"Außerdem studierte er abstruse Bücher, die aus chaldäischen Bibliotheken
gestohlen worden waren, wenn Fafhrd auch aus langer Erfahrung wusste,
dass der Mausling selten über das Vorwort hinauskaum (obwohl er oft die
letzten Kapitel aufrollte und neugierig hineinschaute und beißende Kritik
äußerte)."

Fritz Leiber, Das Spiel des Adepten


Samstag, 28. Dezember 2013

Strandgut der Woche

Freitag, 27. Dezember 2013

Die wunderliche Welt der Star Wars - Rip-offs

Man kann geteilter Meinung darüber sein, ob der gargantuane Erfolg des ersten Star Wars - Films ein Fluch oder ein Segen für das SciFi-Kino und den {amerikanischen} Film im Allgemeinen gewesen ist. Mir selbst würde es schwerfallen, da eindeutig Stellung zu beziehen. Wofür ich Onkel George jedoch ganz sicher auf ewig dankbar sein werde, ist, dass sein Weltraumabenteuer Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre eine Reihe höchst skuriller Rip-offs nach sich zog. Niemand wird behaupten wollen, dass sich in dieser bunten B-Movie-Schar irgendwelche vergessenen Meisterwerke verstecken würden. Aber wer meine leicht perverse Liebe zu absurdem Trash teilt, wird an ihnen seine helle Freude haben. Und so lade ich denn alle Gleichgesinnten zu einem Abstecher in eine ganz andere "weit weit entfernte Galaxis" ein. Uns erwarten Abenteuer, wie sie sich kein gesundes Hirn jemals erträumt hätte.

Starcrash (1979) 

Unsere kleine Rundreise beginnt gleich mit einem Juwel seiner Art. Knapp zwei Jahre nachdem George Lucas sämtliche Kassenrekorde gebrochen hatte, präsentierte Luigi Cozzi dem hungrigen Kinopublikum seine Version einer Space Opera unter dem grandiosen Titel Scontri stellari oltre la terza dimensione {ungefähr: "Stellare Zusammenstöße jenseits der dritten Dimension"}. Starcrash kann nicht nur mit sexy Genre-Ikone Caroline Munro, sondern auch mit einer Story glänzen, die bei aller Einfachheit so gut wie überhaupt keinen Sinn macht. Lichtschwerter kommen auch vor ...


Luigi Cozzi ist ein nicht uninteressanter Vertreter der prachtvollen italienischen B-Movie-Traditionen. Seine Karriere begann passenderweise mit einem SciFi-Amateurfilm, durch den Dario Argento auf ihn aufmerksam wurde. An seiner Seite sammelte er erste Erfahrungen als Co-Regisseur und Drehbuchschreiber, beschäftigte sich Mitte der 70er Jahre aber auch mit der Organisation von SciFi-Filmfestivals, auf denen das Publikum in den Genuss solcher Klassiker wie The Thing From Another World, The Cat People, Things To Come und Invasion of the Body Snatchers kommen konnte. Als bekannt wurde, dass Dino de Laurentiis ein Remake von King Kong plante, bewies Cozzi zum ersten Mal, dass er eine Nase für mögliche Cash-ins hatte. Nachdem sein Versuch, die italienischen Rechte für den britischen Riesenmonsterflick Gorgo (1961) zu erwerben, gescheitert war, wandte er sich stattdessen dem Urvater aller Kaijus zu – Ishirō Hondas Gojira (1954) – und brachte 1977 eine kolorierte und um zwanzig Minuten erweiterte Version in die Kinos. Eigenen Aussagen zufolge testete er bei der Überarbeitung von Godzilla die Stop-Motion-Technik, die ein Jahr später bei Starcrash zum Einsatz kommen sollte.
Nachdem er George Lucas' Werk geplündert hatte, wandte sich der gewiefte Kinopirat 1980 dem von Ridley Scott zu und drehte mit Contamination ein unterhaltsames Alien-Rip-off mit Horror-B-Movie-Legende Ian McCulloch in der Hauptrolle. Kim Newman hat den Streifen wohl nicht zu Unrecht als "the best of the Italian Alien pseudo-sequels"* bezeichnet. Was Cozzis spätere Werke angeht, so ist mir Nosferatu in Venice (1988) leider nicht aus eigener Anschauung bekannt. Ein Sequel zu Werner Herzogs Nosferatu (1979), bei dem sich Klaus Kinski nach dem Abgang von Mario Caiano als Regisseur versuchte, wobei ihm Cozzi als Unterstützung zur Seite gestellt wurde? Das Ergebnis mag noch so grottig sein, ich möchte es unbedingt einmal gesehen haben! Mit De Profundis aka The Black Cat aka Demons 6 (1989) schuf Cozzi außerdem einen inoffiziellen Abschluss zu Dario Argentos "Drei Mütter" - Trilogie. Ein ausgesprochen kurioser Film, geht es in ihm doch um einen Regisseur und einen Drehbuchschreiber, die eine Fortsetzung zu Argentos Suspiria und Inferno drehen wollen, was Levana, der dritten der "Mütter", überhaupt nicht gefällt! Ist das jetzt "meta" oder "mental"? Da das Ergebnis ziemlich unterirdisch ausgefallen ist, tippe ich eher auf letzteres: Amateurhaft anmutende Versuche, den Stil des genialen Horror-Auteurs nachzuahmen; grausige Schnitte; echt miese Spezial- und Soundeffekte; bizarre Ausbrüche von Rockmusik; Bärte, die von einer Szene zur nächsten verschwinden oder wieder auftauchen ... Diesen Flick kann nicht einmal mehr Caroline Munro retten.
Nun ja, jeder darf mal danebenlangen. Mit Starcrash verdanken wir Luigi Cozzi jedenfalls ein wahres Wunderwerk des Trashs. Der Streifen hat alles, was man sich von derartigem SciFi-Schlock nur wünschen kann. Er ist farbenfroh, verrückt und völlig hemmungslos. Und er macht ganz einfach irrsinnig viel Spaß.
Ich glaube nicht, dass es sehr viel Sinn machen würde, wollte ich versuchen den Plot des Films hier im Detail nachzuzeichnen. Die Geschichte von Schmugglerin Stella Star (Caroline Munro) – der besten Astro-Pilotin des Universums  – und ihrem mystisch begabten Kumpel Akton (Marjoe Gortner), die erst von imperialen Truppen verhaftet werden, um sich wenig später gemeinsam mit dem grüngesichtigen Offizier Thor (Robert Tessier) und Polizeiroboter Elle (Judd Hamilton) im Auftrag des galaktischen Imperators (Christopher Plummer) aufzumachen, die geheime Superwaffe des bösen Count Zarth Arn (Joe Spinell) zu finden und zu zerstören, ist so wirr und widersprüchlich, dass es einer Beleidigung gleichkäme, wollte man sie als ein kohärentes Etwas darstellen.
Worin der besondere Reiz von Starcrash besteht? Zuerst einmal gehört der Streifen nicht zur Kategorie der "so bad it's good" - Filme wie etwa Ed Woods Plan 9 From Outer Space oder Claudio Fragassos Troll 2. Noch viel weniger ist einer jener meist eher nervigen, absichtlich schlecht gemachten Flicks wie Asylums Sharknado. Er ist liebenswert für das, was er ist. Um ihn so richtig genießen zu können, braucht man keine ironische Distanz. Ganz im Gegenteil! Man muss sich kopfüber in das kunterbunte Pulp-Universum stürzen, das sich einem hier eröffnet. Es ist seine fröhliche Naivität, die für mich den unwiderstehlichen Charme von Starcrash ausmacht. Cozzis Film wirkt wie einer der letzten Vertreter einer unschuldigeren Ära, bevor postmoderne Cleverness und "Ironie" dem simplen Spaß, den gute Pulp-Geschichten verbreiten sollten, den Kampf angesagt hatten. Und mehr noch als Star Wars zehrt der Film von den pulpigen Traditionen des Genres. Man braucht sich ja bloß die Sequenz mit dem Amazonen-Planeten oder den Bösewicht Zarth Arn anschauen, der sehr viel mehr von Flash Gordons Ming the Merciless als von Darth Vader hat.
Viel mehr habe ich eigentlich nicht zu Starcrash zu sagen. Das ist einer jener Filme, die man sehen muss, um zu verstehen, warum ihm von B-Movie-Fans so viel Liebe entgegengebracht wird. Ich möchte bloß noch erwähnen, dass ich die Beziehung zwischen Stella und Roboter Elle für den rührendsten Bestandteil der Geschichte halte. Dass unsere Heldin sich am Ende selbstverständlich in einen waschechten Prinzen (David Hasselhoff) verlieben muss, entspricht den Konventionen des Genres. Ich jedoch hatte das Gefühl, dass zwischen ihr und dem Blechkameraden emotional sehr viel mehr abgeht als bei dem Blaublüter. 


Galaxina (1980)

Wenn Starcrash noch ernst gemeint war {d.h. so ernst wie etwa Buck Rogers in den 30er & 40er Jahren}, so betreten wir mit Galaxina einwandfrei satirischen Boden. William Sachs' Streifen kann als ein direkter Vorläufer zu Stewart Raffills wunderbaren Ice Pirates (1984) gelten, versucht doch auch er im Rahmen eines vulgären Weltraumabenteuers gleich eine ganze Reihe von Genre-Klassikern zu parodieren. Neben Star Wars trifft es vor allem Star Trek, Alien und 2001.



Einen Kommentar zu diesem Trailer verkneif ich mir lieber. Was den Inhalt des Films angeht, wäre es eigentlich völlig ausreichend, Space-Bösewicht Ordric of Mordric zu zitieren: "What's this shit!?" Dennoch möchte ich versuchen, rasch das zu skizzieren, was man mit viel gutem Willen als den Plot von Galaxina bezeichnen könnte:
Die Crew des Polizeiraumschiffs Infinity – ein Haufen kaputter Typen unter dem Kommando von Captain Cornelius Butt {was nicht nur "Hintern" bedeutet, sondern wohl auch eine Anspielung auf den großartigen Harry Mudd aus Star Trek sein soll} – erhält den Befehl, zu einer weit entfernten ehemaligen Sträflingskolonie zu fliegen, da dort die legendäre Wundersubstanz "Blue Star" gefunden wurde. Hinter der ist allerdings auch der fiese Ordric her, mit dem sich die Infinity bereits ein kleines Weltraumduell geliefert hat. Während die Mannschaft in ihren kryogenischen Schlafkammern "überwintert", verliebt sich Roboter Galaxina in den ersten Offizier Thor {warum ist mir unklar, aber hey – die Auswahl an möglichen Partnern ist nicht eben groß} und verwandelt sich aus einer eiskalten, emotionslosen Androidin in eine leidenschaftliche Frau. Den Plot bringt das übrigens kein Stück voran. An ihrem Ziel angelangt stoßen unsere Helden nicht nur auf eine Westernstadt, in deren Saloon vorzugsweise "Mensch" serviert wird und ein Mr. Spock - Verschnitt als Bartender fungiert, sondern müssen sich auch mit Ordric und einer Bikergang herumschlagen, die eine Harley Davidson als Gott verehrt.
Das klingt jetzt sicher wie absoluter Bullshit, und mit dieser Einschätzung läge man nicht gar zu weit von der Wahrheit entfernt. Nach allen einigermaßen objektiven Maßstäben beurteilt ist Galaxina ein echt mieser Film. Oder besser ausgedrückt: Er ist wie der alte Sam Wo auf dem Maschinendeck der Infinity – völlig stoned. Genau darin besteht aber auch sein Reiz.
Subtile Satire darf man natürlich nicht erwarten. Hier wird der Holzhammer geschwungen, und schlechter Geschmack ist oberstes Gebot. Dafür dürfen wir einige wunderbar groteske Szenen bewundern. So etwa, wenn plötzlich ein schrottreifes Space Shuttle durchs Bild getrudelt kommt. Das hat nicht nur nichts mit der Story zu tun, sondern wirkt angesichts der Tatsache, dass das erste Shuttle Columbia überhaupt erst 1981 gestartet ist, reichlich irritierend. Ist die Ähnlichkeit bloß ein Zufall?
Und in wenigstens einer Hinsicht ist Galaxina sogar richtig intelligent gemacht. Der Soundtrack ist beinah schon genial! Zum Großteil besteht er aus klassischen Kompositionen à la 2001. Und auch wenn es etwas simpel anmutet, wenn Captain Butts erster Auftritt mit dem Vorspiel aus Richard Strauß' Also sprach Zarathustra unterlegt ist, so erweist sich das ironische Spiel mit berühmten Musikstücken in der Folge als sehr viel geschickter gemacht. Alle Wagnerfans mögen die Ohren aufsperren und auf den Liebestod aus Tristan und Isolde warten. Ich jedenfalls musste bei dieser Szene laut loslachen. Hinzu kommen einige deutliche Anspielungen auf den Soundtrack von Alien sowie das stellenweise Anzitieren der typischen Musik einer Hollywood-Schnulze.
In die Riege echter Trash-Klassiker wie The Ice Pirates aufgenommen zu werden, verdient Galaxina dennoch nicht. Grund hierfür ist vor allem, dass uns die Crew der Infinity anders als Jason und seine Kumpels nicht ans Herz wächst. Butt, Thor, Buzz, Maurice, Sam Wo und Galaxina sind keine Charaktere, für die wir Sympathie entwickeln könnten. Sie bleiben den ganzen Film über grobschlächtige Karrikaturen oder sterile, wenig liebenswerte Klischeefiguren.
Alles in allem gilt für Galaxina dasselbe wie für den Mainzer Rosenmontagszug: Nüchtern sollte man sich das nicht anschauen, aber mit der richtigen alkoholischen Unterfütterung kann es ein Riesenspaß werden.


Battle Beyond the Stars (1980)

Wie nicht anders zu erwarten, versuchte auch der alte Schlockmeister und König der Cash-ins Roger Corman den von George Lucas losgetretenen Trend auszunutzen. Inhaltlich gesehen plündert der von ihm produzierte und unter der Regie von Jimmy T. Murakani gedrehte Film Battle Beyond the Stars allerdings weniger Star Wars als vielmehr The Magnificient Seven (1960). Robert Vaughn spielt als ehemaliger Auftragskiller Gelt sogar beinah dieselbe Figur, die er in John Sturges' Western-Remake von Akira Kurosawas Die sieben Samurai (1954) verkörpert hatte.



Weltraumtyrann Sador (John Saxon) droht den friedlichen Bewohnern des Planeten Akir mit völliger Vernichtung, wenn sie nicht willens sind, sich ihm zu unterwerfen. Auf Anraten des ehemaligen Kriegers Zed "the Corsair" (Jeff Corey) macht sich der junge Shad (Richard Thomas) mit Zeds Raumschiff auf, um Söldner zur Verteidigung Akirs anzuheuern. Es ist eine denkbar bunte Truppe, die er nach manchem Hin und Her schließlich zusammenbekommt: Die naive, aber technisch umfassend gebildete Nanelia (Darlanne Fluegel); der alte Space Cowboy (George Peppard); der Sklavenjäger Cayman (Morgan Woodward), der Sador ewige Rache geschworen hat, mitsamt seiner eigenartigen Crew; "Nestor" (Earl Boen) – eine Gruppe von Klonen mit einem kollektiven Bewusstsein; der verbitterte Berufskiller Gelt (Robert Vaughn); sowie die kampflüsterne Walküre Saint-Exmin (Sybil Danning). Zusammen mit den Bewohnern Akirs ziehen sie in die Schlacht gegen Sadors Mutanten und ihre alles zerstörende Höllenwaffe – den "Star Converter". Nur die wenigsten von ihnen werden diesen Kampf überleben.
Originell ist die Geschichte natürlich nicht gerade. Und als jemand, für den Die sieben Samurai zu den großartigsten Filmen aller Zeiten gehört, stehe ich selbst den besseren Rip-offs von Kurosawas Klassiker für gewöhnlich sehr skeptisch gegenüber. Dennoch halte ich Battle Beyond the Stars für einen auf seine simple und naive Art recht sympathischen Streifen. Hier und da schlägt das Drehbuch nicht ganz den richtigen Ton an {ein paar sehr müde Witze; eine angedeutete Vergewaltigung}, doch alles in allem haben wir es mit einen netten, kleinen, trashigen Weltraumabenteuer zu tun.
Was ihm seinen besonderen Charme verleiht, das sind vor allem die bizarren Aliens, die einen Gutteil unserer Heldentruppe ausmachen. In Star Wars dienen Außerirdische in erster Linie als exotische Staffage im Hintergrund. Von Chewbacca einmal abgesehen, scheint die Rebellenallianz in den ersten beiden Filmen ausschließlich aus Menschen zu bestehen. Erst in Return of the Jedi ändert sich das ein wenig. In Battle Beyond the Stars hingegen haben wir den reptilienhaften Cayman; die beiden Kelvins, die mittels Temperaturveränderungen kommunizieren; die fünf "Facetten" von Nestor. Diese exzentrischen Wesen verstärken noch den Eindruck, es mit einem Trupp von Misfits und Underdogs zu tun zu haben, die sich über alle "rassischen" und persönlichen Unterschiede hinweg zu einer Kampfgemeinschaft zusammenschließen, in der jeder bereit ist, für den anderen sein Leben zu lassen. Und auch wenn unsere Helden natürlich eher Klischees denn Charaktere sind, fühlen wir uns ihnen dennoch verbunden, und der Tod von vielen dieser kuriosen Krieger wird uns nicht völlig kaltlassen.
Mit einem Budget von ca. $2.000.000 war Battle Beyond the Stars der bis dahin teuerste von Roger Corman produzierte Film. Ein Großteil des Geldes soll allerdings für die Gage von Robert Vaughn und George Peppard draufgegangen sein. Sets und Spezialeffekte wurden in guter alter Corman-Manier "für'n Appel und 'n Ei" hergestellt. Wie Tonspezialist David Lewis Yewdall in seinem Buch Practical Art of Motion Picture Sound geschrieben hat: "The entire picture had been filmed in Venice, California, in his [Cormans] renowned lumberyard facility, and the spaceship interiors were crossbreeds of plywood, cardboard, styrofoam and milk crates". Das Ergebnis sieht für einen SciFi - Flick der Zeit erstaunlich gut aus. Übrigens stellte die Arbeit an den Modellen und Effekten für den damals fünfundzwanzigjährigen James Cameron den ersten großen Einstieg ins Hollywood-Geschäft dar. Gleichfalls nicht unerwähnt bleiben darf der prächtige Soundtrack von James Horner, der 1979/80 noch ganz am Anfang seiner Karriere stand, die ihn schließlich bis in Oscar-Höhen führen sollte. {Ja, der Mann hat auch die Musik zu Wrath of Khan [1982] geschrieben, und er hat offenbar kein Problem damit, seine eigenen Werke zu plündern.}
Daumen hoch für diesen charmanten B-Movie!
{Allerdings frage ich mich, warum so viele Filme die Eröffnungsszene von Star Wars kopieren, dabei jedoch genau das auslassen, was sie im Original so großartig macht? Kurz gesagt: Es braucht zwei Raumschiffe, um denselben Effekt zu erzielen!**}


Space Raiders (1983)

Wer sich im Anschluss an Battle Beyond the Stars Roger Cormans nächstes Weltraumabenteuer reinzieht, wird so manches Déja-vu erleben. Für Space Raiders stand ihm zweifelsohne ein sehr viel geringeres Budget zur Verfügung. Wen wundert's da, dass er ganz einfach noch einmal die Raumschiff- und Kampfszenen aus dem drei Jahre älteren Film verwendete? Und wenn man schon einmal am Plündern ist, warum nicht auch gleich die Musik mitgehen lassen? Leider sieht das Ergebnis zwar erwartungsgemäß billig aus, ist aber nicht verrückt und pulpmäßig genug, um richtigen Spaß zu machen. Schlimmer noch, die Story dreht sich um einen kleinen Jungen, der unter (ehrenwerte) Weltraumpiraten gerät. Und man muss wahrlich kein Kinderhasser sein, um zu wissen, dass einem der Balg schon bald ganz fürchterlich auf die Nerven gehen wird.



Eine Crew von Gaunern und Glücksrittern, die gegen ein böses, übermächtiges Wirtschaftsunternehmen kämpft? Das sollte eigentlich ganz nach meinem Geschmack sein. Doch ein abgebrühter Freibeuter, der es sich auf einmal in den Kopf setzt, die Rolle des heroischen Ersatzdaddys zu spielen, ist irgendwie so gar nicht cool. Klar, ich weiß, Hawk (Vince Edwards) ist einer von diesen "Schurken mit goldenem Herzen", aber könnte er das nicht auf andere Weise zeigen? Und wenn's denn wirklich sein muss, ist es zu viel verlangt, wenigstens einen nachvollziehbaren Grund dafür präsentiert zu bekommen, warum unsere Helden alles daransetzen, den Sohn eines führenden Angestellten eben jenes bösen Unternehmens zu beschützen? Der fiese Zariatin trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er Hawk fragt: "Why are you all so willing to die for him?" 
Und für einen Film, der offensichtlich ein kindliches Publikum erreichen sollte {wozu sonst Klein-Peter als Held}, wird in Space Raiders verdammt viel gestorben. Man sollte meinen, eine Geschichte wie diese hätte am ehesten als farbenfrohes, spaßiges Weltraumabenteuer funktionieren können. Stattdessen wollte Drehbuchautor und Regisseur Howard R. Cohen offenbar einen "ernsten", beinah schon "tragischen" Film drehen. Außer Hawk und dem Jungen gehen sämtliche Mitglieder der Crew bei ihrem "grandiosen Abenteuer" drauf! Und doch will der Streifen uns das Gefühl eines Happy Ends vermitteln. Es ist wirklich bizarr.
Das einzige, was mir an Space Raiders positiv aufgefallen ist, sind zwei Nebenfiguren. Der telepathisch begabte Außerirdische Flightplan (Thom Christopher) ist in seiner ruhigen und irgendwie sensibel wirkenden Art die mit Abstand sympathischste Gestalt des Filmes. Und mit der zigarillorauchenden Scharfschützin Amanda (Patsy Pease) dürfen wir endlich einmal eine kompetente Frau erleben, die nicht ständig halbnackt durch die Gegend laufen muss, wie das sonst in Filmen dieser Couleur all zu häufig der Fall ist. {Womit ich nichts gegen Caroline Munros Stella aus Starcrash gesagt haben will!}

Space Raiders macht einem wieder einmal bewusst, dass Schlock nicht immer spaßig sein muss. Oft genug handelt es sich dabei bloß  um mies gemachte und ziemlich langweilige Filmchen. Und auf dieser warnenden Note möchte ich unsere kleine Rundreise durch die wunderliche Welt der Star Wars - Rip-offs ausklingen lassen. B-Movies können etwas ganz wunderbares sein, aber die echten Juwelen muss man sich aus einem Ozean von billigem Trash herauspicken. 

{Es wäre schön gewesen, hätte ich wenigstens noch Metalstorm: The Destruction of Jared-Syn (1983) und Ice Pirates (1984) vorstellen können, doch leider habe ich momentan nicht die Möglichkeit, mir diese beiden Flicks wieder einmal anzuschauen.}


* Kim Newman: Nightmare Movies. A Critical History of the Horror Film, 1968-88. S. 174.
** Vgl.: RedLetterMedias Plinkett-Review von The Phantom Menace. Teil 1 - 10:48.

Dienstag, 24. Dezember 2013

Happy Hogswatch



Allen Leserinnen und Lesern, allen zufälligen Besuchern und Besucherinnen ein frohes Fest!

Ich selbst werde mir heute nacht vermutlich wieder einmal Hogfather anschauen, gehört Vadim Jeans Adaption von Terry Pratchetts wundervollem Roman doch zu meinen festlichen Favoriten. Ein weiterer Tip für all jene, die gleich mir nach dem traditionellen Familienzusammensein noch einen kurzen Abstecher in filmische Weihnachtswelten unternehmen wollen, wäre Jim Hensons Emmet Otter's Jug Band Christmas.

Wer eher Lust auf etwas bizarres hat, der könnte vielleicht am Christmas-Special von He-Man und She-Ra {die 80er Jahre hören einfach nicht auf, mich in Erstaunen zu versetzen, obwohl ich in ihnen aufgewachsen bin} oder dem mexikanischen Flick Santa Claus versus The Devil {den ich selbst allerdings noch nicht ausgetestet habe} Gefallen finden.  

Sonntag, 22. Dezember 2013

4. Advent: "The Blue Carbuncle"

Diesmal möchte ich meine Leserinnen und Leser zu einem kleinen Abstecher in die Baker Street 221B einladen, wo wir miterleben dürfen, wie der große Sherlock Holmes von einer herrenlosen Weihnachtsgans und einem ramponierten Filzhut ausgehend den Diebstahl eines äußerst kostbaren und blutbefleckten Juwels aufklärt.
The Adventure of the Blue Carbuncle aus Arthur Conan Doyles ersten Sammelband von Stories über den genialen Detektiv ist eine lupenreine Weihnachtserzählung. Die Geschichte spielt nicht nur zur Festzeit, sie ist auch von dem entsprechenden Geist erfüllt. Holmes ist niemand, dem man für gewöhnlich einen ausgesprägten Hang zur Sentimentalität vorwerfen könnte. Ganz im Gegenteil. Und auch dieser Fall stellt für ihn anfangs bloß eine weitere interessante Herausforderung für seinen überlegenen Intellekt dar. Am Ende jedoch erweist sich Holmes als erstaunlich weichherzig, wobei es ihm auch nichts ausmacht, dass er dabei das Gesetz bricht, denn: "I am not retained by the police to supply their deficiencies. [...] I suppose that I am commuting a felony, but it is just possible that I am saving a soul."
Die von Granada Television, der nordwestenglischen Unterabteilung von ITV, zwischen 1984 und '94 geschaffene Fernsehserie gilt als die bis heute werkgetreueste Adaption von Conan Doyles Geschichten.* Neben intelligenten Drehbüchern, überwiegend talentierten Darstellern & Darstellerinnen in den Nebenrollen sowie dem liebevoll gestalteten viktorianischen Setting, ist es vor allem der großartige Jeremy Brett, der ihr ihren ganz besonderen Glanz verleiht. Trotz einer nostalgischen Zuneigung zu Basil Rathbones Interpretation, sehe auch ich in Brett die definitive filmische Inkarnation des großen Detektivs. Niemand anderem ist es je auf so überzeugende Weise gelungen, Holmes' Persönlichkeit mit ihren Manierismen und Exzentrizitäten lebendig werden zu lassen. Gegen Ende der Serie freilich ist der rapide gesundheitliche Verfall des Schauspielers, der ein Jahr nach der Ausstrahlung von The Memoirs of Sherlock Holmes im September 1995 starb, nicht zu übersehen, was insbesondere der letzten Staffel eine tragische Note verleiht. Ein weiterer großer Pluspunkt ist, dass die Granada-Produktion den erst von David Burke und später von Edward Hardwicke gespielten Watson nicht länger als den tölpelhaften Sidekick darstellt, auf den die Rolle seit den Tagen von Nigel Bruce mehr oder weniger festgelegt war. Wie bei Conan Doyle erweist sich der gute Doktor vielmehr als intelligent und kompetent, auch wenn er selbstredend seinem genialen Freund nicht das Wasser reichen kann.
Die wenigen Veränderungen, die an der Story von The Blue Carbuncle vorgenommen wurden, verstärken noch deren weihnachtlichen Charakter. Genau das richtige also für unseren kleinen filmischen Adventskalender:



* Auch wenn sie zumindest in den späten Filmen und Episoden gleichfalls immer mal wieder recht gravierend von ihrer literarischen Vorlage abweicht.

Samstag, 21. Dezember 2013

John Williams dirigiert ...

Was wäre das epische Hollywood-Kino der letzten vierzig Jahre ohne die Musik von John Williams? Und dass nicht nur wegen seiner geradezu organisch anmutenden Zusammenarbeit mit Steven Spielberg, die 1973 mit Sugarland Express begann. 
Hier sehen wir den großen Mann einige seiner berühmtesten Werke dirigieren:


Jaws (1975)




Star Wars (1977)




Close Encounters of the Third Kind (1977)




Superman (1978)




Jurassic Park (1993)

Strandgut der Woche

Dienstag, 17. Dezember 2013

Reif fürs Altenteil

Letzten Freitag wurde bekannt, dass Disney alle bisher noch bei Paramount verbliebenen Rechte an Indiana Jones erworben hat, und damit – nach der letztjährigen Übernahme von LucasFilm – bereit ist, neue Indy-Filme zu produzieren. Dass dies frühestens in zwei bis drei Jahren der Fall sein wird, hat Disney-Chef Alan Horn bereits verlauten lassen. Man verfüge bisher noch über keine konkreten Storyideen, von einem Script ganz zu schweigen. Aber: "[T]here will surely be new Indiana Jones movies in the future, be they sequels or reboots, and when they do come to fruition, Lucasfilm will be producing."
Bisher hegte ich die Hoffnung, all das immer mal wieder anschwellende Gerede über einen fünften Indiana Jones - Film werde sich zuguterletzt als heiße Luft herausstellen. Doch nachdem Disney nun wer weiß wie viele Millionen für den endgültigen Erwerb der Rechte hingeblättert hat, dürften wir um einen weiteren Kinoauftritt des peitscheschwingenden Grabräubers wohl nicht mehr herumkommen. Und natürlich ist im gerüchtegeilen Fandom sofort eine Diskussion darüber entbrannt, was besser wäre: Opa Ford noch einmal zu mobilisieren oder lieber ein Reboot ins Auge zu fassen?
Vor die Wahl gestellt, würde ich letzterem den Vorzug geben. Harrison Ford war nie ein wirklich großer Schauspieler, und das Charisma, mit dem er einstmals Figuren wie Han Solo oder Indy zu umgeben vermochte, ist längst zerstoben. Wenn stimmt, was man so über Ender's Game zu hören bekommt, dürfte er inzwischen endgültig den Tiefpunkt seiner künstlerischen Laufbahn erreicht haben.
Wenn schon, dann also lieber ein Reboot. Allerdings frage ich mich, ob Indiana Jones überhaupt ein Franchise ist, das man wiederbeleben sollte. Und dabei denke ich nicht bloß an Kingdom of the Crystal Skull, sondern auch an die ersten drei Filme. Ja, auch ich hatte meinen Spaß an Raiders und Last Crusade. Die beiden sind kompetent gemachte Abenteuerflicks. Und wenn man sich etwas eingehender mit Steven Spielbergs persönlicher und künstlerischer Entwicklung beschäftigt, ist sogar Temple of Doom nicht ohne Interesse. Aber bei Lichte betrachtet war Indy schon immer eine bestenfalls fragwürdige, wenn nicht durch und durch verabscheuungswürdige Figur. Wie Filmhistoriker Joseph McBride in seiner ausgesprochen empfehlenswerten Spielberg-Biographie schreibt:
Indy's two sides never add up to a coherent whole. A scholar who loves adventure and physical danger, he behaves in a casually amoral and brutal way whenever it suits his purposes. He loots Third World cultures and slaughters the natives with the abandon of a mercenary from colonial days. And yet the contemporary audience throughout the world was skillfully manipulated into identifying with this ruthless figure and finding him heroic. Cynically exploited for purely visceral thrills, Indy's violence and greed is presented in a winking, tongue-in-cheek style to anesthetize the audience's moral sense.
Niemand wird ernsthaft in Frage stellen können, dass die Filme vor rassistischen Stereotypen geradezu überquillen – seien dies Araber, Südamerikaner, Chinesen oder Inder. {Von den antikommunistischen Abziehbildern in Kingdom of the Crystal Skull ganz zu schweigen}. Aus gutem Grund verweigerte die Regierung in Neu Dehli Lucas und Spielberg die Erlaubnis, Temple of Doom in Indien zu drehen, weshalb man schließlich gezwungen war, nach Sri Lanka auszuweichen.
In their portraits of Third World heavies, Spielberg and Lucas fell into the trap of uncritically imitating antiquated Hollywood conventions. But the absence of malicious intent hardly excuses the presence of such stereotypes in movies made in the 1980s; indeed, one can argue that their unthinking perpetuation for the purposes of mass entertainment constitutes a far more insidious form of racial insult. With its revival of previously discredited fantasies of American cultural dominance over Third World primitives and cartoonish villains from an evil empire, Raiders of the Lost Ark was the perfect film to mark the beginning of the Reagan era.*
Spielberg hatte ursprünglich dafür plädiert, Indys Charakter nach dem Vorbild von Humphrey Bogarts skrupellosem Goldgräber Fred V. Dobbs aus John Hustons Adaption von B. Travens Der Schatz der Sierra Madre zu zeichnen. Lucas jedoch hatte sofort sein Veto eingelegt. Er wollte einen "coolen" Helden, keinen heruntergekommenen Alkoholiker als Protagonisten. Ebenso waren alle Versuche von Drehbuchschreiber Lawrence Kasdan, Indy eine etwas fragwürdigere und ambivalentere Persönlichkeit zu verleihen, im Verlauf der zahlreichen Überarbeitungen des Scripts schließlich untergegangen.
Hätte sich einer der beiden damals durchsetzen können, vielleicht wäre Raiders of the Lost Ark ein sehr viel interessanterer Film geworden. Theoretisch würde ein Reboot des Franchises die Möglichkeit bieten, an diese vergebene Chance anzuknüpfen. Doch wäre es wohl reichlich naiv, glauben zu wollen, dass man bei Disney eine derartige "Dekonstruktion" von Indy auch nur in Erwägung ziehen würde. Und selbst dann noch ließe sich die Figur nicht wirklich von den imperialistischen Ideen loslösen, die ihren Vorbildern aus Pulps und Z-Serials zurgundelagen. Auch ein moralisch ambivalenter Dr. Jones bliebe der "große weiße Jäger", der abenteuerliche Expeditionen in die "mysteriösen", "exotischen" Gefilde von Afrika, Asien oder Lateinamerika unternimmt.
Kurz gesagt: Ich denke, es ist allerhöchste Zeit, dass Indiana Jones aufs Altenteil übersiedelt. Schon in den 80er Jahren war er ein unangenehmer Anachronismus. Ihn heute noch einmal auf die Kinoleinwand schicken zu wollen, erscheint mir einfach bloß dumm. Bei Disney freilich macht man sich solche Gedanken nicht. Dort ist man vermutlich viel zu sehr damit beschäftigt, sich auszumalen, welch grandiose Profite man mit einem fünften Indy-Flick einheimsen wird.  

        

* Joseph McBride: Steven Spielberg. A Biography. S. 317f.

Sonntag, 15. Dezember 2013

3. Advent: "A Christmas Carol"

Es versteht sich beinah von selbst, dass zu meiner kleinen Reihe filmischer Fundstücke für die Weihnachtszeit auch eine Adaption von Charles Dickens' A Christmas Carol gehören muss. Die Geschichte von Ebenezer Scrooge und seiner Bekehrung durch die drei Geister der Weihnacht ist nicht bloß die vermutlich bekannteste Weihnachtserzählung der Weltliteratur, sie dürfte auch die mit Abstand am häufigsten verfilmte sein.

Ich weiß, viele halten sie für unerträglich sentimental. Ein Vorwurf, der all zu oft gegen Dickens' Gesamtwerk vorgebracht wird. Ganz unverständlich ist das zwar nicht, dennoch scheint es mir kurzsichtig und kleingeistig zu sein. George Orwell schreibt in seinem Essay über den großen viktorianischen Autor:
Whatever else Dickens may have been, he was not a hole-and-corner soul-saver, the kind of well-meaning idiot who thinks that the world will be perfect if you amend a few bylaws and abolish a few anomalies. [...] [He] at any rate never imagined that you can cure pimples by cutting them off. In every page of his work one can see a consciousness that society is wrong somewhere at the root.
Um zu erkennen, wo genau die Wurzeln dieses Übels lagen, dazu fehlte es Dickens an Wissen und analytischen Fähigkeiten. Politik betrachtete er ganz allgemein mit Abscheu, und sich mit ökonomischen Fragen ernsthaft auseinanderzusetzen, wäre ihm sicher nie in den Sinn gekommen. So ist es kein Wunder, dass er keine Verbindung zwischen den bürgerlichen Eigentumsverhältnissen und den gesellschaftlichen Übeln herstellte. Was er hingegen sehr genau erkannte {oder vielleicht sollte man besser sagen: erfühlte}, dass war die tiefe Unmenschlichkeit der Welt, die ihn umgab. 
Was er dagegen zu setzen vermochte, war nichts anderes als eine ebenso tiefe Menschlichkeit. Er war kein Revolutionär, ja nicht einmal ein "Reformer" im herkömmlichen Sinne. Um noch einmal Orwell zu zitieren:  
His whole ‘message’ is one that at first glance looks like an enormous platitude: If men would behave decently the world would be decent.
Keine andere Botschaft besitzt auch A Christmas Carol. Doch wie Orwell gleichfalls ganz richtig bemerkt, diese Botschaft ist bei näherer Betrachtung "not such a platitude as it sounds."
Sie ist sicher nicht die Lösung für Probleme, deren Ursprung letztlich in der Organisation unserer Gesellschaft zu suchen ist. "Gute" Menschen können ein "böses" System nicht gut machen. Innerhalb seiner Grenzen können sie nicht einmal wirklich "gut" sein. Und die Figur des mitleidigen und spendablen reichen Mannes als Erlösers der Armen, wie sie Dickens all zu oft als "Deus ex Machina" aus dem Hut zaubert, ist im Kern sogar schrecklich konservativ, dient sie in den Händen anderer doch für gewöhnlich der Verteidigung des Status Quo. {Wie oft bekommen wir heute z.B. wieder die Vorzüge des "Mäzenatentums" gepredigt.} Nicht so jedoch bei Dickens! Bei ihm ist sie die {zugegeben ungeschickte} Antwort auf eine äußerst dringlich empfundene Frage, auf die der Autor einfach keine andere zu finden vermag. Entscheidend ist dabei jedoch weniger die Antwort als vielmehr die Frage! Auch sind die Tugenden, von denen Dickens' Geschichten durchtränkt sind – simple Menschlichkeit, Mitgefühl und Großherzigkeit – nichts, was man mit zynischer Geste als "naiv" abtun sollte. Gerade heute, in einer Zeit, in der ein Gutteil der Kultur entweder Werte wie Egoismus, Rücksichtslosigkeit, Cleverness, Macht und Reichtum offen verherrlicht oder sich in pessimistischer Menschenverachtung ergeht, erscheint mir der dickens'sche Geist als etwas erfreuliches und dringend notwendiges. Nicht, weil er fähig wäre, aus sich heraus eine bessere Welt zu schaffen, sondern weil ohne ihn dieses Ziel vorn vornherein unerreichbar bleiben wird. Dass Dickens auch in "linken" Kreisen oft mit einer Mischung aus Belustigung und Verachtung behandelt wird, ist für mich nur ein Beweis mehr dafür, dass selbige Zirkel nicht die progressive Avantgarde darstellen, als die sich ihre Mitglieder so gerne sehen.

1843 veröffentlicht, gehört A Christmas Carol zu Charles Dickens' früheren Werken und trägt viele der typischen Züge dieser Schaffensperiode. Das gilt vor allem für die Figur des Ebenezer Scrooge. Wie Edmund Wilson in seinem äußerst lesenswerten Essay Dickens: The Two Scrooges ausgeführt hat, verändert sich im Laufe seiner Entwicklung das Bild, das der Autor von seinen Bösewichtern zeichnet, auf deutliche Weise: 
The curmudgeons of the early Dickens [...] are oldfashioned moneylenders and misers of a type that must have been serving for decades in the melodramas of the English stage. In Dickens their whole-hearted and outspoken meanness gives them a certain cynical charm. They are the bad uncles in the Christmas pantomime who set off the jolly clowns and the good fairy, and who, as everybody knows from the beginning, are doomed to be exposed and extinguished.
Scrooge wird zwar bekehrt und nicht vernichtet, aber er gehört dennoch ohne Zweifel zu dieser Kategorie von Bösewichtern. Auch wenn ihm die Szenen aus seiner Kindheit und Jugend eine größere psychologische Tiefe verleihen als vielen anderen Schurken derselben Gattung. Die späteren {und reiferen} Werke von Dickens werden von einer anderen Art Bösewichter bevölkert. Selbige sind Vertreter jener     
self-important and moralizing middle class who had been making such rapid progress in England and coming down like a damper on the bright fires of English life  – that is, on the spontaneity and gaiety, the frankness and independence, the instinctive human virtues, which Dickens admired and trusted. The new age had brought a new kind of virtues to cover up the flourishing vices of cold avarice and harsh exploitation; and Dickens detested these virtues.**
Aber auch wenn das Entlarven dieser heuchlerischen, puritanischen Bourgeois zu seinen größten Leistungen gehört, bleibt Scrooge eine seiner unsterblichen Figuren. A Christmas Carol ist ein Märchen, und Märchen verlangen nicht nach "realistischen" Charakteren, sondern nach eindringlichen "Typen". Und eine solche ist der alte Ebenezer ganz ohne Zweifel.

Vielleicht besser als irgendjemandem sonst ist es G.K. Chesterton gelungen, zu beschreiben, warum A Christmas Carol eines der vollkommensten Weihnachtsmärchen aller Zeiten sein dürfte. Er schreibt:
The third great Christmas element is the element of the grotesque. The grotesque is the natural expression of joy; and all the Utopias and new Edens of the poets fail to give a real impression of enjoyment, very largely because they leave out the grotesque. A man in most modern Utopias cannot really be happy; he is too dignified. [...] When real human beings have real delights they tend to express them entirely in grotesques – I might almost say entirely in goblins. On Christmas Eve one may talk about ghosts so long as they are turnip ghosts. But one would not be allowed (I hope, in any decent family) to talk on Christmas Eve about astral bodies. The boar’s head of old Yule-time was as grotesque as the donkey’s head of Bottom the Weaver. [...]  
Arcadian poets and Arcadian painters have striven to express happiness by means of beautiful figures. Dickens understood that happiness is best expressed by ugly figures. In beauty, perhaps, there is something allied to sadness; certainly there is something akin to joy in the grotesque, nay, in the uncouth. [...] A thing of beauty is an inspiration for ever – a matter of meditation for ever. It is rather a thing of ugliness that is strictly a joy for ever. [...]
[A Christmas Carol] exemplifies throughout the power of [this] principle – the kinship between gaiety and the grotesque. Everybody is happy because nobody is dignified. We have a feeling somehow that Scrooge looked even uglier when he was kind than he had looked when he was cruel. The turkey that Scrooge bought was so fat, says Dickens, that it could never have stood upright. That top-heavy and monstrous bird is a good symbol of the top-heavy happiness of the stories.**
Welche filmische Adaption von A Christmas Carol ich nun also präsentieren will? Richard Williams' Zeichentrickversion aus dem Jahre 1971. Denn wie in kaum einer anderen begegnen wir hier jener Einheit aus Groteskem, Unheimlichem, Düsterem, Menschlichem und Freudevollem, die Charles Dickens' Erzählung zu einem der unsterblichen Werke der Weltliteratur macht.





* Edmund Wilson: Dickens: The Two Scrooges. In Ders.:  The Wound and the Bow. Seven Studies in Literature. S. 30f.
** G.K. Chesterton: Appreciations and Criticisms of the Works of Charles Dickens. S. 110ff.

Samstag, 14. Dezember 2013

Strandgut der Woche

Donnerstag, 12. Dezember 2013

"Down, down to Goblin Town"

Derweil viele meiner Mitphantasten die Kinos stürmen, um sich den zweiten Teil von Peter Jacksons Hobbit anzuschauen, ziehe ich es vor, mir wieder einmal den ollen Zeichentrick"klassiker" von Jules Bass und Arthur Rankin zu Gemüte zu führen. Nicht dass ich behaupten wollte, bei dem putzigen Streifen handele es sich um eine bessere Adaption von Tolkiens Werk. Aber ich finde diese Herangehensweise an das Buch auf jedenfall charmanter als Schlachtenmeister Jacksons seelenlosen Gigantismus. Und spätestens wenn die Goblingang aus dem Nebelgebirge anfängt, diesen Song zu schmettern, weiß ich wieder ganz genau, warum ich eine so große Schwäche für den Film habe:



Und weil es so gut zur gerade beginnenden Julzeit passt: Was ich zu gerne einmal sehen würde, wäre eine filmische Adaption von Tolkiens Father Christmas Letters. Vorausgesetzt natürlich, die Macher verfügten über ausreichend Stilgefühl und Sensibilität. Ich würde mir da etwas in der Art von Jim Hensons Storyteller {wenn auch etwas weniger düster} vorstellen, am Besten in Kooperation mit Brian und Wendy Froud produziert. Ach ja, man wird ja noch träumen dürfen ...

Sonntag, 8. Dezember 2013

2. Advent: "Sir Gawain and the Green Knight"

Þis kyng lay at Camylot vpon Krystmasse
With mony luflych lorde, ledez of þe best,
Rekenly of þe Rounde Table alle þo rich breþer,
With rych reuel oryȝt and rechles merþes.
Þer tournayed tulkes by tymez ful mony,
Justed ful jolilé þise gentyle kniȝtes,
Syþen kayred to þe court caroles to make.
For þer þe fest watz ilyche ful fiften dayes,
With alle þe mete and þe mirþe þat men couþe avyse;
Such glaum ande gle glorious to here,
Dere dyn vpon day, daunsyng on nyȝtes

"Besagter König [Artus] hielt zur Weihnachtszeit in Camelot mit vielen edlen Herren, den besten unter den Rittern, Hof. Da waren nach höfischem Brauch all jene hervorragenden Mitglieder der Tafelrunde versammelt, und zu Recht gaben sie sich in sorgloser Freude den Festlichkeiten hin. Es fanden sehr häufig Tunierspiele statt, wobei jene edlen Ritter mit viel Freude tjostierten. Danach begaben sie sich an den Hof, um zu singen und zu tanzen. Nun dauerte das Fest hier volle vierzehn Tage, mit all dem Gaumenschmaus und den Vergnügungen, die man nur ersinnen konnte; das war ein Freudenlärm, herrlich anzuhören, tagsüber von den Festlichkeiten, nachts von der Tanzmusik."*

So beginnt die dritte Strophe von Sir Gawain and the Green Knight, der wohl berühmtesten mittelenglischen Artusdichtung, geschaffen von einem anonymen Künstler des 14. Jahrhunderts.** Und es ist eine recht ungewöhnliche Ausgangssituation für ein mittelalterliches Werk über die Abenteuer eines Ritters der Tafelrunde.
Im klassischen Artusroman, wie ihn Chrétien de Troyes im 12 Jahrhundert geschaffen hatte, beginnt die Handlung zwar ebenfalls sehr häufig mit einem Fest am Artushof, doch findet dieses grundsätzlich im Frühling statt, sei es an Ostern (Erec et Enide), Christi Himmelfahrt (Lancelot ou Le Chevalier de la Charrette) oder der traditionelle Normalfall Pfingsten (Yvain). Wie Wolfram von Eschenbach im Parzival schreibt: "Artûs der meienbære man,/ swaz man ie von dem gesprach,/ zeinen pfinxten daz geschach,/ odr in des meien bluomenzît." ("Artus, der maiengleiche Mann – was auch immer man von ihm erzählt, ereignete sich {stets} an Pfingsten oder in der blumenreichen Zeit des Mai." [281, 16-19]) Der Grund hierfür ist leicht nachzuvollziehen: Keine andere Jahreszeit schien den Dichtern geeigneter, um jene dem irdischen Dasein zugewandte, intensive Freude zu veranschaulichen, die Kernbestandteil des höfischen Lebensgefühls war. Nicht zufällig haben die Trobadore und Minnesänger den Frühling in unzähligen ihrer Lieder besungen. 
Warum die Handlung von Sir Gawain and the Green Knight stattdessen zur Julzeit beginnt? Ich habe keine Ahnung. Mit der Crône Heinrichs von dem Türlìn ist mir nur ein einziges weiteres Beispiel für einen derartigen Bruch mit der Tradition bekannt.*** Unwichtig dürfte die zeitliche Verortung der Geschichte jedenfalls nicht sein. Der Grüne Ritter selbst nennt seine Herausforderung "a Crystemas gomen,/ For hit is Ȝol and Nwe Ȝer" {"ein Weihnachtsspiel, denn es ist Jul- und Neujahrszeit"; V. 283/4), und dass Gawains Prüfung und Versuchung an Bertilaks Hof mit dem Fest der Geburt des Herrn zusammenfällt, verleiht den Ereignissen ohne Zweifel eine besonders ernsthafte Note. Im Zentrum der Erzählung scheint die Frage zu stehen, inwieweit höfische Wertvorstellungen und christliche Ethik miteinander zu vereinbaren sind. Welche Antwort der Dichter darauf gibt, ist allerdings umstritten. Haben wir Sir Gawain and the Green Knight als Kritik am Ideal der höfischen Liebe oder als Kritik an einem übertrieben rigorosen Verständnis christlicher Tugendhaftigkeit zu verstehen? Könnte der Umstand, dass die Geschichte gerade nicht in der Jahreszeit von höfischer Freude und Liebe beginnt, irgendetwas mit diesem zentralen Thema zu tun haben?

Ich habe nicht vor, mich in eine ernsthafte Analyse dieses faszinierenden Beispiels mittelenglischer Literatur zu stürzen. Es geht mir lediglich darum, klarzustellen, warum eine filmische Adaption von Sir Gawain and the Green Knight einen Platz in unserem Adventsprogramm verdient hat.

Keinen der beiden Kinofilme von Stephen Weeks (Gawain and the Green Knight [1973] & Sword of the Valiant [1984]) kenne ich aus eigener Anschauung. Und wenn ich ehrlich sein soll, bin ich auch nicht besonders erpicht darauf, diesen Zustand in absehbarer Zukunft zu ändern. {Allerdings dürfte letzterer im Rahmen einer seit längerem geplanten Expedition in die Gefilde des Fantasyfilms der 80er irgendwann wohl doch noch aufs Tapet kommen.} Sehr viel mehr würde mich da schon die Fernsehadaption aus dem Jahre 1991 interessieren, wurde das Drehbuch doch von David Rudkin verfasst, der mit Werken wie Penda's Fen (1974), The Ash Tree (1975) und Artemis 81 (1981) zu den wirklich faszinierenden Vertretern der britischen TV-Phantastik gehört. Unglücklicherweise hatte ich noch keine Gelegenheit, nähere Bekanntschaft mit ihr zu schließen. Dafür bin ich vor nicht all zu langer Zeit auf einen von den irischen Unternehmen Vinegar Hill und Moving Still produzierten Animationsfilm aus dem Jahr 2002 gestoßen.
Leider habe ich kaum nähere Informationen über den Streifen finden können. Weder der Regisseur Tim Feinee noch die Drehbuchautoren Martin Lamb und Penélope Middleboe scheinen an irgendwelchen bekannteren Projekten beteiligt gewesen zu sein. Gawain wird von James D'Arcy, der Grüne Ritter von Anton Lesser gesprochen. Und das wär's dann im Großen und Ganzen auch schon.

Was diese Adaption von Sir Gawain and the Green Knight meiner Meinung nach so interessant macht, ist vor allem die visuelle Ästhetik. Der Film will den Eindruck erwecken, ein zum Leben erwachtes mittelalterliches Buntglasfenster zu sein. Das ist nicht nur als Idee faszinierend, sondern verleiht dem Streifen auch ein äußerst stilisiertes Aussehen. Hier und da bekommt die Geschichte zwar einen etwas unglücklichen, leicht grotesken Touch, doch im Ganzen gesehen halte ich diese Herangehensweise für sehr gut geeignet, um einen literarischen Stoff des Mittelalters filmisch umzusetzen. Auf realen Sets gedrehte Adaptionen mit realen Schauspielern & Schauspielerinnen erwecken beinah automatisch einen Eindruck von "Realismus", der bei dieser Art von Literatur einfach unangemessen ist. Stilisierung {und wenn man so will Verfremdung} sind sehr viel besser geeignet, uns mittelalterliche Literatur nahezubringen, gerade weil sie eine Distanz zwischen Zuschauer und Geschichte schaffen. Ich will nicht behaupten, dass es dem Film gelingen würde, einen völlig korrekten Eindruck von Geist und Inhalt seiner literarischen Vorlage zu vermitteln. Zumindest aber gibt er uns das Gefühl, es mit etwas fremdartigem zu tun zu haben. Und das stellt bereits einen großen Schritt in die richtige Richtung dar ...








* Sir Gawain and the Green Knight. V. 37-47. Übersetzt von Manfred Markus. Wer eine neuenglische Übersetzung des Gesamttextes sucht, findet eine solche hier. Das mittelenglische Original in der Edition von E.V. Gordon & J.R.R. Tolkien kann man hier lesen.
** Erstaunlicherweise scheint das Werk zu seiner Zeit keine besonders weite Verbreitung gefunden zu haben. Der Mediävist Thomas Hahn schreibt: "Sir Gawain and the Green Knight is by acclamation the most subtle, learned, and enjoyable of poems about this chivalric hero, as well as one of the great narrative achievements in the English language. Yet there exists little evidence of its being read from the time of its composition in the later fourteenth century until the edition produced by Madden in 1839. Even if it did find readers [...] this profoundly literate text exercised little influence over the popular Gawain narratives". Von letzteren gab es eine ganze Menge, wie man in dem von Hahn herausgegebenen Sammelband Sir Gawain: Eleven Romances and Tales nachlesen kann. Zu diesen gehörte auch eine sehr viel kürzere und simplere Version der Geschichte vom Grünen Ritter. 
*** Interessanterweise findet sich in diesem wunderbar bizarren nachklassischen Artusroman (um 1230) – dem einzigen mittelhochdeutschen Werk, in dem Gawain der Hauptheld ist – auch eine weitere Variante des sehr alten Motivs der Köpfungsherausforderung, dem wir u.a. auch in der altirischen Heldendichtung Fled Bricrenn (Bricrius Fest) begegnen. Zu bedeuten hat das vermutlich nichts. {Allerdings könnte Fled Bricrenn der Grund dafür sein, warum T.H. Whites The Once and Future King Gawain mit Cúchulainn, dem Haupthelden des Ulster-Zyklus, identifiziert.}

Samstag, 7. Dezember 2013

Strandgut der Woche

Sonntag, 1. Dezember 2013

1. Advent: "The Box of Delights"

Wie vermutlich die meisten von uns, hatte auch ich einmal eine Phase, in der mir Weihnachten als Fest von Kitsch, Kommerz und verlogener Sentimentalität gründlichst am Arsch vorbei ging. Nicht viel anders als der alte Ebenezer Scrooge hätte ich zur Festzeit grummeln können:
Humbug! If I could work my will, every idiot who goes about with "Merry Christmas" on his lips should be boiled with his own pudding, and buried with a stake of holly through his heart. He should!
Na ja, ich hätte vermutlich eher gesagt, man solle ihn an seinen eigenen Weihnachtsbaum fesseln wie an einen Marterpfahl und ihm einen Adventskranz {mit brennenden Kerzen natürlich} als Kopfschmuck aufs Haupt setzen. Oder so ähnlich ...
Doch irgendwann erkannte ich, wie dumm es eigentlich ist, wenn man ein Fest verachtet, bloß weil der konsumgeile Kraken des Kapitalismus seine Fangarme um ihn geschlungen hat. Käme so ein Verhalten nicht einer Kapitulation gleich? Hatte ich nicht genug Erinnerungen aus meiner Kindheit, um zu wissen, dass Weihnachten mehr sein kann, als das, was irgendwelche herzlosen Werbedesigner aus dem Fest gemacht haben? Und weckt der Anblick funkelnder Weihnachtslichter in einer eisigen Winternacht nicht auch heute noch jedesmal warme Gefühle in mir? Erst recht, wenn dabei der Schnee unter meinen Schuhen knirscht. Warum all das verleugnen? Weil es uncool ist, Weihnachten anders als mit Zynismus zu betrachten? Was für ein erbärmlicher Grund wäre das denn!? Und erst recht möge mir keiner mit dem Argument kommen, mir als einem Atheisten sollte das Fest der Geburt des Gottessohnes doch ohnehin gleichgültig sein. Schon recht, die religiöse Dimension bedeutet mir in der Tat nichts, doch ganz anders sieht es mit der menschlichen aus.

Und so fand ich, es wäre eigentlich ganz hübsch, wenn es in diesem Monat auch auf meinem Blog etwas weihnachtlich zugehen würde. Weshalb ich an jedem Adventssonntag an dieser Stelle ein filmisches Fundstück vorstellen will, das auf die eine oder andere Weise etwas mit Weihnachten zu tun hat. 
Den Anfang soll dabei die BBC-Serie The Box of Delights machen, die auf dem gleichnamigen, 1935 erschienen Kinderbuch des Dichters und Schriftstellers John Masefield basiert und erstmals in der Weinachtszeit 1984 ausgestrahlt wurde. Kennengelernt habe ich dieses bezaubernde kleine Juwel des phantastischen Kinderfernsehens durch den unvergleichlichen Mr. Jim Moon, der ihr eine der frühen Episoden seines Podcasts Hypnobobs gewidmet hat. In England ist die Serie zu einem echten Kultklassiker geworden, und für viele Briten gehört es scheinbar zum alljährlichen Weihnachtsritual, sie sich erneut anzuschauen. Eine Tradition, die ich nur zu gut nachvollziehen kann.



Die Titelmelodie stammt aus dem dritten Satz von Victor Hely-Hutchinsons wundervoller Carol Symphony (12:15) und schafft sogleich die richtige Atmosphäre: Weihnachtlich, traumhaft und ein ganz klein Bisschen unheimlich. Held der Geschichte ist der junge Kay Harker (Devin Stanfield). Zu Weihnachten aus dem Internat nach Hause zurückkehrend, begegnen ihm während der Zugfahrt ein freundlicher alter Punch and Judy - Schausteller* (Patrick Troughton) und zwei eigenartige, leicht bedrohlich und wenig fromm wirkende Vikare. Keiner von ihnen ist, was er zu sein scheint. Und als ihm der alte Mann wenig später seine magische "Box of Delights" anvertraut, nicht ohne ihn zugleich vor den "Wölfen" zu warnen, die sich auf der Jagd nach ihr befänden, sieht sich Kay urplözlich in ein phantastisches Abenteuer verstrickt, in dessen Verlauf er nicht nur fremdartige Wunderwelten betreten und mythischen Wesen wie Herne the Hunter (Glyn Baker) begegnen wird, sondern vor allem die Pläne des bösen Zauberers Abner Brown (Robert Stephens) durchkreuzen muss, der mit Hilfe der wundersamen Schachtel unbegrenzte Macht zu erringen hofft.

The Box of Delights steht ganz in der von Edith Nesbit geprägten Tradition des englischen phantastischen Kinderbuches. Anders als etwa in Tolkiens Hobbit oder C.S. Lewis' Narnia - Geschichten werden wir hier nicht in eine märchenhafte Anderswelt entführt, das Wundersame und das Reale liegen vielmehr ganz nahe beieinander. Kay und seine Freunde müssen ihre kleinstädtische Heimat nicht verlassen, um dem Magischen zu begegnen. Die Zauberer sind mitten unter uns. Und sie sind keine exzentrischen Überbleibsel einer fernen Vergangenheit, sie stehen mit beiden Füßen im modernen Leben. Zumindest die bösen unter ihnen. Abner Brown ist der Chef einer ganz banalen Verbrecherorganisation und verfügt nicht nur über magische Kräfte, sondern auch über so großartige technische Spielzeuge wie ein Auto, das sich auf Knopfdruck in ein Flugzeug verwandelt. Das Vermischen mythischer, märchenhafter, modern-abenteuerlicher und alltäglicher Elemente mag nicht nach jedermanns Geschmack sein. Ich finde es äußerst charmant. Für mich  vermittelt es den Eindruck, als liege das Phantastische ganz in unserer Nähe. Wir müssen nur unsere Augen öffnen und bereit sein, uns verzaubern zu lassen. The Box of Delights besitzt ohne Zweifel etwas Skurilles, aber das bedeutet noch lange nicht, dass dem Mythisch-Magischen damit seine ernsthafte Aura geraubt würde.
Das britische Fernsehen hat in den 80er Jahren eine Reihe recht bekannter phantastischer Kindersendungen produziert. Nicht alle waren so charmant wie z.B. The Worst Witch (1986), aber auch weniger erfolgreiche Hervorbringungen dieser Ära wie The Tripods (1984) oder The Lion, the Witch and the Wardrobe (1988) besitzen ihre starken Seiten. The Box of Delights jedoch hat einen ganz eigenen Charakter. In gewisser Hinsicht erinnert mich die Serie eher an die britische TV-Phantastik der 70er Jahre. Ähnlich wie einige der Serien aus diesem Jahrzehnt (Children of the Stones, klassischer Doctor Who, Sapphire and Steel etc.) ist auch ihr ein Zug eigen, den man vielleicht am besten mit "weird" umschreibt. {Ich finde einfach keinen angemessenen deutschen Begriff dafür.} Sicher, dieses Element ist hier bei weitem nicht so stark, aber es findet sich immer noch genug merkwürdiges, mysteriöses und leicht gespenstisches in The Box of Delights. Wer genau z.B. ist die geheimnisvolle alte Frau (Anne Dyson) mit dem funkelnden Ring? Können sich Abner Browns Handlanger Foxy Faced Charles (Geoffrey Larder) und Chubby Joe (Jonathan Stephens) tatsächlich in Wölfe verwandeln? Und was für eine seltsame Welt ist es, die Kay betritt, nur um gemeinsam mit Herne the Hunter in Hirschgestalt durch die Wälder gehetzt zu werden? Auf solche Fragen gibt die Serie keine Antwort, aber gerade das trägt ganz entscheidend zu ihrer Faszinationskraft bei.
Auch dürfte es kaum ohne Bedeutung sein, dass der Punch and Judy - Schausteller seine eigene Magie als "alt", die von Abner Brown als "neu" bezeichnet. Ohne gar zu viel in die Geschichte hineininterpretieren zu wollen, legt dies doch nahe, dass wir es einmal mehr mit einem Kampf zwischen den traditionellen, mit Mythos und Märchen verknüpften Werten und einer ganz auf Egoismus und Gier nach materiellem Reichtum und Macht ausgerichteten Moderne zu tun haben. 
Das kann man natürlich als Ausdruck eines verstaubten Konservativismus interpretieren. Und vieles an der Story atmet ohne Zweifel einen konservativen Geist: Das Milieu, in dem The Box of Delights spielt, ist ultrabürgerlich;** die erfrischend selbstbewusst auftretende Maria darf ärgerlicherweise an keinem der eigentlichen Abenteuer teilnehmen; das Finale ist stark christlich eingefärbt.*** John Masefield war halt kein progressiver Künstler, andernfalls hätte man ihn kaum zum offiziellen Poeta Laureatus des Vereinigten Königreiches erklärt. Aber auch wenn mich solche Details irritieren, erscheinen sie mir letztenendes als nebensächlich. Man kann ein Gegner dieser Moderne sein, ohne deshalb konservativen Werten anzuhängen, und Mythos und Märchen beinhalten sehr viel mehr als veraltete Vorstellungen über soziale Ordnung, Genderrollen und Religion.

Was neben der einfühlsam und atmosphärisch erzählen Geschichte den besonderen Reiz der Serie ausmacht sind vor allem die Schauspieler & Schauspielerinnen.
Kindliche Protagonisten wirken in Film und Fernsehen all zu oft schrecklich altklug und nervig  Und auch wenn The Box of Delights nicht 100%ig frei von diesem Zug ist, verleiht Devin Stanfield seinem Kay Harker im Großen und Ganzen doch eine sympathische Natürlichkeit. Ähnliches gilt für die meisten der übrigen Kinderdarsteller. Von den Erwachsenen seien nur drei der bekannteren hervorgehoben. Da wäre zuerst einmal der grandiose Robert Stephens als Abner Brown. Der britische Theaterschauspieler, der eine Zeit lang als inoffizieller "Erbe" Laurence Oliviers galt und Filmfreunden vielleicht am ehesten als Protagonist von Billy Wilders' The Private Life of Sherlock Holmes (1970) bekannt ist, verleiht dem Magier eine Aura echter Bösartigkeit, was ihn deutlich von seinen eher humorvoll gezeichneten Handlangern abhebt. Dann hätten wir da Patrick Troughton, für Genrefans vor allem als zweiter Doctor Who ein Begriff, der den alten Punch and Judy - Schausteller Cole Hawlings zu einer ausgesprochen charismatischen, zugleich geheimnisvollen und liebenswerten Gestalt macht. Als dritte im Bunde sei Patricia Quinn erwähnt. Die meisten werden sie vermutlich in erster Linie als Magenta aus der Rocky Horror Picture Show (1975) kennen. Freunde des B-Movies erinnern sich vielleicht außerdem noch an ihren Auftritt als Zauberin in dem legendären Fantasyschlock Hawk the Slayer (1980). Auch durften wir sie vor grade mal einem Jahr in Rob Zombies wunderbar durchgedrehten Lords of Salem erleben. Die von ihr verkörperte Sylvia Daisy Pouncer – Komplizin und Partnerin Abner Browns – ist zwar eher eine Nebenfigur, doch bereitet es stets Vergnügen Patricia Quinn in Aktion zu erleben.

Auch die in The Box of Delights angewandte Tricktechnik verdient es, zumindest kurz angesprochen zu werden. Für ihre Zeit war sie äußerst innovativ, kam dabei doch u.a. die 1981 auf den Markt gelangte  Quantel Paintbox zum Einsatz. Und wenn die Szenen, in denen Kay und seine Freunde dank Cole Hawlings magischer Schachtel auf winzige Größe zusammenschrumpfen oder mit gewaltiger Geschwindigkeit durch die Lüfte fliegen, aus heutiger Sicht nicht mehr ganz überzeugend wirken, haben all jene Sequenzen, in denen sich reale Schauspieler und Zeichentrickanmiationen begegnen, nichts von ihrer Magie eingebüßt. Das gilt vor allem für die schon erwähnte Szene, in der Kay Harker die Welt von Herne the Hunter betritt. Der klassische Zeichentrickfilm besaß eine ganz eigene Ästhetik, eine Lebendigkeit und "Saftigkeit", die in der Ära der computergenerierten Filme weitgehend verlorengegangen zu sein scheint. Hier dürfen wir sie noch einmal in ihrer ganzen zugleich sinnlichen und phantastischen Pracht erleben. 

Wenn ich mir eine Sendung wie The Box of Delights anschaue, frage ich mich jedesmal, ob das deutsche Fernsehen jener Zeit etwas vergleichbares hervorgebracht hat. Ja, ob ihm dies überhaupt möglich gewesen wäre. Meine Erinnerungen an die alten Weihnachtsserien des ZDF à la Timm Thaler (1979), Silas (1981), Jack Holborn (1982) oder Patrick Pacard (1984) sind zwar {vorsichtig ausgedrückt} äußerst verschwommen, aber ich glaube irgendwie nicht, dass man in den 70er und 80er Jahren hierzulande ähnlich zauberhafte Kindersendungen produziert hat. Mein Verdacht ist, dass das Phantastische und Märchenhafte zu jener Zeit oft als etwas suspekt galt. Dabei mag u.a. der Glaube an eine falsch verstandene "soziale Verantwortlichkeit" der Kunst eine Rolle gespielt haben. Auf jedenfall denke ich nicht, dass es ein Zufall gewesen ist, dass der Weihnachtsfilm, auf den ich in meiner Kindheit jedes Jahr sehnsüchtig gewartet habe, keine deutsche Produktion war, sondern Václav Vorlíčeks Drei Haselnüsse für Aschenbrödel.

Wie dem auch sei, alle, die sich ihre Liebe zu Märchen, Mythos und Magie bewahrt haben, seien noch einmal dazu eingeladen, sich zum Auftakt der Adventszeit von der Box of Delights verzaubern und in eine Welt der Wunder entführen zu lassen:   




Eins noch zum Abschluss: Wer das Ende der Serie genauso enttäuschend findet wie ich, dem rate ich, dieses einfach zu ignorieren. Es sollte keinem von uns das Vergnügen an dieser bezaubernden kleinen Geschichte verderben dürfen!


* Das viktorianische Zeitalter war in vielerlei Hinsicht die Ära, in der die "klassische" englische Weihnachtsfeier entstand. Und Charles Dickens war nicht allein dafür verantwortlich.  Dazu gehörte offenbar auch, Punch and Judy - Shows zu einem Bestandteil der Festlichkeiten zu machen, wobei deren ursprünglich karnevalistischer und "erwachsener" Charakter stark abgemildert wurde. Auch wenn dabei immer noch ordentlich viel geprügelt wird. {Nebenbei bemerkt spielt in The Story of a Disappearance and an Appearance, der einzigen Gespenstergeschichte von M.R. James, die tatsächlich in der Julzeit angesiedelt ist, eine Punch and Judy - Show eine zentrale Rolle. Interessant ...}
** Bin ich der einzige, den es unangenehm berührt, wenn eine erwachsene Frau (das Dienstmädchen) gegenüber einem kleinen Jungen (Kay Harker) ein geradezu unterwürfiges Gebahren an den Tag legt?
*** Die Story gipfelt in einer von dem gutmütigen Bischof zelebrierten Christmette. Aber schließlich ist es auch eine Weihnachtsgeschichte.