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Samstag, 24. Februar 2018

Strandgut der Woche

Freitag, 23. Februar 2018

Robin Redbreast und John Bowens phantastisches Oeuvre

Es gibt einige Beispiele britischer TV-Phantastik aus den frühen 70er Jahren, die sehr direkt politische und soziale Fragen ansprechen, wie z.B. Don Taylors The Exorcism (1972; vgl. hier) und David Rudkins & Alan Clarkes Penda's Fen (1974; vgl. hier). Doch wie ich kürzlich im abschließenden Teil meines Blogposts über die Zusammenarbeit von Jim Allen und Ken Loach geschrieben habe, denke ich, dass etwas vom turbulenten Charakter dieser Zeit einer Ära zahlreicher Umbrüche und heftiger Klassenkämpfe auch in vielen der Werke zum Ausdruck kommt, die nicht offen politisch und vermutlich auch nicht von einem radikalen Standpunkt aus konzipiert worden waren. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf wollen wir heute einen kurzen Blick auf das phantastische Oeuvre des Drehbuchautors John Bowen werfen, dessen bekanntestes Werk sicher das Fernsehspiel Robin Redbreast (1970) ist ein kleines Juwel des Folk Horror, mit dem hierzulande allerdings auch nur wenige vertraut sein dürften.

Ich weiß so gut wie nichts über John Bowens Leben oder seine schriftstellerische Karriere, die einige Jahre vor seiner ersten Arbeit fürs Fernsehen mit der Veröffentlichung seines Debütromans The Truth Will Not Help Us begonnen hatte. Seinen ersten Beitrag zur TV-Phantastik leistete er 1966 im Rahmen der ITV-Serie Mystery and Imagination, die aus Adaptionen unheimlicher Geschichten von klassischen Autoren wie Edgar Allan Poe, M.R. James, Robert Louis Stevenson, Margaret Oliphant, Charlotte Riddell, Algernon Blackwood, Sheridan LeFanu und Bram Stoker bestand. Er steuerte das Drehbuch für die LeFanu - Adaption The Flying Dragon bei. Wie bei Fernsehproduktionen der Zeit leider nur gar zu oft der Fall, ist der Großteil der Serie für immer verloren. Erhalten haben sich lediglich acht der vierundzwanzig Episoden, und Bowens Beitrag gehört nicht zu dieser kleinen Gruppe.

Vier Jahre später folgte Robin Redbreast als einer der ersten Einträge in die Plays for Today der BBC – direkte Nachfolgerin der extrem innovativen Wednesday Plays. Doch da ich mich mit diesem Film zum Abschluss etwas eingehender beschäftigen will, werden wir ihn für den Moment überspringen.

Am offensten politisch wird sein phantastisches Oeuvre mit der Mitarbeit an der dystopischen Serie The Guardians (1971), zu der er sieben der dreizehn Scripts beisteuerte. Leider hatte ich bislang nicht die Gelegenheit, mir die Serie einmal anzuschauen, doch ich spiele mit dem Gedanken, mir die vier DVDs in absehbarer Zukunft zu besorgen. 
Angesichts einer krisengeschüttelten Wirtschaft, steigender Arbeitslosigkeit und zunehmender gesellschaftlicher Konflikte ist die parlamentarische Regierung durch einen gewaltlosen Coup d'etat gestürzt worden. Mit Premierminister Sir Timothy Hobson als offiziellem Oberhaupt wurde eine Art paternalistischer Faschismus etabliert. Der eigentliche Machthaber ist der namenlose "General", der es jedoch vorzieht, öffentlich so wenig wie möglich in Erscheinung zu treten. Zur Unterdrückung jedweder Opposition bedient sich das Regime der paramilitärischen "Guardians of the Realm", einer Art SA oder SS, die aus ehemaligen Soldaten, Polizisten und Sicherheitskräften besteht. BFI Screenonline schreibt: 
Although it calls to mind Orwell's 1984, the series is far from the straightforward warning it first appears. Carefully avoiding black and white moralising, The Guardians creates a complex ethical universe in which oppressors and resistance alike are plagued by conscience and self-doubt, and the use of force is never without disturbing consequences, however apparently just the cause.
TRAILER

Das Szenario von The Guardians ist der Realität jener Jahre näher, als man vielleicht glauben würde. In der Tat spielten Teile der herrschenden Elite Großbritanniens damals mit der Idee eines Staatsstreichs und der Etablierung eines autoritären Regimes, sollte es nicht auf anderem Wege gelingen, der Arbeiterbewegung das Rückgrat zu brechen. Eine der zentralen Figuren war dabei General Sir Walter Walker von 1969-72 Oberkommandierender der NATO in Nordeuropa der Mitte der 70er Jahre zusammen mit einer Kabale anderer Offiziere begann, paramilitärische Einheiten aufzubauen, die im Falle eines Generalstreiks den regulären Truppen dabei helfen sollten, "die Ordnung wiederherzustellen" und eine "Regierung des nationalen Notstands" zu installieren. Der Tory-Politiker Lord William Waldegrave hat über die damalige Stimmung in konservativen Kreisen später einmal erzählt: "There were people talking about coup d’états. Lord Mountbatten [der ehemalige Vize-König von Indien] was going to become head of some sort of junta that was going to rescue us, and so on". 
Die Schöpfer von The Guardians werden selbstverständlich nichts über die realen Komplotte gewusst haben, die damals von Offizieren, MI5-Leuten, Tory-Politikern und Vertretern der City of London geschmiedet wurden. Sie bewiesen bloß ein gutes Gespür für die politischen Entwicklungen der Zeit. 
Action TV Online vergleicht The Guardians mit der fünf Jahre später produzierten BBC2-Serie 1990, doch scheint mir das verfehlt zu sein. In ihrem politischen Inhalt sind die beiden nämlich von völlig gegensätzlicher Natur. Die von Wilfred Greatorex kreierte Serie zeichnet zwar ebenfalls  das Bild eines totalitären Regimes in England, doch handelt es sich bei diesem um eine von den Gewerkschaften dominierte semi-kollektivistische Diktatur, was jenen Schreckensvisionen ähnelt, die regelmäßig von den Tories heraufbeschworen wurden. Als Premierminister Edward Heath 1974 angesichts einer unablässigen Welle radikaler Streiks gezwungen war, Neuwahlen anzuberaumen, wählte er als Slogan nicht zufällig "Who runs Britain? The government or the unions?". Wenn The Guardians in gewisser Hinsicht vor den politischen Kräften gewarnt hatte, die mit Margaret Thatcher 1979 tatsächlich an die Macht gelangen sollten, spiegelte 1990 sehr viel eher das Weltbild eben dieser ultrakonservativen Kreise wider.

Doch halt, wir wollten uns ja auf die weniger offen politischen Werke konzentrieren.

Über Bowens Beitrag zu der TV-Anthologie Bedtime Stories von 1974 kann ich leider nichts genaueres sagen. Die unter der Leitung des ehemaligen Doctor Who - Produzenten (1966/67) Innes Lloyd entwickelte Miniserie bestand aus Neuinterpretationen bekannter Märchenstoffe. Die als verloren geltende Folge Jack and the Beanstalk stammte von Nigel Kneale. Bowen zeichnete für die letzte Folge The Snow Queen verantwortlich.
Zur zurecht legendären A Ghost Story for Christmas - Reihe steuerte er die Drehbücher für The Treasure of Abbot Thomas (1974) und die letzte Episode The Icehouse (1978) bei. In ersterem verwandelte er auf sehr gelungene Weise die klassische Spukgeschichte von M.R. James in eine Erzählung über materielle Gier und intellektuellen Hochmut, wie ich vor Zeiten hier bereits einmal etwas ausführlicher beschrieben habe. Sein originärer Beitrag The Icehouse ist leider weit weniger gut geglückt. Offenbar wollte er mit ihm irgendetwas über die sinnentleerte Existenz der wohlhabenden Mittelklasse zum Ausdruck bringen, doch bleibt der Film dabei äußerst verschwommen. Man spürt den ehrgeizigen Gedanken hinter dem Projekt, doch das Ergebnis ist nicht recht überzeugend.

Einen sehr viel stärkeren Eindruck hinterlassen die zwei thematisch verwandten Fernsehstücke A Woman Sobbing (1972) und A Photograph (1977). Ersteres war Teil der siebenteiligen Anthologie Dead of Night, die gleichfalls von Innes Lloyd produziert wurde und zu der auch The Exorcism gehört. Letzteres wurde wie Robin Redbreast im Rahmen der Plays for Today ausgestrahlt. Beide werfen einen kritischen Blick auf die bürgerliche Ehe   

Jane Pullar (Anna Massey) hört schon seit einigen Tagen nächtens das Schluchzen einer Frau, das aus dem Dachgeschoss des ländlichen Anwesens zu kommen scheint, das die Familie vor kurzem bezogen hat. Ihr Ehemann Frank (Ronald Hines) kann jedoch nichts ungewöhnliches hören und empfiehlt ihr ganz einfach, noch eine ihrer "Pillen" zu nehmen. Schließlich habe der Arzt ihr erlaubt, die Dosierung bei Bedarf zu erhöhen.*
Die Ehe der beiden macht keinen sonderlich glücklichen Eindruck. Die beiden haben sich offensichtlich kaum mehr etwas zu sagen. Der Sex ist längst zur öden Routine geworden. Jane wirkt häufig gereizt, besonders wenn es um die Kinder geht, deren Betreuung ganz auf ihren Schultern lastet.
Frank arbeitet in einer Londoner Werbeagentur. {Der Umstand, dass er sein Geld in gewisser Weise damit verdient, Dinge schön zu reden, scheint mir kein zufällig gewähltes Detail zu sein.} Einer seiner Kollegen  – und zugleich ein persönlicher Freund – ist der Psychologe Sandy (Julian Holloway). Als er ihm von Janes "Problemen" erzählt, meint dieser ganz nonchalant, für Frauen in ihren Dreißigern sei es völlig normal, an Depressionen zu leiden. Nichts worüber man sich beunruhigen müsste. Zugegeben, die "Halluzinationen" seien schon etwas beunruhigender, aber hey, selbst wenn es zum Schlimmsten kommen sollte und man Jane in die Psychiatrie einweisen müsste, wäre ihr Aufenthalt dort sicher nicht von längerer Dauer.
Derweil werden diese vermeintlichen Halluzinationen immer beunruhigender. In dem Dachzimmer kommt es zu leichten Poltergeist-Aktivitäten, Jane hat das deutliche Gefühl, dass eine unsichtbaren Präsenz sie zu sich ruft, und schließlich glaubt sie gar, eine Frauengestalt zu sehen, die sich aus dem Fenster des Zimmers in den Tod stürzt. Ihre Furcht, wahnsinnig zu werden, wird immer panischer. Am Ende gelangt sie zu der Überzeugung, nur ein Exorzismus könne ihre Qualen beenden. Der High Church - Priester (John Lee), an den sie sich hilfesuchend wendet, weigert sich jedoch, das Ritual durchzuführen, und will lieber den "spirituellen Ratgeber" spielen. Also versucht sie sich selbst an den vorgeschriebenen zeremoniellen Handlungen. Das Ergebnis ist jedoch bloß ein endgültiger psychischer Zusammenbruch unter den Augen ihres Mannes und des Au pair - Mädchens Inge (Yokki Rhodes).
Es folgt eine kurze, aber extrem verstörende Szene, in der wir sehen, wie Jane einer Elektroschock - "Therapie" unterzogen wird. Scheinbar "geheilt" kehrt sie zu ihrer Familie zurück, doch ihrem deutlich vorgezeichneten tragischen Schicksal wird sie nicht entgehen.
Die letzte Szene von A Woman Sobbing ist eine genaue Wiederholung des Anfangs. Dasselbe Zimmer, dasselbe Geschehen, derselbe Dialog bloß mit einer anderen Frau und einem anderen Mann.

Das ein Jahrfünft später ausgestrahlte Fernsehspiel A Photograph weist einige deutliche Parallelen zu A Woman Sobbing auf. Erneut haben wir es mit einer dysfunktionalen Ehe und einer unter Depressionen leidenden Frau zu tun. Die Geschichte ist jedoch deutlich komplexer, was vor allem mit dem Hinzufügen eines Klassenkonfliktes zu tun hat, der sich in der Beziehung der Ehepartner widerspiegelt. 
Offen übernatürliche Elemente enthält A Photograph nicht, dennoch stellt Howard David Ingham den Film in einem Interview mit Diabolique Magazine in den Kontext des Folk Horrors. In Gänze anschließen würde ich mich dem wohl eher nicht, auch wenn das {fatale} Zusammentreffen einer Person urbanen Hintergrunds mit einer ländlichen Welt ein beliebtes Folk Horror - Motiv ist, dem wir in gewisser Weise auch in A Photograph begegnen.
Michael Otway (John Stride) ist ein angesehener Kunst- und Literaturkritiker, der für die BBC arbeitet. Eines Tages wird ihm eine Fotographie zugeschickt, auf der zwei junge Frauen vor einem Wohnwagen zu sehen sind. Der Brief trägt keinerlei Absender. 
Michaels Frau Gillian (Stephanie Turner) entwickelt eine an Besessenheit grenzende Faszination für das Foto. Obwohl ihr Mann leugnet, die abgebildeten Frauen zu kennen, bohrt sie immer weiter nach. Sie findet heraus, in welcher Region Englands das Bild vermutlich geschossen wurde. Sie glaubt, eine Tätowierung auf dem Arm einer der Abgebildeten entdeckt zu haben. Sie stellt die Theorie auf, es könne sich bei den beiden vielleicht um zweimal dieselbe Person oder um eine Frau und einen jungen Mann in Drag handeln.
Michael reagiert zunehmend genervt auf dieses obsessive Verhalten, das er für einen Ausfluss von Gillians depressiven Leiden hält. Ihre Krankheit ist jedoch zugleich das einzige, was die Ehe der beiden überhaupt noch aufrecht erhält, denn er fühlt sich dazu verpflichtet, diese zumindest formal am Leben zu erhalten, da er glaubt, dass Gillian ohne ihn hoffnungslos verloren wäre. Nicht eben die beste Basis für eine Beziehung, zumal Michael unfähig {oder unwillig?} ist, seine paternalistische Einstellung vor ihr verborgen zu halten. Diese wird noch verstärkt durch seinen Snobismus. Im Laufe des Filmes wird immer deutlicher, dass er sich auf eigenartige Weise von Menschen aus der Arbeiterklasse sexuell angezogen fühlt, die Klasse als solche jedoch zutiefst verachtet.    
Im Unterschied zu Jane ist Gillian keine typische Mittelklasse-Hausfrau. Sie stammt nicht nur aus einer anderen sozialen Schicht als ihr Mann, sondern geht als Lehrerin auch einem eigenen Beruf nach. Während Jane extrem isoliert wirkte, besitzt Gillian eigene Kollegen, Freunde und {was sich allerdings erst am Ende des Filmes zeigt} eine eigene Familie, die allesamt außerhalb von Michaels gesellschaftlichen Kreisen stehen. Das dürfte einer der Gründe sein, warum sie letztlich nicht in die Rolle des hilflosen Opfers fällt. In gweisser Weise ist The Photograph die Umkehrung von A Woman Sobbing.
Nachdem er die Obsession seiner Frau lange Zeit als nervigen psychischen Tick abgetan hat, erwacht schließlich auch in Michael das Verlangen, dem Geheimnis des Fotos auf die Spur zu kommen. {Der finale Twist des Films lässt einen die Gründe für diesen überraschenden Sinneswandel erahnen}. Er macht sich in die ländliche Gegend auf, in der es vermutlich geschossen wurde, und beginnt, ein Bisschen bei den Ortsansässigen herumzufragen. Nachdem seine {zugegeben bloß angedeuteten} sexuellen Avancen gegenüber der jungen Anhalterin Vicky (Judy Monahan) zu einem eher demütigenden Resultat geführt haben, findet er dank eines exzentrischen "Predigers" tatsächlich den auf dem Foto abgebildeten Wohnwagen, der sich als Heimstatt der alten Mrs. Vigo (Freda Bamford) entpuppt.
Wenn überhaupt, so ließe sich am ehesten an diesem Punkt eine entfernte Verwandtschaft zum Folk Horror konstatieren, denn die Figur der Mrs. Vigo trägt ein klein wenig die Züge einer hexenhaften Matriarchin. Aber letztenendes ist es nicht wirklich die für das Subgenre so typische, von archaischen Regeln beherrschte ländliche Welt, die Michael hier betritt und in der ihn sein Schicksal ereilt. Der Hauptakzent liegt vielmehr eindeutig auf dem Klassengegensatz.

Es gibt allerdings noch eine andere, recht eigenartige Verbindung zwischen A Photograph und dem Folk Horror, wie wir gleich sehen werden, wenn wir uns zum Abschluss nun John Bowens absolutem Meisterstück der Phantastik zuwenden

In meinem Allen/Loach - Blogpost, der ursprünglich bloß die Einleitung zu diesem hier seien sollte, habe ich Robin Redbreast (1970) als "eines der Gründungswerke des klassischen Folk Horror" bezeichnet. Und so ganz falsch ist das sicher auch nicht. Zumindest darf das unter der Regie von James McTaggart gedrehte Fernsehspiel als der unmittelbare Vorläufer zu dem Film gelten, den wohl nicht nur ich für das Kronjuwel des Subgenres halte – Robin Hardys The Wicker Man (1973). Andererseits bin ich nach erneutem Nachdenken zu dem Schluss gekommen, dass "Gründungswerk" vielleicht doch kein so angemessener Begriff ist.
Als Mark Gatiss in seiner Dokumentarfilm-Serie A History of Horror (2010) den zuvor von Regisseur Piers Haggard in einem Interview mit Fangoria (2004) benutzten Begriff "Folk Horror" aufgriff, verband er ihn vor allem mit drei Filmen: Witchfinder General (1968), The Blood on Satan's Claw (1971) und The Wicker Man (1973). Seitdem wird diese unheilige Trias fast immer genannt, wenn über das Subgenre geredet wird. Und selbiges wird dementsprechend als ein Phänomen des Übergangs von den 60er zu den 70er Jahren interpretiert.
Da Folk Horror ein sehr unscharfer Begriff ist, fällt es nicht leicht, hier defintiv Stellung zu beziehen, aber ich bin der Meinung, dass man die Entstehung des Subgenres zumindest einige Jahre weiter zurück versetzen sollte. Dabei denke ich u.a. an J. Lee Thompsons Eye of the Devil (1966), der deutliche motivische Ähnlichkeiten zu Robin Redbreast und The Wicker Man aufweist, sowie an Cyril Frankels Hammer - Streifen The Witches (1966), für den Nigel Kneale das Drehbuch geschrieben hatte. Gut möglich, dass man auch noch deutlich weiter zurückgehen könnte. Schließlich kenne ich nur einen Bruchteil der Horrorfilme, die es so gibt.
Doch wie immer man Robin Redbreasts Stellung in der Geschichte des Folk Horror auch bestimmen möchte, ohne Frage gehört der gerade einmal 76 Minuten lange Film zu den herausragenden Werken der klassischen Ära des Subgenres. 

Nachdem ihr Partner Peter ihre langjährige Beziehung beendet hat {etwas, was von ihr selbst schon seit längerem erwogen wurde}, beschließt die fünfunddreißigjährige Script Editorin Norah Palmer (Anna Cropper) London für einige Zeit zu verlassen und sich in der kleinen Hütte einzuquartieren, die die beiden sich in einem abgelegenen Winkel Englands gekauft hatten.
Es ist von vornherein klar, dass die selbstbewusste und intelligente Städterin ein Fremdkörper in diesem ländlichen Kleinuniversum darstellt. Wenn die Haushälterin Mrs. Vigo (Freda Bamford) die Zigarettte rauchende Norah nach ihrem Job fragt, wirkt das zugleich neugierig, argwöhnisch und ein klein bisschen spöttisch. Man kann sich gut vorstellen, dass die Idee einer unverheirateten, berufstätigen Frau in ihren Dreißigern für sie etwas anormales darstellt. Und Norahs Antwort ("I edit scripts for television") ist sicher kaum geeignet, diese Sichtweise zu ändern. {Und ja, die Frau wird nicht nur von der selben Schauspielerin verkörpert, sondern heißt auch genauso wie die in A Photograph! Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob der Name dort tatsächlich fällt. Die Besetzungsliste auf IMDB führt Freda Bramfords Rolle jedenfalls als "Mrs. Vigo" auf.}
Auch wenn ihre Interaktionen mit Mrs. Vigo sicher etwas "awkward" sind, scheint sich Norah vorerst nicht unwohl in ihrem ländlichen Refugium zu fühlen. Vermutlich hat sie ohnehin kein Interesse, engere Kontakte zu den Ortsansässigen zu knüpfen. Bald jedoch kommt es zu einer Reihe etwas merkwürdiger Ereignisse. Das gilt vor allem für ihre erste Begegnung mit dem exzentrischen Mr. Fisher (Bernard Hepton), der offenbar so etwas wie der örtliche "Gelehrte" ist.
Der selbsterklärte Hobbyarchäologe will sich in ihrem Garten nach "Scherben" ("sherds") umschauen, womit er antike Relikte meint, denn er habe "den Riecher" ("the instinct") für so etwas. Seine etwas kryptischen und unzusammenhängenden Ausführungen sind für sich genommen zwar völlig harmlos, wirken aber doch irgendwie ominös und leicht bedrohlich. Seine Familie lebe schon seit Jahrhunderten in diesem Dorf; in den umliegenden Wäldern finde man kaum mehr Eichen, da die Behörde bei der Wiederaufforstung Nadelbäume bevorzuge; in Norahs damals leerstehendes Haus hätten sich früher oft Vögel verirrt, die dann nicht mehr herausgefunden hätten; der Name des Anwesens bedeute "in der alten Sprache", die "kaum mehr jemand spricht" {gemeint ist Angelsächsisch}, das "Haus der Vögel". Und warum reagieren Fisher und Mrs. Vigo mit ganz derselben Frage, als sie die durchgeschnittene Glasmurmel sehen, die Norah auf ihrem Fensterbrett gefunden hat: "You brought it in?"
Dennoch folgt sie der mysteriösen Aufforderung Fishers, einem bestimmten Waldweg zu folgen, wenn sie das Mäuseproblem in ihrem Haus loswerden wolle. Dabei trifft sie auf einen  jungen  Mann (Andy Bradford), der weitgehend unbekleidet und wilde Schreie ausstoßend irgendwelche "Karate"-Übungen durchführt. Norah sucht verstört und etwas verängstigt das Weite, erfährt jedoch von Mrs. Vigo, dass Rob tatsächlich so etwas wie der gemeindeigene Kammerjäger ist. Also bestellt sie ihn schließlich zu sich nach Hause.
Norah entwickelt schnell ein reges Interesse an dem gutaussehenden Burschen. Offenbar ist er selbst so etwas wie ein Außenseiter in der Dorfgemeinde. Als Waisenkind aufgewachsen, wird er von allen Rob oder Robin genannt, obwohl sein wirklicher Name Edgar ist. Als einziger im Dorf durfte er eine weitergehende Schule besuchen {wenn auch mit wenig Erfolg}, fühlt sich offenbar als etwas Besseres und träumt davon, eines Tages von hier wegzuziehen – am Besten gleich nach Kanada. 
Einer kleinen Liaison nicht abgeneigt, lädt Norah den jungen Mann zu einer Art Candle Light - Dinner ein. Dass an dem selben Tag auf unerklärliche Weise ihr Verhütungsmittel {"contraception cap"} verschwindt, ist zwar mehr als nur ein bisschen verdächtig, aber jeder Gedanke an Sex vergeht ihr ohnehin gründlichst, als sie den nicht enden wollenden bizarren Monologen Edgars über die Ränge und Uniformen der Waffen-SS lauschen muss. Dennoch landen die beiden am Ende zusammen im Bett – dank einer Kette von Ereignissen, die unter der Leitung von Fisher initiiert werden und zu denen u.a. ein ins Haus "verirrter" Vogel gehört.
Norah muss schon bald feststellen, dass sie schwanger geworden ist. All das scheint Teil einer seltsamen Verschwörung der Dorfbewohner zu sein, und Fisher steht ganz oben auf ihrer Liste der Verdächtigen. Aber welches Ziel könnten diese exzentrischen Hinterwäldler verfolgen? Noch ist sie sich unsicher, ob sie eine Abtreibung vornehmen lassen soll, aber auf jedenfall macht sie Rob gegenüber sehr deutlich klar, dass die Entscheidung darüber ganz allein bei ihr liegt. Sie kehrt für den Winter nach London zurück.
Als sie im Frühjahr wieder ihre Hütte bezieht {sie hat sich inzwischen dazu durchgerungen, das Kind zu behalten}, findet sie sich schon bald in der Lage einer Gefangenen wieder. Ihr Auto springt nicht mehr an, die Telefonleitung ist tot. Offenbar will man sie bis Ostern hier festhalten. Allem Anschein nach ist sie dazu ausersehen, Teil irgendeines Frühlingsrituals zu werden. Doch welche Rolle ist ihr dabei zugedacht? Und welche Robin?

Wie eingangs schon gesagt, ist Robin Redbrest ein echtes Juwel des Folk Horrors. Dafür sorgen allein schon die großartigen schauspielerischen Leistungen – vor allem von Anna Cropper und Bernard Hepton. 
Die Figur der Norah Palmer ähnelt bis zu einem gewissen Grad der des Sergeant Neil Howie aus The Wicker Man, insofern sie eine aus der Stadt stammende Person ist, die sich in einer von archaischen Regeln beherrschten ländlichen Gemeinde wiederfindet, deren Mitglieder ihr eine zentrale Rolle in ihrem paganen Frühlingsopfer zugedacht haben. Doch anders als der spießige, verklemmte Frömmler Howie ist Norah eine durch und durch sympathische Figur: Intelligent, emanzipiert, selbstbewusst. Die Welt, aus der sie stammt und die durch ihre zynischen Freunde Madge (Amanda Walker) und Jake (Julian Holloway) verkörpert wird, erscheint zwar in keinem besonders guten Licht {wenn John Bowens Filme ein verbindenes Motiv haben, so ist es der kritische Blick auf die "kultivierte" englische Mittelklasse}, aber auf sie selbst trifft das nicht zu.  Zwar wird sie am Ende zum Opfer {wenn auch nicht in dem Sinn, den man vielleicht vermutet hätte}, aber dabei wirkt sie nie schwach. Noch in sichtbar schwangerem Zustand droht sie Robin damit, ihm sein bestes Stück abzusäbeln, falls er ihr zu nahe kommt.
Fisher ist anders als Christopher Lees Lord Summerisle kein enthusiastischer Fanatiker, sondern wirkt vielmehr stets kühl und kontrolliert. Doch gerade das macht ihn zu einer so extrem bedrohlichen Präsenz. Er geht das Ganze mit der emotionalen Distanziertheit eines "Gelehrten" an, schließlich ist er ein "belesener Mann", wie er nicht müde wird zu betonen. Am Ende verweist er sogar ganz ausdrücklich auf Frazers The Golden Bough.
Neben den Figuren und ihren Interaktionen ist es vor allem die leicht verstörende Atmosphäre, die Regisseur James McTaggart so meisterlich heraufzubeschwören versteht, welche Robin Redbreast seine besondere Qualität verleiht. Dabei geht er äußerst zurückhaltend vor. Am effektivsten erweisen sich kleine, unscheinbare Szenen und Einstellungen, wie die sich im Wind wiegenden Bäume, der Nachbar mit seinem Beil und seinem Hackblock oder das Zwitschern eines Vogels in der Nacht. Am direktesten wird McTaggart, wenn wir bei einer Erntedankfeier in der Kirche erst die üblichen Getreidegarben und Obstschüsseln sehen, nur um zum Abschluss eine Reihe toter Kaninchen gezeigt zu bekommen.  



* War "The Madwoman in the Attic" eigentlich schon vor der 1979 veröffentlichten feministischen Literaturstudie von Sandra Gilbert und Susan Gubar ein geläufiger Topos? 

Samstag, 17. Februar 2018

Strandgut der Woche

Samstag, 10. Februar 2018

Strandgut der Woche

Mittwoch, 7. Februar 2018

Moonbase 3

Moon Base 3 (1973) ist keine wirklich gute TV-Serie. Ich finde sie nicht einmal besonders unterhaltsam, und es wundert mich deshalb auch nicht, dass schon nach sechs Episoden schluss mit ihr war. Und doch ist sie auf ihre Art extrem faszinierend.

Das beeindruckendste an dieser Koproduktion der BBC mit 20th Century Fox und ABC ist vielleicht, dass es sie überhaupt gibt. Eine SciFi-Serie, geschaffen von zwei Dr. Who - Veteranen, die sich das Ziel setzte, ein realistisches Bild des Lebens auf einer Mondbasis zu zeichnen, und in der die größten Widersacher unserer Helden ein chronisch unterfinanziertes Raumfahrtprogramm, politisch-wirtschaftlicher Erfolgsdruck und die psychischen Belastungen sind, die mit dem beengten Leben inmitten einer extrem lebensfeindlichen Umwelt einherkommen. Wenn Moonbase 3 sich letztlich auch als Misserfolg erwies an Ehrgeiz mangelte es der Serie ganz sicher nicht.

Wir schreiben das Jahr 2003. Auf der Oberfläche des Mondes wurden fünf Basen errichtet. Moonbase 1 wird von den USA, Moonbase 2 von der Sowjetunion , Moonbase 4 von der VR China und Moonbase 5 von Brasilien unterhalten.
Die Europäer haben Moonbase 3 errichtet, die insbesondere im Vergleich zu ihren amerikanischen und russischen Pendants relativ klein und primitiv ist, da die von den entsprechenden Regierungen zur Verfügung gestellten Geldmittel sehr begrenzt sind. Ständig droht dem Projekt das endgültige Aus, wenn die dort stationierten Wissenschaftler nicht endlich mit handfesten und vor allem ökonomisch verwertbaren Resultaten aufwarten können, die das trotz allem kostspielige Unternehmen rechtfertigen würden.

In der ersten Episode kommt der bisherige Direktor der Mondbasis auf dem Rückflug zur Erde ums Leben, und die von Großbritannien, Frankreich und Deutschland dominierte Kommission, die für das Projekt verantwortlich ist, schickt mit Dr. David Caulder (Donald Houston) einen neuen Leiter auf den Mond – sehr zum Missvergnügen des stellvertrenden Direktors Michel Lebrun (Ralph Bates), der erwartet hatte, nun selbst das Kommando übernehmen zu können. Doch nachdem Caulder eine etwas unorthodoxe Untersuchung des Ablebens seines Vorgängers durchgeführt hat, in die auch die Stationspsychologin Helen Smith (Fiona Gaunt) und der technische Leiter Tom Hill (Barry Lowe) einbezogen werden, raffen die vier sich zusammen und werden zum Führungsquartett der Serie.

Was genau macht Moonbase 3 für mich so faszinierend? 

Da wären zuerst einmal eine Reihe zeitgeschichtlicher Faktoren. 
  • Als Produzent Barry Letts und Script Editor Terrance Dicks, die zuvor zwei Jahre lang bei Doctor Who zusammengearbeitet hatten, sich 1972 daranmachten, das Konzept für die Serie zu entwickeln, war klar, dass die im Dezember desselben Jahres durchgeführte Apollo 17 - Mission für lange Zeit der letzte bemannte Mondflug sein würde. Mithin ein höchst ungewöhnlicher Zeitpunkt, eine SciFi - Serie zu kreieren, die sehr deutlich an die Raumfahrtbegeisterung der nun zu Ende gehenden Ära anknüpfen sollte. Was sich sehr deutlich in der Show selbst widerspiegelt, müssen unsere Helden ihr wissenschaftliches Unternehmen doch ständig gegen die Kürzungspläne bürokratischer Pfennigfuchser und das allein auf ökonomischen Profit ausgerichtete Denken ihrer Geldgeber verteidigen. Der optmistische Enthusiasmus der Apollo - Ära ist einer sehr viel nüchterneren Sichtweise gewichen.
  • Großbritannien trat überhaupt erst 1972/73 der EG bei. Erstaunlich wie selbstverständlich der europäische Rahmen des Moonbase 3 - Projektes in der Serie dennoch wirkt. Und dabei ist klar, dass wir es nicht mit irgendeinem vage definierten Zukunftseuropa, sondern mit einer direkten Nachfolgerin der alten EG zu tun haben. Schließlich ist oft genug von Brüssel als dem Sitz der Entscheidungsträger die Rede.
  • Die ESA wurde überhaupt erst 1975 gegründet. Freilich existierte mit ESRO (European Space Research Organisation) zu diesem Zeitpunkt bereits eine Vorgängerorganisation der europäischen Raumfahrtbehörde.
  • Zwar erscheinen die Amerikaner zu Beginn der Serie als die "natürlichen Verbündeten". Der Direktor von Moonbase 1 – der Afroamerikaner Bill Jackson ist ein persönlicher Freund Caulders und in den ersten Episoden stets bereit, wenn nötig Hilfe zu leisten. Dennoch kommt in der Serie sehr deutlich das Gefühl der "nationalen Erniedrigung" zum Ausdruck, dass viele Briten angesichts der Tatsache empfanden, dass das ehemalige Empire nach dem 2. Weltkrieg zum Juniorpartner der neuen Hegemonialmacht herabgesunken war. Die Yankees und die Russen können sich die teuren Spielzeuge leisten, während Moonbase 3 mit Brüssel um jeden "Eurodollar" feilschen muss. Was es um so interessanter macht, dass Dr. Caulder in der Episode Castor and Pollux mit einigem Erfolg auf eine Zusammenarbeit zwischen Europäern und Sowjets hinarbeitet. Während der Kurzauftritt des Kommandanten der chinesischen Mondbasis – General Cheng – völlig den Kalte Kriegs - Klischees entspricht, zeichnet die Serie ein recht nuanciertes und sympathisches Bild der Russen. Tom Hill verdankt sein Überleben in Castor and Pollux seinem Kosmonautenfreund Dmitri; der Leiter der sowjetischen Basis ist zwar ein Bürokrat, der stets den Regeln folgt, doch unterscheidet er sich darin kaum von Michel Lebrun; und in der letzten Episode spielt Tom Fernschach mit dem Russen Georgi.
Wie ich nicht müde werde hervorzuheben, waren die frühen 70er Jahre in Großbritannien eine politisch extrem unruhige Zeit. Das macht es besonders interessant, dass Dr. Caulder als "a militant liberal, passionately committed to the middle of the road" eingeführt wird, dem es in Oxford gelungen sei, den von der Konfrontation zwischen militanten Studenten und einer reaktionären Universitätsleitung zerstörten Frieden wieder herzustellen. 
Im weiteren Verlauf der Serie spielt dieser politische Hintergrund zwar keine Rolle mehr, aber er sagt doch etwas über das Weltbild der Macher von Moonbase 3 aus. Ihr Ideal ist offenbar der ehrliche Kompromissler, der beide Seiten respektiert und deshalb einen Konsens herbeizuführen vermag. Dass die Serie alles in allem trotzdem recht düster und pessimistisch rüberkommt, könnte darauf hin deuten, dass ihr Vertrauen in solch einen ausgleichenden Mittelweg angesichts der heftigen Konflikte der Zeit nicht sehr groß war.

Und es wirklich erstaunlich, wie düster die Welt von Moonbase 3 ist. Da hätten wir z.B. ...
  • ... einen Piloten, der sich und der Welt immer wieder beweisen muss, dass er der Beste der Besten ist, und der unter diesem Druck schließlich zusammenbricht und einen Fehler mit fatalen Folgen nicht nur für ihn selbst begeht (Departure and Arrival).
  • ... einen Forscher, der in Verfolgung seines Projektes alle Sicherheitsvorkehrungen in den Wind schlägt und sich am Ende selbst in die Luft jagt (Behemoth).
  • ... einen Astronauten, der es nicht verwinden kann, dass er aus medizinischen Gründen bei der Besetzung einer Venus-Mission, für die er jahrelang trainiert hatte, "übergangen" wurde, und der nun mutwillig und manipulativ darauf aus ist, die Arbeit und das Selbstvertrauen seiner Kolleginnen und Kollegen zu untergraben (Achilles Heel).
  • ... einen romantisch veranlagten Wissenschaftler, der im Moment seines größten Triumphes den Glauben an den Sinn seiner Arbeit und seines Lebens verliert, in tiefe Depressionen verfällt und schließlich den Freitod wählt (Outsiders).
Das Ganze kulminiert in der finalen Episode View of a Dead Planet, wenn wir mit dem Szenario eines vermeintlichen Untergangs der Menschheit konfrontiert werden und miterleben müssen, wie die Mannschaft von Moonbase 3 mit der Erkenntnis klarzukommen versucht, zu den letzten Überlebenden ihrer Spezies zu gehören, denen in wenigen Wochen Sauerstoff und Nahrung ausgehen werden. Diese Folge – ohne Frage die stärkste der Serie enthält u.a. die Darstellung einer versuchten Vergewaltigung und Vorbereitungen zum kollektiven Selbstmord.

Sollte Moonbase 3 im Kern eine Verteidigung des selbstlosen Strebens nach wissenschaftlicher Erkenntnis gegen alle kleinlichen politischen und ökonomischen Erwägungen sein? Vermutlich, auch wenn das nur schwer mit absoluter Sicherheit zu sagen ist. Doch wenn dem so war, dann wirkt es um so erstaunlicher, dass uns die Serie an keinem Punkt die überwältigende Schönheit dieses Projektes zu vermitteln vermag. Nicht ein einziges Mal kommen wir in den Genuss eines wirklichen Sieges unserer Helden. Bestenfalls gelingt es ihnen, eine weitere Katastrophe im letzten Moment zu verhindern. Die wenigen wissenschaftlichen Erfolge, die sie erringen, wirken in der eher bedrückenden Gesamtatmosphäre blass und nebensächlich. Die Serie will trotz allem optimistisch sein, aber ihr Optimismus wirkt äußerst schwächlich. Wie Terrance Dicks es selbst einmal gesagt hat: "[We] overdid the grimness and forgot about the sense of wonder that science fiction is all about". Alles in allem ist Moonbase 3 für mich so etwas wie ein wirklich bewundernswerter Fehlschlag.

Samstag, 3. Februar 2018

Strandgut der Woche

Freitag, 2. Februar 2018

"It's a very civilized game, dear"

The Queen of Fairies she came by,
Took me wi her to dwell,
Evn where she has a pleasant land
For those that in it dwell,
But at the end o seven years,
They pay their teind to hell. 

The Ballad of Tam Lin


Roddy McDowall spielte in den ursprünglichen Planet of the Apes - Filmen (1968-73) erst Cornelius, dann Caesar, nur um anschließend in der TV-Serie (1974) als Galen erneut in das Schimpansenkostüm zu schlüpfen. Doch existiert eine signifikante Lücke in dieser äffischen Karriere: Im ersten Sequel wurde er durch David Watson ersetzt. Warum? Die Antwort auf diese Frage führt einen in wunderliche Gefilde.

Während man in Amerika Beneath the Planet of the Apes (1970) drehte, versuchte McDowall sich auf der anderen Seite des Atlantiks zum ersten und einzigen Mal als Regisseur. Dabei entstand mit The Ballad of Tam Lin ein höchst eigenwilliges, schwer zu charakterisierendes Werk. Eine Art Mischung aus Folk Horror und düsterem Märchen mit psychedelischen Einsprengseln, die etwas von der einsetzenden Ernüchterung nach dem Hedonismus der Swinging Sixties widerzuspiegeln scheint, und dabei zugleich eine erstaunlich akkurate Adaption der alten schottischen Ballade ist, die den Film in einer von The Pentangle kreierten Version leitmotivisch durchzieht.



Die alternde, fabelhaft reiche Michaela "Micky" Cazaret (Ava Gardner) umgibt sich mit einer Entourage aus hippen, jungen Bohème-Typen und "Künstlern", zu denen auch ihr momentaner Favorit und Liebhaber, der Fotograf Tom Lynn (Ian McShane) gehört. Zu Beginn des Films macht sich der dekadente Trupp in einer von "Micky" angeführten Autokavalkade von London {"What very forgettable ruins this town will make"} auf in die schottischen Highlands, wo man ein altes Herrenhaus bezieht und sich dem süßen Nichtstun hingibt.
Eines Tages betritt die Pastoren-Tochter Janet (Stephanie Beacham) blonde Inkarnation von Unschuld und Naivität diesen bohèmehaften Kreis, als sie einen Hundewelpen dort abliefert, den "Micky" zu kaufen wünscht. Dabei begegnet sie zum ersten Mal Tom.
Durch ihre Augen betrachtet erscheinen das Herrenhaus und seine Bewohner als eine märchenhafte, doch unterschwellig bedrohliche Anderswelt. Dass es dem Film dabei gelingt, aus einer Frisbee-Scheibe ein Symbol für "Dekadenz" zu machen, ist nur eine seiner vielen erstaunlichen Qualitäten. Ganz allgemein hat das Treiben von Michaelas "Hofstaat" nichts wirklich ausschweifendes an sich. Da wird ein Bisschen Musik gemacht und getanzt, man trinkt Champagner und unterhält sich mit irgendwelchen neckischen Gesellschaftsspielchen das Ganze wirkt weniger orgiastisch, als vielmehr fürchterlich sinnentleert.

"Micky" scheint Janet zu erst einmal in ihren Bann geschlagen zu haben. Die Pastoren-Tochter beschreibt sie gegenüber ihrem Vater als "glamorös" und vergleicht sie mit einer "Göttin". Ob das der Grund ist, warum sie sich etwas später erneut zu dem Herrenhaus aufmacht, ist nicht ganz klar. Doch auf jedenfall begibt sich am selben Morgen der nach einer Nacht voller Alkohol und Sex ordentlich verkaterte Tom gleichfalls auf einen kleinen Spaziergang durch die prachtvoll in Szene gesetzte schottische Hügellandschaft.  Und natürlich treffen sich die beiden auf halbem Weg.

Die alte Ballade in ihren unterschiedlichen Versionen ist etwas ambivalent, was den Charakter von Janets {bzw. Margarets} erster sexueller Begegnung mit Tam Lin betrifft. Die meisten der in Francis James Childs The English and Scottish Popular Ballads aufgeführten Fassungen übergehen den Punkt gänzlich. In Version J2 heißt es:
He took her by the milk-white hand
And gently laid her down,
Just in below some shady trees
Where the green leaves hung down.
In Fassung D (und G) hingegen bekommen wir zu lesen:
He took her by the milk-white hand,
And by the grass green sleeve,
And laid her low down on the flowers,
At her he asked no leave.
Die entsprechende Szene in McDowalls Film hat gleichfalls etwas von dieser Ambiguität. Eine Vergewaltigung ist es nicht, aber es steckt ein Element von Aggressivität und Gewalt in Toms Verhalten.
Die Begegnung ist auf eine höchst eigenartige Weise in Szene gesetzt. Die Sequenz besteht aus einer langen Abfolge von Standbildern, die sich in den meisten Fällen auf die Gesichter der beiden und ihr sich wandelndes Mienenspiel konzentrieren. Ein Bisschen so wie ein Mini-Fotoroman im Film. Diese seltsame Form der Stilisierung und Verfremdung hebt das unwirkliche des Geschehens hervor. Bei Lichte betrachtet macht es ja wenig Sinn, dass zwei Menschen, die zuvor kein Wort miteinander gewechselt haben und sich zufällig in den schottischen Hügeln begegnen, urplötzlich zu einem innig verbundenen Liebespaar werden sollen. Aber der Film besitzt seine eigene Logik, die im Grunde die märchenhafte der Ballade ist, welcher die Handlung im Weiteren erstaunlich eng folgt.

Interessanterweise geschieht dabei nichts, was notwendigerweise als übernatürlich interpretiert werden müsste. Die Plotzusammenfassung auf IMDB "An older woman uses witchcraft to keep her young jet-set friends" ist extrem irreführend. Möglicherweise ist Michaela tatsächlich nichts mehr als eine extrem egoistische, charismatische und reiche Frau. Kleine "okkulte" Einsprengsel wie das abendliche "Wahrsage" - Spiel oder der Schwur "ewiger Liebe", den Tom bei seinem eigenen Blut ablegen soll, sind keine eindeutigen Belege für das Gegenteil, unterstreichen aber die Ambivalenz des Dargestellten. Vielleicht  aber eben bloß vielleicht ist Michaela doch mehr, als sie zu sein scheint. Wenn sie Tom gegenüber ausruft: "I shall waste you and waste you and waste you", dann lässt sich das metaphorisch deuten oder aber als Hinweis auf ein sehr viel düstereres Geschehen.

Diese Ambivalenz trägt viel zum besonderen Reiz des Filmes bei. Dennoch spielt es meines Erachtens kaum eine Rolle, ob man der eher "realistischen" oder der "phantastischen" Interpretation folgen will. Saugt Michaela tatsächlich die Lebenskraft aus ihren Liebhabern und "Gefolgsleuten"? Wer weiß? Wichtig ist für mich bloß, dass sie sie in einer Welt gefangen hält, in der alles zu einem Spiel geworden ist, nichts mehr wirklich Sinn oder Bedeutung besitzt. Einer Welt, über die sie mit despotischer Macht regiert. Symbol dafür ist "Mickys" Sonnenbrille, die sie regelmäßig ihren Favoriten "verleiht". Sie zwingt oder verführt diese dazu, die Welt auf eine unnatürliche – nämlich auf ihre – Weise zu sehen. Ob sie dazu magische Kräfte einsetzt, ist letztlich nebensächlich. Ihre stärkste Magie ist auf jedenfall ihr Reichtum. Wie Tom es Janet gegenüber beschreibt: "She is immensely rich. She can afford to live in her dreams, and she takes us into them for company." Und es sei wahrhaftig keine leichte Existenz, Teil ihrer Träume zu sein.

Als Tom versucht, sich dem Einfluss Michaelas zu entziehen, weckt dies wie zu erwarten ihren Zorn. "Micky" hat jederzeit das Recht, jemanden aus ihrem Kreis zu verstoßen, aber niemand darf sich aus eigenem Willen von ihr trennen! Als Tom von ihrem finsterem Faktotum Elroy (Richard Wattis) erzählt bekommt, dass in der Vergangenheit schon einige junge Männer aus dem Kreis seiner "Herrin" bei Autounfällen auf denkbar grausige Weise ums Leben gekommen seien, ist das ein deutlicher Fingerzeig auf das Schicksal, das auch ihm droht, wenn er sich nicht länger gefügig zeigt.
Janet hat indessen {ganz wie in der Ballade} entdeckt, dass sie schwanger ist, und entschließt sich zu einer Abtreibung. Doch gerade als sie die Arztpraxis in Edinburgh betreten will, begegnet ihr Tom. {Auch das eine direkte Parallele zu dem alten Gedicht}. Die beiden verbringen eine gemeinsame Nacht in seinem Wohnwagen dem eigentlichen Domizil des offenbar bettelarmen Fotografen. Aus der sommerlich-grünen Hügellandschaft ihrer ersten Begegnung ist eine bläulich-nebelverhangene Herbstszenerie geworden, über der ominös die riesige Stahlkonstruktion der berühmten Forth Bridge aufragt.

Am nächsten Morgen wird Tom von "Mickys" Handlangern entführt und in das Herrenhaus zurückgebracht, wo diese ihre Rache an ihm zu vollstrecken gedenkt. In der alten Ballade versucht Tam Lin der Feenkönigin zu entfliehen, weil er fürchtet, von der andersweltlichen Schar als "Tribut" an die Hölle geopfert zu werden. Was Tom nun erwartet, ähnelt in mancherlei Hinsicht gleichfalls einem kultischen Opferritual, wobei Michaela in die Rolle der Priesterin/Göttin schlüpft. Man zwingt ihn dazu, eine Droge zu trinken, was den psychedelischen Vibe des großen Finales erklärt. Anschließend hetzt "Micky" ihre von Toms altem Rivalen Oliver (David Whitman) angeführte "Gefolgschaft"auf ihn. Und wieder wird das Ganze auf nun extrem zynische Weise als "Spiel" beschrieben. "It's a very civilized game, dear." Tom darf die Flucht in einem weißen Sportwagen {dem "weißen Pferd" der Ballade} versuchen, verfolgt von den blutdürstigen Bohèmiens. Dass er in seinem bedrogten Zustand schon bald im Straßengraben landet, ist kein Wunder. Bei seiner weiteren Flucht durch die nächtlichen Wälder kommt es zu den berühmten Verwandlungen, die den Höhepunkt der alten Ballade bilden. Natürlich handelt es sich bei diesen hier nur um drogenbedingte Halluzinationen. Janet, die auf wundersame Weise auftaucht, um den Gejagten wie ihr folkloristisches Vorbild durch die Unerschütterlichkeit ihrer Liebe zu retten, sieht Tom nicht als wilden Bären oder als riesige Schlange.

Am Ende muss Michaela, ganz wie die Feenkönigin der Ballade, ihre Niederlage akzeptieren. Doch wenn sie in der letzten Szene Oliver ihre Sonnenbrille "verleiht", wird klar, dass ihr zwar ein Opfer entkommen ist, es aber immer noch mehr als genug andere, willige Opfer für ihr Spiel gibt.