"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Sonntag, 18. Januar 2015

Hypnotische Kunst oder Hippie-Kitsch?

Ich habe mir vor ein paar Tagen zum ersten Mal Kenneth Angers legendären Kurzfilm Lucifer Rising angeschaut, und um ehrlich zu sein, ich bin mir nicht sicher, was ich von ihm halten soll. 
Übergehen wir die ebenso faszinierende wie langwierige Entstehungsgeschichte des Films, die sich von 1966 bis 72 hinzog. Lassen wir vor allem die Rolle, die dabei Bobby Beausoleil – der Musiker,  Manson-Jünger und Mörder von Gary Hinman – spielte, beiseite. Betrachten wir uns ausschließlich das Werk selbst, wie es erstmals 1980 einem größeren Publikum zugänglich gemacht wurde.
Ohne Dialoge oder eine Handlung im strikten Sinn will Lucifer Rising auf symbolische Weise den Anbruch des von Aleister Crowley prophezeiten Äons des Horus darstellen, wobei Anger den Sohn von Isis und Osiris mit dem "Lichtbringer" Luzifer gleichsetzt. Eine der Inspirationsquellen des Filmemachers soll dabei Crowleys Hymn to Lucifer gewesen sein.
Ware, nor of good nor ill, what aim hath act?
Without its climax, death, what savour hath
Life? an impeccable machine, exact
He paces an inane and pointless path
To glut brute appetites, his sole content
How tedious were he fit to comprehend
Himself! More, this our noble element
Of fire in nature, love in spirit, unkenned
Life hath no spring, no axle, and no end.

His body a bloody-ruby radiant
With noble passion, sun-souled Lucifer
Swept through the dawn colossal, swift aslant
On Eden's imbecile perimeter.
He blessed nonentity with every curse
And spiced with sorrow the dull soul of sense,
Breathed life into the sterile universe,
With Love and Knowledge drove out innocence
The Key of Joy is disobedience. 
Crowley sah in Horus den "Kindgott", dessen Äon ein Zeitalter der Selbstverwirklichung des Menschen sein würde, und identifizierte ihn symbolisch mit der Sonne. Wie er in The Heart of the Master geschrieben hat:
Horus, the crowned and conquering child, who dieth not, nor is reborn, but goeth radiant ever upon His Way. Even so goeth the Sun: for as it is now known that night is but the shadow of the Earth, so Death is but the shadow of the Body, that veileth his Light from its bearer.
Dementsprechend spielen die Motive von Nacht und Sonnenaufgang eine große Rolle in Lucifer Rising. Dass daneben immer wieder auch Bilder vom Ausbruch elemtarer Naturgewalten stehen, bringt Adam Scovell in einem kurzen Essay über den Film mit der Figur des Osiris in Zusammenhang:
Osiris’ power lay, amongst other things, in the semblance of keeping natural, elemental order.  The presence of a variety of imagery, from the torn up landscape to volcanic eruptions, suggests that his power is waning and that Lucifer Rising is set after Osiris’ first death at the hands of his brother Set, and that Donald Cammell is playing his reincarnation (brought back to life by Isis, again explaining Anger’s use of several visual moments of [Myriam] Gibril performing some form of ritual herself).
Dem mag so sein, doch ehrlich gesagt, weiß ich viel zu wenig über Crowleys "Philosophie", um die symbolische Ebene des Films im Detail nachvollziehen und aufschlüsseln zu können. Meine Herangehensweise war deshalb in erster Linie eine filmästhetische, und von dieser Warte aus betrachtet  ist Lucifer Rising ohne Zweifel ein nicht nur sehr schönes, sondern geradezu hypnotisches Werk.
Kenneth Anger versteht es, seine mystizistischen Visionen in äußerst evokative Bilder zu kleiden, deren Wirkung durch Bobby Beausoleils wenn schon nicht geniale, so doch auf jedenfall angemessene Musik noch verstärkt wird. Insbesondere die Eröffnungssequenz mit dem Vulkan, den Krokodilen und dem ersten Auftritt von Isis und Osiris hat einen ziemlich starken Eindruck auf mich gemacht. 
Allerdings kommt irgendwann ein Punkt, an dem das Ganze ins unfreiwillig Komische umzukippen droht. Dies ist spätestens dann der Fall, wenn wir Anger selbst als "Magus" in seinem magischen Kreis herumrennen sehen. Zwar gelingt es dem Film in den Lilith-Szenen mit Marianne Faithfull wieder etwas von seiner ursprünglichen Faszinationskraft zurückzugewinnen, doch der Bruch ist vollzogen und lässt sich nicht mehr vollständig kitten. Erst recht nicht, wenn im Finale eine leuchtend rote Fliegende Untertasse über einem ägyptischen Tempel auftaucht.
Dieses Abrutschen in die Gefilde bizarren Hippie-Kitsches ist zwar sehr bedauerlich, liegt in gewisser Weise aber in der Logik von Lucifer Rising. Die Weltanschauung, die Kenneth Anger in eine cineastische Form zu gießen versuchte, ist selbst etwas lächerlich, was sich letztenendes in der Ästhetik des Films widerspiegeln musste. Selbige lässt sich als eine Mischung aus Counterculture-Psychedelik und einem spezifisch "crowleyanischen" Stil beschreiben. Was ich mit Letzterem meine, lässt sich vielleicht am Besten mit diesen beiden Fotos des "wickedest man of the world" illustrieren.
Scovell schreibt in seinem Essay:
The ancient worlds bleed through into a time when the mind’s of a generation were being expanded by drugs as to incorporate entire new belief systems and imagery.  The perspective of the counter-culture was backwards looking, to see the old ways and gods connecting with their own modern-day interests.
Das Problem ist, dass es in Wirklichkeit nicht die "ancient worlds" sind, die da in die Gegenwart eindringen, sondern Zerrbilder derselbigen, die von modernen Mystikern wie Eliphas Levi oder Aleister Crowley geschaffen wurden. Wir erleben hier nicht die geistige Wiederauferstehung des Alten Ägypten mit, sondern bekommen gezeigt, wie das Alte Ägypten als Maske verwendet wird. Und solch einem symbolischen Mummenschanz haftet immer etwas leicht lächerliches an.
Nichtsdestoweniger bleibt Lucifer Rising ein faszinierendes Stück Filmkunst. Es ist ein Beleg für Kenneth Angers enormes Talent, dass er auf einer so wackeligen Grundlage, wie sie Crowleys Mystizismus zu bieten hatte, ein über weite Strecken derartig beeindruckendes ästhetisches Gebilde zu errichten vermochte.



5 Kommentare:

  1. Das ist doch derselbe Kenneth Anger, der auch HOLLYWOOD BABYLON geschrieben hat, oder? Ein echtes Horrorbuch!

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  2. Yep. Nicht, dass ich das Buch je gelesen hätte ...

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  3. Es ist eine widerwärtige Lektüre. Lauter miese Geschichten bis zurück in die Stummfilmzeit; ein Panoptikum. Ich habe es vor bestimmt dreißig Jahren gelesen und werde es nicht noch mal anrühren. So ähnlich wie Ed Sanders' Buch über die Manson-Sekte - allerdings weniger gonzomäßig geschrieben. Deshalb hatte ich Anger auch gar nicht mit den Hippies und Freaks assoziiert. Wieder was gelernt ...

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  4. Anger selbst war wohl nicht das, was man einen Hippie genannt hätte. Dazu war er zu dem Zeitpunkt auch einfach schon zu alt. Aber er war eine in Counterculture - Kreisen recht prominente Figur. Zu seinem Freundeskreis gehörten u.a. Mick Jagger (der ursprünglich den Luzifer spielen sollte) und Jimmy Page (der ursprünglich die Musik für den Film schreiben sollte/wollte). Mein Eindruck ist, dass Anger alles in allem eine zwar faszinierende, aber nicht unbedingt sympathische Gestalt ist.

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  5. Es ist auch derselbe K.A., der 2007 in Interviews prophezeite, daß er am 31.10.2008 von der irdischen Bühne abtreten würde. Solche aufs Grelle und Krawallige geschminkten Gurus geben nach ihrem success de scandale immer recht traurige Figuren ab. Das war schon bei Crowley selbst so, dem zudem das viele Heroin nicht gutgetan hatte. HOLLYWOOD BABYLON ist "hackwork" in dem üblen Sinn, den die Vokabel im Englischen hat: mieser Schmierenjournalismus, um schnelles Geld zu machen. Als Vorbild hat sich Angers da die berüchtigste Klatschjournalistin Hollywoods genommen: Louella Parsons (von der er auch, ohne Quellenangabe, die alten Stummfilmkamellen abgegriffen hat): wüste und vor allen Dingen anödende Anekzoten über Drogen, Sex & Ausfälligkeiten; die Hälfte dürfte er in inspirationslosen Momenten selbst erfunden haben. Aber als Vorbild hat das Buch dann selbst gedient: für die Biografien von Albert Goldman über Elvis und John Lennon..

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