenn eine Autorin sich nicht damit begnügt, ihre Geschichte zur Trägerin einer bestimmten Botschaft zu machen, sondern ihre Figuren dieselbe auch noch offen aussprechen lässt, ist für mich die Grenze zur didaktischen Literatur oder zum Agitprop überschritten, und mit denen hab' ich halt so meine Probleme. Was jetzt nicht als ein allgemeines Verdammungsurteil missverstanden werden soll.

Ich habe keine Ahnung, wie die Arbeitsabläufe bei einem großen Comic-Verlag wie Dynamite aussehen. Dementsprechend habe ich auch keine Vorstellung davon, wann genau The Falcon Throne geschrieben und gezeichnet wurde. Aber es scheint mir ziemlich offensichtlich, dass Marguerite Bennetts Story eine Reaktion auf Donald Trumps Wahlkampagnen von 2015/16, seinen "America First" - Nationalismus und sein gezieltes Schüren von Rassismus, nationalem Chauvinismus und Xenophobie darstellt.

Die Geschichte beginnt mit dem Tod des alten Königs von Hyrkania. Obwohl sie eigentlich wenig für Monarchen und Edelleute übrig hat, versucht Sonja, das Leben des greisen Herrschers zu retten, indem sie ihm das Herz des monströsen Thunder Bull bringt. Doch die Wundermedizin schlägt nicht an. Irgendwann lassen sich Alter und Tod nicht länger betrügen. Auf seinem Sterbebett bittet der König unsere Heldin, seine Nachfolge anzutreten und das Volk von Hyrkania gegen seine zahlreichen Feinde zu verteidigen. Aber Sonja lehnt ab, da sie sich nur zu genau vorstellen kann, was für eine Königin sie sein würde: Rauschende Orgien bis ans Ende ihrer Tage ... Stattdessen verlässt sie ihre Heimat, um erneut auf der Suche nach Abenteuern die Welt zu durchstreifen.
Als sie Jahre später zurückkehrt, hat sich Hyrkania unter der Herrschaft eines neuen Königs stark verändert. Aus dem lockeren Bündnis von Stämmen und Klans ist eine geeinte Nation geworden. Dörfer haben sich zu kleinen Städten entwickelt. Die Wirtschaft floriert. Überall scheinen Friede und Ordnung zu herrschen. Die Bevölkerung wirkt glücklich und zufrieden. Sonja allerdings ist schon bald frustriert und gelangweilt. Es gibt keine Monster mehr, die man bekämpfen, keine bedrohten Jungfrauen, die man befreien könnte. Ja selbst für eine zünftige Kneipenschlägerei scheint kein Platz mehr im neuen Hyrkania zu sein. 
Doch natürlich zeigt sich alsbald, dass die Dinge keineswegs so rosig sind, wie es den Anschein macht. Als Sonja Zeugin davon wird, wie eine Familie, die über die Grenze zu fliehen versucht, um sich dem Militärdienst zu entziehen, von einem Trupp Bewaffneter den "Black Talons" der Generälin Taerga überfallen wird, zögert sie nicht lange. Kein noch so pathetischer Appell an ihren "Patriotismus""You are a true daughter of Hyrkania" kann sie davon abhalten, wehrlose Leute gegen "swine in hobnailed boots" zu verteidigen.     
Unter der Herrschaft des Königs auf dem Falkenthron ist Hyrkania zu einer imperialistischen Autokratie geworden. Wer ein Wort der Opposition äußert, findet sich sehr schnell im Kerker oder einem Strafbataillon wieder. Derweil wird in den Theatern und Tavernen des Landes Stimmung gegen alle "Fremden" gemacht, werden rassistische Vorurteile geschürt und die Nachbarvölker lächerlich gemacht und mit Schmutz beworfen. Denn das endlich zu seiner wahren Größe gekommene Hyrkania sei dazu berufen, die Welt zu beherrschen. 
Like flocks the nations of the world   wing and flap and fly
In terror from a ringing shriek –   the true king of the sky!
There comes a bird of fearsome grace   hunting far above   
To shadow Khitai's golden crane   and Pathenia's dove
To rend Cimmeria's raven   and Zamora's mocking jay
To shred Stygia's ibis   in its bright and piercing gaze!
The falcon flies, the falcon drops   deadly as a stone
To save our land, to serve our king   we hail the Falcon Throne!    
Schon bald findet Sonja ihre erste Verbündete in Gestalt der Schauspielerin Midyan, die endgültig genug davon hat, auf höheren Geheiß ihre Komödien mit rassistischen Witzen und ähnlichem Müll anreichern zu müssen. Doch bevor man sich daran machen kann, zusammen mit Sonjas Ex-Geliebter, der Oratorin Lyna, eine ordentliche Widerstandsbewegung auf die Beine zu stellen, wartet auf unsere Heldin erst mal ein gehöriger Schock: Der neue König entpuppt sich nämlich gleichfalls als ein ehemaliger Liebhaber der Abenteurerin. Und Savas behauptet sogar, ihr Vorbild habe ihn bei seinem Aufstieg zur absoluten Macht inspiriert.

Man sieht schon, besonders subtil wird hier nicht vorgegangen. 
Natürlich könnte man argumentieren, dass es Themen gibt, die so wichtig sind, dass man ruhig auch mal den Holzhammer schwingen darf. Und ich würde gar nicht einmal behaupten, dass dem nicht tatsächlich so wäre. Aber selbst dann gibt es für mich noch einen feinen Unterschied zwischen Direktheit und Plakativität.
So gefällt mir das anfängliche Gespräch zwischen Midyan und dem Prinzipal Leshko eigentlich ganz gut. Sie ist empört über den Dreck, den sie auf der Bühne deklamieren soll, doch er verweist darauf, dass die Obrigkeiten ihr Theater jederzeit dichtmachen könnten. Leshko ist wie Midyan selbst ein "Ausländer", aber um seinen Laden am Laufen zu halten, ist er zu jedem Kompromiss bereit, auch wenn es ihm selbst nicht gefällt. Und schließlich bringt er das ebenso alte wie dumme Totschlagargument: "We need to do what sells. Give the people what they want."
Etwas anders sieht es aus, wenn Midyan plötzlich von der Bühne herab zu deklamieren beginnt: "Is this who we are? As a people? As a nation? Cruel an arrogant? Have you no compassion ..." Da ist für mich jene feine Linie überschritten und die Wirkung ist nicht länger die von der Autorin beabsichtigte. Obwohl ich die zum Ausdruck gebrachten Überzeugungen voll und ganz teile.

Da The Falcon Throne seine politischen Inhalte so unverhohlen zur Schau trägt, halte ich es zudem für legitim, die Geschichte von einem ebenso unverhüllt politischen Standpunkt aus zu kritisieren. 
Ich finde es bemerkenswert, dass Savas' Herrschaft als eine Ära des wirtschaftlichen Aufschwungs dargestellt wird, an dem die Mehrheit der Bevölkerung offenbar partiziperen konnte. Materiell gesehen scheint es ihnen im "neuen" Hyrkania tatsächlich besser zu gehen. Hand in Hand damit geht die Tendenz, die Masse der einfachen Leute als einen leicht zu manipulierenden Pöbel darzustellen, der nur gar zu schnell bereit ist, auf den Schwächeren herumzutrampeln. Mir scheint sich darin etwas von den Schwachpunkten der Ideologie wiederzuspiegeln, die heutzutage nicht nur unter Amerikas "Linken" und Liberalen vorherrscht. 
Rechtsextreme Bewegungen und Regime dienen im Kern der Verteidigung der im Kapitalismus herrschenden sozialen Ungleichheit. Zwar sind gesellschaftlich marginalisierte Gruppen für gewöhnlich ihre ersten Opfer, weil sie am wehrlosesten sind und sehr leicht als Sündenböcke benutzt werden können. Rassismus ist eine wichtige Komponente rechter Politik, aber sie erschöpft sich nicht in ihm. Denn in letzter Konsequenz richtet sich die Gewalt dieser Bewegungen und Regime gegen die gesamte Arbeiterklasse und hat zum Ziel, deren Ausbeutung noch zu verschärfen und jeden Widerstand dagegen zu brechen. Unter der Herrschaft rechtsautoritärer Regierungen geht es der arbeitenden Bevölkerung deshalb keineswegs materiell besser, sondern schlechter.
Doch vielen heutigen "Linken" ist eine solche materialistische Betrachtungsweise völlig fremd. Sie sehen in rechtsextremen Bewegungen in erster Linie einen simplen Ausdruck der Bigotterie und Intoleranz ihrer Anhänger. Dementsprechend erscheint ihnen Trumps Regime einfach als eine Inkarnation des Rassismus und der Rückständigkeit breiter Schichten der weißen Bevölkerung der USA.
Ganz abgesehen davon, dass sich dahinter nicht selten eine extrem herablassende Sicht auf die Arbeiterklasse verbirgt, führt eine solche Interpretation auch dazu, dass man den Kampf gegen die Rechten mit ausschließlich moralischen Argumenten zu führen versucht. Statt hervorzuheben, dass deren Politik im diametralen Gegensatz zu den elementarsten materiellen Interessen der überwältigenden Mehrheit steht, begnügt man sich mit Appellen an die "better angels of our nature", um Lincolns Formulierung zu verwenden. 
Und ganz genauso spielt es sich auch in The Falcon Throne ab. Die Revolution gegen Savas, die am Ende ausbricht, besitzt ihren Ursprung ausdrücklich darin, dass das Volk von Hyrkania sich auf seine wahren Tugenden zurückbesonnen hat.

Doch lassen wir's für den Moment gut sein mit solch politisch-ideologischen Streitfragen und wenden wir uns lieber der nicht uninteressanten Figur des Despoten Savas zu.
Der ehemalige Händler hat es offenbar nie verwunden, dass Sonja ihn einst nach einer halbjährigen Beziehung verlassen hat. Natürlich ist es Bullshit, wenn er behauptet, seine Liebe zu ihr habe ihn dazu getrieben, ein eroberungslüsterner Despot zu werden. Aber man kann sich schon vorstellen, dass sein angeknackstes männliches Selbstbewusstsein eine psychologische Rolle bei seinem politischen Aufstieg gespielt hat. Auch wenn er das lieber so ausdrückt, dass er "ihrer würdig" habe werden wollen. Jedenfalls kann kein Zweifel daran bestehen, dass er über die Jahre einen ausgewachsenen Red Sonja - Fetisch entwickelt hat. So hat er seine drei Elite-Kriegerinnen zu bizarr-gruseligen Kopien seines Bildes der Abenteurerin geformt. Einschließlich rotgefärbter Haare.
Anders als die echte Sonja tragen die drei Killerinnen den klassischen Chainmail-Bikini. Was wohl als ein Kommentar auf die sexuelle Fetischisierung der Figur verstanden werden darf, die ohne Frage in der langen Geschichte Red Sonjas immer mitgeschwungen ist.
Doch daneben gibt es auch hier eine deutlicher politische Komponente. Savas will Red Sonja zu einer Symbolfigur für sein "neues" Hyrkania machen. Und er ist ehrlich überrascht, als sie nicht bereit ist, in diese Rolle zu schlüpfen.
Am Ende geht es darum, wofür die überlebensgroße Figur Red Sonja eigentlich steht: Für arrogante Gewalt und Rücksichtslosigkeit oder für Individualismus und Menschlichkeit? 
Als die von Savas besonders fanatischem "Sonja-Klon" Kanara gefangene Midyan versucht, sich das Vertrauen des Königs zu erschleichen, schlägt sie vor, er solle dem Volk einfach seine Elite-Killerin als die "echte" Sonja präsentieren und sie anschließend heiraten. Sie selbst werde zu diesem Anlass ein Theaterstück über die Großtaten der hyrkanischen Nationalheldin schreiben. Doch da Midyan in ihrem Werk die tatsächlichen Abenteuer Sonjas auf die Bühne bringt, wobei Marguerite Bennett und Aneke direkt auf Gail Simones Comics anspielen, hat dessen Aufführung ganz und gar nicht die von Savas erhoffte Wirkung. Im Gegenteil – das Stück wird zum Auslöser eines allgemeinen Aufstands, denn es führt dem Volk von Hyrkania vor Augen, worin seine wahren Werte eigentlich bestehen.
Derweil hat sich Sonja selbst im Gebirge einen Phönix-Roc eingefangen, um auf diesem Symbol der Wiedergeburt in die finale Schlacht zu reiten.

Auch wenn ich wie gesehen so einiges an The Falcon Throne zu kritisieren habe, ist mir die Miniserie im Ganzen doch sehr sympathisch. Und ich finde es schade, dass Bennett und Aneke nur sechs Hefte zur Verfügung standen, um ihre Geschichte zu erzählen. Das führt vor allem im letzten Band zu einer arg überhasteten Erzählweise, die es den beiden nicht erlaubt, einige wichtige Wendungen und Momente der Handlung in angemessener Ruhe und Ausführlichkeit darzustellen. Dennoch würde ich allen Freundinnen & Freunden der rothaarigen Kriegerin durchaus empfehlen, bei Gelegenheit einmal in diesen Sechsteiler reinzublättern.   

       

* Die übrigens auch die fünfteilige Valeria - Miniserie für Marvels Age of Conan gezeichnet hat.

Sonntag, 19. April 2020

Strandgut

Sonntag, 12. April 2020

Let Me Tell You Of The Days Of High Adventure

Saladin Ahmeds Throne of the Crescent Moon

Als ich vor ungefähr sieben Jahren zum ersten Mal Throne of the Crescent Moon las, war ich ehrlich gesagt etwas enttäuscht. Es könnte sein, dass einige Elemente der eigentlichen Abenteuerhandlung etwas zu klischeehaft oder simplistisch auf mich wirkten. Wir werden darauf noch zu sprechen kommen. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass der übergroße Hype, der in jenen Winkeln des phantastischen Internets, die ich damals regelmäßig besuchte, um Saladin Ahmeds Debütroman betrieben worden war, die Erwartungen gar zu hoch geschraubt hatte.

Doch was auch immer der genaue Grund für meine damalige lauwarme Reaktion gewesen sein mag, wiederholte Rereads haben mich eines besseren belehrt. Unter den wenigen neueren Sword & Sorcery - Romanen, die ich aus eigener Leseerfahrung kenne, rangiert Throne of the Crescent Moon inzwischen ganz oben auf meiner Hitliste. Einziges Ärgernis bleibt für mich, dass wir wohl nie das ursprünglich in Aussicht gestellte Sequel erhalten werden.

Doktor Adoulla Makhslood ist der letzte echte Ghul-Jäger von Dhamsawaat, "Königin der Städte", Sitz des Kalifen von Abassen, glanzvolle Metropole der Crescent Moon Kingdoms. Obwohl er sich nach Jahrzehnten der Abenteuer und Monsterjagden längst reif für den Ruhestand fühlt, kann er schwerlich seine Hilfe verweigern, als die Nichte seiner Angebeteten Miri Almoussa und ihr Mann von Ghulen ermordet werden. Also begibt er sich zusammen mit seinem sechzehnjährigen Lehrling Raseed bas Raseed, einem irritierend "tugendhaften" Derwisch, der aber äußerst geschickt mit dem Schwert umzugehen weiß, auf die Suche nach den Monstern und ihrem Schöpfer. Bei ihrer ersten Konfrontation mit den Ghulen in der Wüste erhalten die beiden unerwarteten Beistand von dem jungen Beduinenmädchen Zamia Banu Laith Badawi, die die gottgegebene Gabe besitzt, sich in eine Löwin verwandeln zu können. Ihr ganzer Stamm wurde von den Monstern abgeschlachtet und nun kennt sie nur noch ein Ziel: Rache.
Doch wie sich schon bald herausstellt, hat der gute Doktor es diesmal nicht mit irgendeinem machtversessenen Westentaschen-Magus zu tun, sondern mit einer Bedrohung, die den Untergang für ganz Dhamsawaat und seine Bevölkerung bedeuten könnte. Angesichts eines solch fürchterlichen Gegners wendet er sich hilfesuchend an seine alten Freunde, die Alchimistin Litaz und ihren Mann, den Magier Dawoud, die beide vor Jahrzehnten aus der {quasi-afrikanischen} Soo Republik nach Dhamsawaat gezogen sind und in der Vergangenheit so manches Mal Seite an Seite mit ihm gekämpft haben.
Derweil unsere fünf Gefährten alles daran setzen, die finsteren Pläne des "Ghuls der Ghule" und seines schakalköpfigen Handlangers Mouw Awa zu durchkreuzen, droht der Metropole ein neuerlicher Bürgerkrieg. Denn der "edle Räuber" und wortgewaltige Agitator Pharaad Az Hammaz, genannt der "Falcon Prince", ist drauf und dran, einen Staatsstreich gegen den tyrannischen Kalifen zu starten.

Bei seinem Erscheinen 2012 wurde Throne of the Crescent Moon vor allem für das islamisch-arabisch inspirierte Setting gepriesen. Und das sicher aus gutem Grund. Denn auch wenn sich das inzwischen etwas zu ändern scheint, waren klassische Fantasyromane über lange Zeit ja tatsächlich beinah ausschließlich in pseudo-europäischen, pseudo-mittelalterlichen Gefilden angesiedelt, während zugleich die Darstellung des "Ostens", wenn er denn überhaupt in ihnen vorkam, sehr stark von orientalistischen Klischees geprägt war. Und Saladin Ahmed wollte ganz bewusst diese Konvention durchbrechen und den damit verbundenen Stereotypen eine Alternative entgegensetzen. Wie er 2010 in einem Gespräch mit Amal El-Mohtar erklärte:
[A]rchetypes are only a step removed, if that, from stereotypes.  This is the case even when fantasy novels are dealing with Europe or pseudo-Europe.  It’s even more the case when dealing with "other" places and peoples, though, and often leads to reducing "Islam" and "Arab" to a stock set of signifiers – fanaticism, honor, violence, sexism, absolutism, scimitars, veils, turbans, and, above all, the harsh, unforgiving desert that produces a harsh, unforgiving people.
This is the case even when we’re dealing with a secondary world – if you’ve got a fantasy map at the beginning of the book, you can be pretty sure that, to the east of the Europe-ish landmass, there will be a big ol’ desert, and it will be inhabited by fierce, proud nomads who wear flowing robes and chop people’s heads off.  This handful of central casting shtick is a stark contrast to history’s reality of remarkably varied Islamic cultures.
An dieser Stelle sollte man vielleicht darauf hinweisen, dass die Welt von Throne of the Crescent Moon zwar von diesen "varied Islamic cultures" inspiriert wurde, jedoch keine simple Eins-zu-Eins-Übertragung des mittelalterlichen Islam in ein Fantasyuniversum darstellt. Sicher, die Crescent Moon Kingdoms sind eine monotheistisch geprägte Kultur, die "Heavenly Chapters" erinnern an den Koran, der "Traitorous Angel" an Iblis, das untergegangene Reich Kem an das heidnische Ägypten usw. Doch gibt es auch merkliche Unterschiede. So fällt z.B. auf, dass es in dieser Welt kein Analog zum Propheten Mohammed zu geben scheint.
In einem anderen Interview mit Jessa Crispin hat Ahmed einmal über seine Intentionen gesagt:
Writers don't tell stories in a vacuum, however much we might wish to pretend otherwise. So what already-told stories are your stories re-inscribing, which ones are they countering? Since long before 9/11, US culture has been saturated with stories about Arabs and Muslims as villains, as fanatics, as worthless, as better dead than alive. So yes, I aim to tell different stories in my work, and Throne is a part of that effort, however cloaked in swash-and-buckle it may be.
Aber so richtig und wichtig ich es auch finde, gegen derartige Stereotypen und Klischees in der phantastischen Literatur anzuschreiben – und angesicht der islamophoben Hetze und Gewalt unserer Zeit gilt das sicher ganz besonders für die Darstellung von Muslimen , macht das allein für mich doch noch nicht die besondere Stärke von Throne of the Crescent Moon aus.

Dass "Diversität" für sich genommen nichts über literarische Qualität aussagt, ist natürlich ohnehin klar. Hinzu kommt aber noch, dass man auch vor einem nichteuropäischen Hintergrund und mit einem "diversen" Figurenensemble sehr wohl eine konformistische oder von misanthropem Zynismus durchtränkte Geschichte erzählen kann. Es würde nicht schwerfallen, in der aktuellen Popkultur Beispiele dafür zu finden.
Saladin Ahmeds Roman gehört jedoch ganz sicher nicht zu dieser Kategorie.

Bei der Lektüre von Throne of the Crescent Moon wird sehr schnell deutlich, dass das Buch aus einer leidenschaftlichen Liebe für die klassische Sword & Sorcery geboren wurde. Ahmed spart nicht mit actionreichen Kampfszenen, cooler Magie und wilden Monstermassakern.
Freilich zeigt sich bereits hierbei ein etwas eigener Umgang mit den Konventionen des Genres. Nicht zufällig sind die Gegner unserer Helden & Heldinnen keine beseelten Kreaturen, sondern künstlich erschaffene Monstrositäten. Als Adoulla und die anderen sich im großen Finale dann, ohne es zu wollen, in einem Szenario wiederfinden, in dem es unausweichlich zum Töten von Menschen kommen wird, ist das mit ein Grund dafür, warum sie sich zunehmend unwohl fühlen mit dem Gang, den die Ereignisse genommen haben.

Aber so sehr ich diesen Rückgriff auf die heroische Fantasy der 70er/80er Jahre und ihre pulpigen Wurzeln auch schätze, haben auch einige der Elemente, mit denen ich ursprünglich etwas Probleme hatte, hier ihren Ursprung. So bleibt zum Beispiel der große Widersacher, der "Ghul der Ghule", als Person äußerst schemenhaft. Wenn ich mich nicht irre, besitzt er keine einzige Dialogzeile. Und seine Motivation ist soweit erkennbar schlicht: Ich bin böse!  Freilich wird er als eine nicht mehr völlig menschliche Kreatur beschrieben, als ein wahrhaftiger "agent of the Traitorous Angel". Quasi ein Dunkler Herrscher am Beginn seiner Karriere. Aber Dunkle Herrscher sind halt ganz allgemein nicht unbedingt die interessantesten Bösewichter.

Doch das stellt letztenendes bloß eine kleinere Irritation dar. Denn die besondere Stärke von Throne of the Crescent Moon liegt nicht in der Abenteuerhandlung, sondern in den Figuren.

In einem Interview mit dem Locus Magazine erklärte Saladin Ahmed einmal: "[Fritz] Leiber is my hero! The wit that’s present in his prose is something that I wouldn’t dare think I’ve approached, but I hope has rubbed off on my prose to some degree." Ganz in diesem Sinne hat er sein Dhamsawaat denn auch verschiedentlich als "equal parts Lankhmar and Medieval Baghdad" beschrieben. Dies ist die Traditionslinie, in der seine Fantasy steht. 
Anders als etwa Scott Lynch mit seinen Gentleman Bastards knüpft er dabei allerdings nicht an die Gauner & Spitzbuben - Motivik an. Was Throne of the Crescent Moon mit der leiberschen Fantasy verbindet ist vielmehr das städtisch-plebejische Milieu und die instinktive Feindschaft gegen die Aristokratie. Wenn ich mich recht erinnere, bezeichnete Ahmed in einem alten SF Signal - Podcast die Sword & Sorcery einmal als "blue collar fantasy", was seine Herangehensweise an das Genre finde ich sehr gut beschreibt.
Doktor Adoulla Makhslood mag in gewisser Weise ein "Auserwählter" sein, aber seine Welt ist die Welt der einfachen Leute von Dhamsawaat, für die Reichen und Mächtigen hat er wenig mehr als Verachtung übrig. Hier ist er als Waisenkind und Straßenjunge aufgewachsen. Hier lebt er noch heute. Unter diesen Menschen ist seine Heimat und ihrem Wohl fühlt er sich verpflichtet. Eine der großartigsten Passagen des Buches beschreibt Adoullas tiefe Liebe und Verbundenheit zu seinem ärmlichen Viertel und dessen Bewohnern:
The public garden of the Scholars' Quarter [...] hosted some of the most riotous smells and sounds in all Dhamsawaat. Uppermost were piss, porters unwashed after a day of lifting in the sun, and a thousand kinds of garbage. But beneath these were layered the smells that said "home" to Adoulla – if anything in this unwelcoming world did.
As an orphan-boy, as a ghul hunter's apprentice, as a young rascal and sometime hero, and now, as an old fart, he needed to breathe these scents. The brewing cinnamon-paint of the fortune tellers, the shared wine barrels of gamblers and thieves forgetting their troubles, the skewers of meat that dripped sizzling juices onto open fire pits and, here and there, a few flowers that seemed to be struggling to prove that this was a public garden and not a seedy tavern ... Adoulla took it all in. Home.
Then there were the sounds. His calling had taken him to many places, but Adoulla had yet to find a people as loud as those of his home quarter. The children and the mothers scolding the children. The roving storytellers and those who applauded and heckled them. The whores who offered warm arms for the night, and the men who haggled shamelessly with them. All of them going about their business in the loudest voices they could find. For cruel fate or kind, Adoulla thought, these were his people. He had been born among them, and he hoped very much to die quietly among them.   
Ich nehme mal an, da ist auch so einiges von Saladin Ahmeds eigenem Hintergrund mit eingeflossen. Geboren 1975 in Dearborn (Michigan) wuchs der Schrifsteller in einem arabisch-amerikanischen Arbeiterklassemilieu auf. Wie er in einem Interview mit Comicbook erzählt hat: 
It's Henry Ford's hometown, factory town. And so, it's the headquarters of Ford. And then also, it's not the biggest in terms of numbers, but it's the most concentrated group of Arab Americans in the country. So, I grew up right in the center of that, in this community that was mostly, at that point, ex-factory workers, because the jobs were already drying up, in an Arab community, where most people were either immigrants or the kids of immigrants.
Durch seinen Vater, "a kind of working class hippie", erhielt er allerdings schon früh Zugang "to a much weirder, wider variety of things":
He was sort of working the factory when I was a small kid, and went on to kind of do community organizing stuff, alongside my great-grandmother, actually. And the two of them became very big figures in the Arab community. They had a storefront with other people that did things like legal clinics, food drives, stuff like that. [...] So, punk rock concerts, and he had friends who were Black Panthers.
Etwas von all dem findet sich in Throne of the Crescent Moon wieder.

Saladin Ahmed hat einmal erklärt: "Yes, I had – that most dreaded of things! – an agenda: look at other (Other?) criteria for heroism and follow the sorts of heroes we don't usually follow." Das "muslimische" und plebejische Element sind Aspekte hiervon. Doch erschöpft sich dieses Bemühen nicht in ihnen.

Adoulla ist in seinen eigenen Worten ein "old fat man", der seine Tage lieber im Teehaus seines alten Freundes Yehyeh mit dem Trinken von Zimttee und dem Lesen von Gedichten verbringen würde, statt schwer schnaufend irgendwelchen Monstern hinterherzuhetzen. In Gedanken hadert er immer wieder mit Gott, der ihm keinen friedlichen Lebensabend zu gönnen scheint. Was es noch schwerer macht ist, dass seine "Berufung" einer Aussöhnung mit seiner großen Liebe, der Bordellbesitzerin Miri, im Wege steht, die ihr Leben nicht mit einem Mann teilen will, von dem sie tagtäglich befürchten muss, dass er einen gewaltsamen Tod findet.
Litaz und Dawoud sind gleichfalls alte Leute, deren Durst auf Abenteuer schon seit langem gestillt ist. Das gilt insbesondere für letzteren, dessen Magie schon so stark an seinen körperlichen Kräften gezehrt hat, dass er bei einem strammen Marsch durch die Metropole beinah einen Herzinfarkt bekommt. Auch fühlen sich die beiden selbst nach so langer Zeit in Dhamsawaat immer noch etwas fremd und spielen mit dem Gedanken, noch einmal in ihre Heimat zurückzureisen, bevor es endgültig zu spät ist.
Raseed mag trotz seines unscheinbaren Äußeren er ist klein und wirkt schmächtig und jungenhaft – ein tödlicher Schwertkämpfer mit den Fähigkeiten eines Fantasy-Ninjas sein, doch zugleich ist er in vielerlei Hinsicht ein unsicherer Heranwachsender, dem es immer noch schwerfällt, sich in der Welt zurecht zu finden. Darum klammert er sich nur um so fester an seinen starren Tugendkodex. Das bringt ihm nicht nur regelmäßig den Spott seines freizügigen Lehrmeisters ein, sondern stellt ihn auch immer wieder vor moralische Probleme. So wenn er auf die Hilfe des gesetzesbrecherischen "Falcon Prince" angewiesen ist oder es mit den "Humble Students" zu tun bekommt, einer Bande fundamentalistischer Typen, deren Vorstellung von Frömmigkeit darin besteht, "unzüchtige" Frauen auf offener Straße auszupeitschen. Doch ganz besonders schwer wird es für ihn, als sich nach dem Auftauchen Zamias seine Hormone zu regen beginnen.
Dem gestaltswandlerischen Beduinenmädchen geht es im Grunde ähnlich. Mit der Ermordung ihres Stammes hat Zamia Heimat und Lebensinhalt verloren, und so konzentriert sie anfangs ihre ganze Energie auf das Verlangen nach Rache. Über das, was danach kommen soll, will sie lieber nicht nachdenken. Doch im Laufe der Geschichte entwickelt sie nach und nach eine neue Verbundenheit zu der kleinen Gruppe, zu der sie eher zufällig gestoßen ist. Auch wenn die herablassende Haltung Adoullas gegenüber der "barbarischen" Kultur der Wüstenbewohner, die sie dem guten Doktor mit aggressiver Respektlosigkeit zurückzahlt, das erst einmal nicht leicht für sie macht. Dafür entwickelt auch sie sehr bald schon Gefühle für Raseed, was die Situation zugegebenermaßen noch etwas komplizierter macht, obwohl sie souveräner damit umzugehen versteht als der junge Derwisch.
Es ist die tiefe Menschlichkeit dieser Figuren, ihrer inneren Konflikte und ihrer Beziehungen zueinander, die einen Gutteil des Reizes von Throne of the Crescent Moon ausmachen.

Abschließend noch ein paar Worte über die Figur des "Falcon Prince". Bei meiner früheren Lektüre war mir vor allem sein erster Auftritt etwas arg theatralisch vorgekommen. Doch ist mir inzwischen klar geworden, dass dieser Eindruck vom Autor beabsichtigt war. Pharaad Az Hammaz ist eine bewusste Variation auf den Archetyp des "edlen Räubers" und soll wie die Figur aus einem alten Hollywood-Streifen à la The Thief of Bagdad oder Robin Hood wirken. Er erscheint deshalb so bombastisch und überlebensgroß, weil er im Grunde ein Schauspieler ist, der es meisterhaft versteht, sich in Szene zu setzen. Adoulla sympathisiert anfangs mit ihm, scheint er doch der Vertreter der Unterdrückten und Ausgebeuteten zu sein. Doch vor allem gegen Ende des Romans erscheint der "Falcon Prince" in einem zunehmend fragwürdigeren Licht. Anders als in manchen Rezensionen behauptet, endet Throne of the Crescent Moon nicht mit einer Revolution, sondern mit einem Coup. Und es bleibt völlig offen, ob die Machtergreifung durch Pharaad Az Hammaz wirklich etwas Gutes für die einfache Bevölkerung von Dhamsawaat bedeuten wird oder ob hier bloß ein Tyrann gegen einen anderen ausgetauscht wurde.

Vermutlich wäre Saladin Ahmed  dieser Frage in den ursprünglich geplanten Sequels nachgegangen. In diesen sollte die Geschichte epischere Dimensionen annehmen. Wie der Autor 2010 in seinem Gespräch mit Amal El-Mohtar erzählt hatte:
[W]hile the first book of The Crescent Moon Kingdoms Trilogy focuses on Dhamsawaat, books two and three will expand the world to truly epic scope, culminating in a Crusades-ish conflict that involves heroes and villains from both the East and the West.
For me, though, this isn’t a simple matter of ‘making the East good and the West bad’ – rather it involves interrogating the basic assumptions of heroic fantasy themselves: Is there such a thing as a good army or an evil army? Can a global war really make the world a better place? What should the decent people on either side of a conflict do when powerful men are manipulating events on a grand scale?
Inzwischen darf man jedoch leider berechtigte Zweifel daran hegen, dass wir je eine Fortsetzung zu Throne of the Crescent Moon erhalten werden. Saladin Ahmed hat 2017 eine ziemlich erfolgreiche Karriere als Texter für Marvel Comics begonnen, und ob er daneben wirklich noch Zeit genug hat, um an der Vollendung seines Fantasyepos zu arbeiten, muss fraglich erscheinen. Allerdings hat er im Oktober 2018 in einem Interview mit Strange Horizons erklärt, dass er nach wie vor beabsichtige, einen zweiten und abschließenden Band für die Crescent Moon Kingdoms zu schreiben. Wann dies geschehen werde, stehe allerdings noch in den Sternen – "sometime in the 2020s". Ganz müssen wir die Hoffnung also vielleicht doch noch nicht aufgeben.



PS: Wer erst einmal ein bisschen in die Welt von Throne of the Crescent Moon hineinschnuppern will, kann das mit der im April 2009 auf Beneath Ceaseless Skies erschienenen Kurzgeschichte Where Virtue Lives tun, in der wir außerdem erfahren, wie Doktor Adoulla Makhslood und Raseed bas Raseed sich zum ersten Mal begegnet sind. In demselben Universum ist auch die Story Judgment of Swords and Souls angesiedelt, deren Protagonistin Layla bas Layla ursprünglich eine wichtige Rolle in den Sequels spielen sollte. Beide Geschichten finden sich auch in dem Sammelband Engraved on the Eye

Sonntag, 5. April 2020

Strandgut