"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Samstag, 15. November 2014

Universen der Ödnis?

Letzten Monat stellten sowohl Warner Bros als auch Disney/Marvel der Öffentlichkeit die Terminpläne für ihre kommenden Superheldenfilme vor:

Warner Bros (DC):
  • März 2016: Batman v Superman: Dawn of Justice
  • 5. August 2016: Suicide Squad 
  • 23. Juni 2017: Wonder Woman
  • 10. November 2017: Justice League Part One
  • 23. März 2018: The Flash
  • 27. Juli 2018: Aquaman
  • 5. April 2019: Shazam
  • 4. Juni 2019: Justice League Part Two
  • 3. April 2020: Cyborg
  • 19. Juni 2020: Green Lantern 
Disney (Marvel):
  • Juli 2015: Ant-Man
  • 6. Mai 2016: Captain America: Civil War
  • 3. November 2016: Doctor Strange
  • 5. Mai 2017: Guardians of the Galaxy 2
  • 28. Juli 2017: Thor. Ragnarok
  • 3. November 2017: Black Panther
  • 4. Mai 2018: Avengers: Infinity War Part One
  • 6. Juli 2018: Captain Marvel
  • 2. November 2018: Inhumans
  • 3. Mai 2019: Avengers: Infinity War Part Two 
Beim Anblick dieser mehr als ein Jahrfünft umfassenden Pläne überkommt mich ehrlich gesagt ein mulmiges Gefühl. Man verstehe mich bitte nicht falsch: Ich habe nichts grundsätzliches gegen Superheldenflicks, auch wenn ich der Meinung bin, dass diese bei Lichte betrachtet doch etwas lächerlichen Figuren im heutigen Film viel zu ernst genommen werden. Wenigstens werden uns endlich auch ein paar Superheldenfilme mit weiblichen und farbigen Protagonisten in Aussicht gestellt, und das ist ja schon einmal etwas. Es ist die massierte und durchgeplante Form, in der uns hier zwei der großen Studios vor Augen führen, wie sie sich die Zukunft des amerikanischen Kinos vorstellen, die ich etwas depremierend finde.

Bunter und meinetwegen auch bombastischer Eskapismus ist ein legitimer Bestandteil des cineastischen Universums. Aber wenn er zur alles dominierenden Form des Films wird, dann liegt etwas im Argen. Wenn es Warner Bros und Disney tatsächlich gelingen sollte, ihre Vision in die Wirklichkeit umzusetzen, dann werden wir alljährlich mehr als ein halbes Dutzend Superheldenflicks zu sehen bekommen. Denn neben ihren eigenen Produktionen gibt es da ja auch noch Sonys Ausbaupläne für das Amazing Spider Man - Franchise sowie Projekte à la X-Men: Apocalypse und The Fantastic Four.

Seit geraumer Zeit schon gleicht Hollywood einem bizarren Paralleluniversum, das jede Verbindung zu der Welt, in der der Rest der Menschheit lebt, verloren zu haben scheint. Stärker als vielleicht jemals zuvor in seiner Geschichte hat sich das amerikanische Mainstream-Kino von der gesellschaftlichen Realität abgekoppelt. {Warum es meiner Ansicht nach um den Independent-Film auch nicht viel besser bestellt ist, soll jetzt nicht das Thema sein.} Die Lebenswirklichkeit der überwältigenden Mehrheit der US-Amerikaner und -Amerikanerinnen findet selbst in vermittelter, abgeschwächter oder zu Klischees erstarrter Form nur noch äußerst selten eine Widerspiegelung im Film. Stattdessen konzentrieren sich die Studios ganz darauf, primitive cineastische Gegenwelten zu erschaffen, die von Mal zu Mal immer steriler wirken. Der Superhelden-Boom des letzten Jahrzehnts ist eine besonders eindringliche Ausdrucksform dieses Trends. Und wenn es nach den großen Studios geht, soll sich daran offenbar auch in den nächsten fünf Jahren nichts ändern.

Nun bin ich nicht so naiv, dass ich glauben würde, der Impuls zur Veränderung könnte aus der Filmindustrie selbst kommen. Der Anstoß dazu wird von außen, von allgemeineren sozialen und politischen Entwicklungen in den USA kommen müssen. Marxistisch ausgedrückt: Dafür wird es ein Wiederaufleben des Klassenkampfes in den Vereinigten Staaten brauchen. Nur auf diese Weise wird die selbstzufriedene Isolation Hollywoods erschüttert werden können. Doch trotz der sich Jahr für Jahr verschärfenden sozialen Gegensätze ist dieser Punkt noch nicht erreicht.
      
Wer weiß, wie es in fünf Jahren tatsächlich aussehen wird. Wir leben in Zeiten rascher und dramatischer Entwicklungen. Die Studiobosse allerdings glauben offenbar immer noch, dass sie ewig so weiter machen könnten wie bisher. Wenn sie überhaupt eine Veränderung ins Auge fassen, so besteht diese bloß in einer weiteren Verschärfung all der negativen Trends der letzten zwanzig Jahre. Das ist zumindest für mich die eigentliche Aussage der Ankündigungen von Warner Bros und Disney. Hinzu kommt, dass all dies inzwischen geradezu generalstabsmäßig geplant wird. Und dabei spielt eine nicht ganz unwichtige Rolle die {auch nicht mehr so neue} Tendenz zur Entwicklung "filmischer Universen".

Genaugenommen manifestiert sich diese bisher allerdings hauptsächlich in Ankündigungen und weniger in fertiggestellten Produktionen. Das einzige wirklich etablierte Universum ist das der Marvel - Filme, welches deshalb auch immer wieder als Vorbild herangezogen wird.
Warum andere Studios Disney hierin nachzueifern versuchen, ist nicht weiter verwunderlich: Schließlich sind Guardians of the Galaxy und Captain America: The Winter Soldier die bis dato kommerziell erfolgreichsten Filme dieses Jahres, und das Franchise als Ganzes wird in Sachen Gewinn nur noch von der Harry Potter - Reihe übertroffen. Auf den ersten Blick mag es zwar nicht ganz logisch erscheinen, eine direkte Verbindung zwischen Format und finanziellem Erfolg herzustellen, doch Logik ist nicht unbedingt das höchste Gebot in der Welt von Hollywood. Bei all dem dürfte wohl jenes uralte Gesetz des Filmgeschäfts eine große Rolle spielen, das da lautet: Wenn irgendetwas erfolgreich ist, kopiere es! Eine Faustregel, die über die Jahrzehnte nicht nur zur Produktion vieler mediokrer Machwerke, sondern auch zu einer ganzen Reihe finanzieller Flops geführt hat. Was ihr erstaunlicherweise in den Augen vieler Studiobosse dennoch nichts von ihrer Überzeugungskraft geraubt zu haben scheint. In diesem Kontext wirkt es dann vielleicht nicht mehr so erstaunlich, dass andere Studios zu glauben scheinen, ein eigenes "filmisches Universum" könne ihnen einen ähnlichen Geldregen bescheren wie den, an dem Disney sich seit einigen Jahren erfreuen kann. Unabhängig von Inhalt oder Qualität der Flicks, aus denen selbiges sich zusammensetzen soll.
Am offensichtlichsten ist das natürlich bei Warner Bros' Bemühungen, mit ihren DC - Streifen einen direkten Konkurrenten zum Marvel - Universum aufzubauen. Ähnliches gilt für Sonys eher traurige Versuche, ihr ohnehin schon erbärmliches Amazing Spider Man - Franchise zu etwas Größerem aufzublähen. Doch der Superheldenfilm ist nicht das einzige Genre, in dem wir diese Entwicklung beobachten können. Für Star Wars ist bekanntlich etwas ähnliches geplant, während mit Dracula Untold vor kurzem der erste Vertreter eines Universal Monsters - Universums in die Kinos gelangt ist. Und als wäre letzteres nicht bereits absurd und geschmacklos genug, hat Sony vor einiger Zeit auch noch verkünden lassen, man wolle ein ganzes Robin Hood - Universum auf die Beine stellen! Bei manchen Nachrichten aus Hollywood weiß man wirklich nicht mehr, ob man lachen oder weinen soll ...

Neben den offensichtlichen Versuchen, Marvels Erfolgsrezept zu kopieren, scheint das Format also ganz allgemein Schule zu machen. Die Gründe hierfür sind nicht wirklich schwer zu erraten, und sie sind ausschließlich ökonomischer Natur.
Im Großen und Ganzen gesehen sind die Profite, die die Studios produzieren, schon seit geraumer Zeit nicht mehr hoch genug, um ihre Geldgeber an der Wall Street zu befriedigen. Dies zeigte sich letzten Monat auf sehr dramatische Weise, als Warner Bros bekannt machen ließen, dass man beabsichtige, die aktuellen Produktionskosten um $200 Mio zu senken, und zum Erreichen dieses Ziels mehr als 1.000 der 8.000 Studioangestellten entlassen werde.
Chief Executive Kevin Tsujihara told investors, “We are firmly committed to improving our margins. Through that process we have committed to cutting costs significantly.” Warner Bros. recently finished in third place among rival studios for box office share, the worst showing in over a decade. The studio has made $1.08 billion in movie sales in the US and Canada so far this year, down nearly 15 percent from last year. Overall, the major studios, including 20th Century Fox and Disney, have made $7.25 billion domestically, down almost 5 percent compared to last year, according to Box Office Mojo.
Zur selben Zeit investierte Warner Bros' Mutterkonzern Time Warner -- ähnlich wie viele andere amerikanische Großkonzerne -- mehrere Milliarden Dollar in den Aufkauf eigener Aktien, um damit den Kurs künstlich in die Höhe zu treiben und die Gewinne der Anleger zu maximieren.
Die Studiobosse, bei denen es sich schon längst nicht mehr um die allmächtigen Mogule vergangener Zeiten, sondern um die bloßen Befehlsempfänger von Finanzinstituten und Hedge Funds handelt, stehen also unter einem gewaltigen Druck, und das Format des "filmischen Universums" könnte deshalb aus zweierlei Gründen sehr verführerisch auf sie wirken:
1) Auf diese Weise lässt sich ein Franchise, an dem man die Rechte besitzt, noch umfangreicher ausbeuten, als durch die übliche Sequel- oder Reboot-Masche. Anders ausgedrückt: Man kann mehr Filme aus einer Grundidee herausquetschen.
2) Ist es einem erst einmal gelungen, ein Filmuniversum zu etablieren, so sichert man sich damit auch ein Kernpublikum. Selbst Leute, die noch nie von Ant-Man gehört haben, werden sich einen Film über ihn anschauen, weil selbiger Teil des Marvel-Universums ist.

Letztlich ist das "filmische Universum" bloß eine Fortsetzung des Sequel- und Remake-Irrsinns der jüngeren Vergangenheit. Ob dieses neue Konzept einen gravierenden negativen Einfluss auf die Qualität der unter seiner Herrschaft produzierten Filme haben wird, halte ich für ungewiss. Ein Streifen wie Guardians of the Galaxy scheint eher dagegenzusprechen. Allerdings führt Scott Tobias in einem Artikel für The Dissolve folgendes, durchaus bedenkenswertes Argument an:
All movies must conform to the same template. This objection is related as much or more to traditional sequels and franchises in general than to cinematic universes in particular. [...] The specific frustration with cinematic universes, however, is that they could—and should—be stylistically discrete, but they all have to look the same anyway.
Das klingt einleuchtend, würde im Grunde aber bloß die weitere Verschärfung eines Trends darstellen, der dem modernen Blockbuster an sich eigen ist: Der Tendenz zu immer größerer strukturell-erzählerischer und stilistischer Stromlinienförmigkeit. Und dessen Wurzeln sind einmal mehr hauptsächlich wirtschaftlicher Natur.

In den bald vier Jahrzehnten seiner Existenz hat das Blockbusterformat eine Entwicklung durchgemacht, die sehr viel damit zu tun hat, wie Filme finanziert und vermarktet werden. In den späten 70er und vor allem in den 80er Jahren begann Hollywood seine Ressourcen mehr und mehr auf die Produktion von immer weniger Filmen zu konzentrieren, welche ihrerseits immer teurer wurden. Daneben flossen immer größere Summen Geldes in riesige PR-Feldzüge. Das war mit einer der Gründe dafür, dass es allmählich zu einer tiefgreifenden Veränderung in der Struktur der Filmindustrie kam. Wie praktisch alle Teile der Wirtschaft wird auch Hollywood schon seit längerem von den großen Finanzinstuten, Banken, Hedge Funds etc. dominiert, die alleine in der Lage sind, die für eine große Blockbusterproduktion nötigen Mengen an Kapital zur Verfügung zu stellen. Mehr noch als in den alten Tagen ist damit der Profit zum höchsten {und beinah einzigen} Maßstab geworden, an dem sich Filme messen lassen müssen. Hollywood ist ein Anlagegebiet unter vielen geworden, und wenn es nicht die erwarteten Gewinne abwirft, wird das Finanzkapital anderswohin abwandern. Zugleich müssen diese Gewinne immer höher werden, da die Produktionen selbst immer kostspieliger geworden sind. Ein Weg, um dies zu erreichen, ist die Ausweitung des Marktes. Längst schon produziert Hollywood nicht mehr vornehmlich für den amerikanischen, sondern für einen internationalen Markt. All dies muss zu einem immer größeren Druck in Richtung Konformismus und Simplizität führen. Jedes gar zu heftige Abweichen von den "bewährten" Schemata muss in diesem Kontext als unnötiges Risiko erscheinen. Ein Risiko, das man sich schlicht nicht leisten kann.

Zugegebenermaßen äußerte sich dieser Druck hin zu immer größerer Gleichförmigkeit bislang in Fragen des filmerischen Stils weniger extrem als in den Bereichen Inhalt und Erzählweise. In dieser Hinsicht könnte das Prinzip der "filmischen Universen" in der Tat einen weiteren Schritt auf dem Weg zum unterschiedslosen Einheitsbrei darstellen. Dennoch halte ich eine Debatte über das Für und Wider von "Filmuniversen" letztenendes für wenig sinnvoll. Zuerst einmal wissen wir nicht, ob dieses Format mehr als eine kurzlebige Mode sein wird. Wenn es keinem von Disneys Konkurrenten gelingt, ein vergleichbar erfolgreiches {sprich einträgliches} Universum wie das der Marvel-Streifen zu etablieren, glaube ich ehrlich gesagt nicht, dass dem Modell eine all zu große Zukunft beschieden ist. Darüberhinaus sind die Probleme, mit denen der aktuelle Film zu ringen hat, sehr viel grundsätzlicherer Natur. Ähnlich wie der Remake-Wahn mag auch das Konzept der "filmischen Universen" ein Symptom der Krise sein, doch deren Wurzeln reichen sehr viel tiefer. Und wenn man diese angehen will, sollte man sich nicht gar zu sehr mit irgendwelchen formalen Fragen aufhalten.

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